Stummer Wachhund-Show
- Goga Machavariani
- 8. Juli
- 7 Min. Lesezeit
In Georgien gibt es ein Amt, das offiziell für den Schutz der Menschenrechte steht, als Kontrollinstanz gegen staatliche Willkür und Garant dafür, dass Grundrechte keine leeren Worte bleiben. Dieses Amt heißt Volksverteidiger, international besser bekannt als Ombudsmann. Seine Aufgabe ist klar: kritisch sein, wo nötig unbequem werden, notfalls der Regierung öffentlich widersprechen und den Finger genau in jene Wunden legen, die die Mächtigen am liebsten verbergen würden.
Doch in Georgien des Jahres 2025 präsentiert sich das Bild ganz anders. Statt einer lauten, selbstbewussten, unbequemen Stimme für die Bürgerinnen und Bürger erleben wir eine Institution, die wirkt wie ein alter sowjetischer Fernseher im Wohnzimmer: ein schweres, kantiges Gerät, das zwar offiziell Informationskanal sein soll, tatsächlich aber nur einen einzigen Sender ausstrahlt – und sobald es brenzlig wird, entweder zu rauschen beginnt oder einfach den Bildschirm schwarz schaltet.
Levan Ioseliani, der amtierende Volksverteidiger, scheint diese Metapher mit bewundernswerter Konsequenz zu verkörpern. Seit seiner Ernennung ist das Vertrauen in das Amt dramatisch gesunken. Schließlich sollte der Ombudsmann in Georgien verfassungsrechtlich völlig unabhängig sein, eine Art Aufseher über die Regierung im Dienste der Menschenrechte. Doch mit Ioseliani installierte Georgian Dream einen Kandidaten, der als ausgesprochen loyal zur Regierungsmehrheit gilt. Und Loyalität zur Macht ist bekanntlich nicht das, was ein Ombudsmann braucht.
Vertrauen verspielt: Von der Menschenrechtsinstanz zum Abnicker
Bereits seine Wahl war alles andere als ein Musterbeispiel demokratischer Transparenz. Kritiker sprachen von einem Hinterzimmer-Deal, der den Willen der Öffentlichkeit bewusst umging und internationale Empfehlungen ignorierte. Die Pariser Prinzipien über die Unabhängigkeit nationaler Menschenrechtsinstitutionen waren höchstens eine Fußnote. Sogar aus der eigenen Behörde regte sich Widerstand: Dutzende Mitarbeiter protestierten öffentlich gegen seinen Kuschelkurs mit der Regierung und warnten, das Amt werde zum zahnlosen Tiger degradiert.
Seine Amtsführung hat diese Befürchtungen nur bestätigt. Wer auf klare Kritik hoffte, wurde enttäuscht. Ioseliani bevorzugt einen vorsichtigen, milden Ton, der so gut wie niemanden in der Regierung aus der Ruhe bringt. Wenn er überhaupt etwas sagt, klingt es meist wie die diplomatische Version eines Achselzuckens. Manchmal wirken seine Erklärungen geradezu so, als wollten sie das Handeln der Regierung in freundlichem Licht erscheinen lassen. Kein Wunder also, dass Vertreter von Georgian Dream seine Äußerungen teilweise ausdrücklich gelobt haben.
Repressive Gesetze im Eiltempo: Schweigen im Testbild
Und währenddessen rutscht Georgien immer tiefer in ein repressives Fahrwasser. Seit Dezember 2024 hat das Parlament im Eilverfahren eine ganze Reihe neuer Gesetze beschlossen, die alle einem Ziel dienen: Oppositionelle schwächen, Protest kriminalisieren, Medienfreiheit einschränken, kritische NGOs einschüchtern.
Dabei herrscht im Land längst ein vorwahlkampfartiges Chaos. Führende Oppositionspolitiker sitzen im Gefängnis – oft wegen absurd überzogener oder rein politisch motivierter Vorwürfe. Viele Parteien haben beschlossen, die anstehenden Wahlen zu boykottieren, weil sie faire Bedingungen für illusorisch halten. Demonstrationen gehören inzwischen zum Alltag – und ebenso die Verhaftungen, Geldstrafen und Drohungen gegen alle, die es wagen, öffentlich Kritik zu üben.
Gerade hier wäre der Ombudsmann gefragt. Eigentlich müsste er eine zentrale Stimme der Opposition gegen den Machtmissbrauch sein. Doch stattdessen erleben wir eine peinliche Stille. Und wenn überhaupt ein Geräusch kommt, ist es das leise Summen eines alten Röhrenfernsehers, der sich bemüht, das staatliche Programm ohne Störung zu übertragen.
Anonyme Zeugen und Drogenprozesse: Eine perfekte Waffe
Ein Beispiel, das die georgische Zivilgesellschaft besonders aufschreckte: Im Juni 2025 beschloss Georgian Dream eine Änderung des Strafprozessgesetzes, die die Identität von Belastungszeugen in bestimmten Verfahren vollständig anonymisiert. Nicht einmal Richter sollen diese Personen sehen dürfen. Angeblich dient das dem Schutz der Zeugen. Doch in einem Land, in dem es eine unselige Tradition gibt, Oppositionellen Drogen unterzuschieben, stellt dieses Gesetz eine Lizenz zum politischen Missbrauch dar. Ermittler können behaupten, irgendein unbekannter Zeuge habe Informationen geliefert, und das reicht, um jemanden hinter Gitter zu bringen.
Man möchte meinen, ein Ombudsmann würde Alarm schlagen. Schließlich geht es hier um die Abschaffung elementarer Verteidigungsrechte und um die reale Gefahr politischer Gefangenschaft auf Grundlage geheimer, nicht überprüfbarer Aussagen. Doch Ioseliani? Hat dazu geschwiegen. Keine Pressekonferenz. Kein Appell ans Parlament. Kein Aufruf an die Öffentlichkeit. Ein leises Knacken im Lautsprecher, mehr kam nicht.
Straflager für Protestierende: Wer nicht zahlt, sitzt ein
Doch das war nur der Anfang. Im Ordnungswidrigkeitenrecht wurden die Strafen für Protestierende drastisch verschärft. Wer eine Straße blockiert, muss jetzt 5.000 Lari zahlen – ein Betrag, der für viele Menschen in Georgien ruinös ist. Wer die Strafe nicht zahlt und erneut protestiert, kann nicht mehr mit einer weiteren Geldstrafe rechnen, sondern wandert gleich für 30 Tage ins Gefängnis. Eine eindeutig politische Botschaft: Wer sich gegen die Regierung stellt, verliert entweder sein letztes Geld oder seine Freiheit.
Auch dazu kein ernstzunehmendes Wort von Ioseliani. Keine kritische Analyse, keine menschenrechtliche Bewertung, keine Mahnung an die Regierung, dass Protest Teil der Demokratie ist und solche Strafen jede Opposition im Keim ersticken. Stattdessen: Stummfilm-Modus.
Die Meinungsfreiheit in der Retrospektive: Gesetze rückwärts
Parallel dazu wurde auch das Gesetz zur Meinungsfreiheit überarbeitet – ein Meisterstück autoritärer Gesetzgebung. Künftig liegt die Beweislast bei Verleumdungsklagen nicht mehr beim Kläger, sondern beim Angeklagten. Wer also eine öffentliche Figur kritisiert, muss im Zweifel beweisen, dass seine Kritik stimmt. Besonders gefährlich ist dabei, dass diese Regelung rückwirkend für die letzten 100 Tage gilt. Kritische Posts auf Facebook oder in Medien können also plötzlich mit Klagen überzogen werden, ohne dass der Kläger noch viel tun müsste. Dazu kam die Ausweitung des Begriffs „öffentliche Beleidigung“ auf soziale Netzwerke, wodurch selbst grob formulierte Kritik zur juristischen Falle wird.
Und was machte der Ombudsmann? Er äußerte sich. Aber nicht etwa gegen das Gesetz. Sondern gegen den Ton mancher Aktivisten. Er fand es wichtig, die Leute daran zu erinnern, dass sie bitte höflich bleiben sollen. Dass Hassrede und Beleidigungen nicht in die Meinungsfreiheit fallen. Kein Wort darüber, dass die Regierung sich gerade eine juristische Waffe baut, um Facebook-Kommentatoren und kritische Journalisten mundtot zu machen. Kein Protest gegen den Verlust des Quellenschutzes. Nur ein wohltemperiertes Mahnen an die Zivilgesellschaft, sich bitte brav auszudrücken.
Kameraverbot in Gerichten: Transparenz auf Sendepause
Auch beim Verbot von Film- und Fotoaufnahmen in Gerichtsgebäuden zeigte sich die Regierung kreativ in Sachen Repression. Ab sofort dürfen Journalistinnen und Journalisten nicht einmal mehr auf Fluren oder in den Höfen der Gerichte filmen. Die Kontrolle über Bild und Ton liegt ausschließlich bei der Justiz selbst – also bei einer Institution, die ohnehin nicht für ihre Unabhängigkeit berühmt ist.
Immerhin, hier schaffte es der Ombudsmann tatsächlich, einmal Kritik zu äußern. Er warnte davor, dass das Gesetz die Transparenz der Justiz aushöhlt und Medien den Zugang zu Verfahren massiv einschränkt. Ein kurzer Moment, in dem das Bild des alten Fernsehers tatsächlich etwas anderes zeigte als das Testbild. Doch selbst hier blieb Ioseliani auffällig zahm. Seine Hauptforderung war nicht etwa, das Gesetz ganz zu verhindern, sondern nur, es möge doch bitte nicht im Eilverfahren durchgewinkt werden. In der Sache selbst hielt er sich zurück, als wäre das Problem mit einem langsameren Gesetzgebungsverfahren irgendwie gelöst.
Das Ergebnis? Georgian Dream ignorierte ihn selbstverständlich, verabschiedete das Gesetz wie geplant und bedankte sich für die zurückhaltende Kritik. Transparenz ade. Und der Ombudsmann? Der drehte den Kontrastregler wieder runter, bis auf dem Schirm nichts mehr zu sehen war.
Politische Gefangene und absurde Urteile: Ein stummes Protokoll
Wer dachte, das sei schon der Tiefpunkt, wurde im Vorfeld der Wahlen 2025 eines Schlechteren belehrt. Führende Oppositionspolitiker wurden wegen Nicht-Erscheinens vor einer Parlamentskommission zu sieben Monaten Haft verurteilt. Eine absurde Härte, die mit rechtsstaatlicher Verhältnismäßigkeit nichts zu tun hat. Wer ein solches Strafmaß für einen simplen Boykott verhängt, will nicht Recht sprechen, sondern Opposition zerschlagen.
Man sollte meinen, dass genau hier ein Ombudsmann gebraucht wird. Jemand, der klarmacht, dass das eine inakzeptable Verletzung der Menschenrechte darstellt. Doch Ioseliani beließ es dabei, die Gefangenen zu besuchen – eine Pflichtaufgabe, die eher an Verwaltung als an Protest erinnerte. In seinen öffentlichen Stellungnahmen fand sich kein Wort darüber, dass diese Urteile eine Schande für die Justiz sind oder das Vertrauen in den Rechtsstaat zerstören.
Stattdessen präsentierte er im Parlament brav seinen Jahresbericht. Darin fand sich immerhin ein Hinweis darauf, dass es Übergriffe gegen Aktivisten und Journalisten gegeben hatte – Schläge, Misshandlungen, Foltervorwürfe. Er stellte fest, dass diese Verbrechen bislang nicht ernsthaft untersucht worden seien. Und damit war die Sache für ihn erledigt. Keine mediale Offensive, keine Kampagne, keine Forderungen an die Staatsanwaltschaft oder die Regierung. Ein Eintrag ins Protokoll. Mehr nicht.
Ein Fernseher mit einem einzigen Kanal
Wer das alles zusammennimmt, erkennt ein Muster, das so alt ist wie das Modell „Rubin 102“ im Wohnzimmer sowjetischer Großmütter. Der Ombudsmann wirkt wie ein staatlich kontrolliertes Medium: Offiziell für alle da, aber in Wahrheit ein verlängerter Arm der Macht. Kritische Inhalte? Nur gefiltert, vorsichtig, in homöopathischen Dosen. Harte Kritik? Fehlanzeige. Stattdessen ein einziger Kanal, der beruhigt, beschwichtigt und das Publikum mit einem verwaschenen Schwarzweißbild abspeist.
Die Regierung darf dabei auf einen Partner zählen, der keine unangenehmen Fragen stellt, keine lauten Kampagnen organisiert, keine juristischen Analysen liefert, die politische Verantwortung sichtbar machen würden. Und wenn es dann doch mal Kritik gibt, wirkt sie wie die Soundkulisse im Hintergrund – zu leise, zu höflich, zu spät.
Internationale Reaktionen: Besorgnis trifft auf georgische Stille
Währenddessen werden die internationalen Beobachter deutlicher. Die OSZE/ODIHR etwa erklärte im Juli 2025, sie beobachte mit „tiefer Besorgnis“ die Entwicklungen in Georgien. In ihrer Stellungnahme hieß es unmissverständlich, dass die Regierung immer stärker Gesetze verabschiede, die die Arbeit der Zivilgesellschaft behindern, friedliche Demonstranten festnehmen lasse und gezielt politische Gegner inhaftiere. ODIHR forderte die georgischen Behörden auf, die neuen Gesetze zurückzunehmen und die Rechte auf freie Meinungsäußerung und politische Betätigung zu respektieren.
Besonders bemerkenswert war der Verweis auf die Praxis, Oppositionspolitiker wegen Boykotts von Parlamentsanhörungen monatelang einzusperren. Auch das – eine rote Linie in jeder Demokratie.
Und der Volksverteidiger? Er ließ verlauten, dass man sich gerne melden würde, wenn man wisse, ob man ein Interview geben kann. Vielleicht. Demnächst. Irgendwann.
Ein Amt im Dornröschenschlaf
Man könnte es fast schon tragisch nennen, wenn es nicht so gefährlich wäre. Denn der Ombudsmann ist keine verzichtbare Dekoration, sondern soll das letzte institutionelle Schutzschild der Bürgerinnen und Bürger gegen Machtmissbrauch sein. Doch dieses Schutzschild wirkt wie verrostet, eingestaubt und aus der Zeit gefallen. Wie ein Fernseher, der in der Ecke steht, während draußen Proteste niedergeknüppelt werden und Gesetze in Windeseile die Rechte der Menschen einschränken.
Die Ironie ist dabei kaum zu übersehen. Gerade in einem Moment, in dem das Land vor entscheidenden Wahlen steht und das Risiko eines autoritären Rückfalls so real ist wie lange nicht mehr, wäre eine unabhängige, kritische, laute Menschenrechtsinstitution wichtiger denn je. Stattdessen sendet der Volksverteidiger nur ein Rauschen, das niemanden stört.
Not Happy End
Georgien steht 2025 an einem Scheideweg. Die Regierung von Georgian Dream hat gezeigt, dass sie bereit ist, Rechtsstaat und Demokratie nach Belieben zu verbiegen. Die Opposition wird eingeschüchtert, Medien werden gegängelt, Aktivisten ruiniert oder inhaftiert.
Und der Ombudsmann? Er hat sich entschieden, nicht zu stören. Nicht anzuecken. Nicht laut zu sein. Er liefert das perfekte Testbild für eine Regierung, die sich Kritik vom Hals halten möchte.
Vielleicht ist das sein Beitrag zur politischen Stabilität: bloß kein Flimmern im Bild. Bloß keine Debatte. Bloß keine echten Fragen.