Wie steht Georgiens Wirtschaft im Vergleich zu anderen Kaukasus-Staaten?
- Redaktion| Tiflis24
- 28. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Georgien rühmt sich ja gerne damit, die "wirtschaftliche Lokomotive" des Kaukasus zu sein. Nun, wer die offiziellen Zahlen liest – und nicht gerade Mitglied der georgischen Regierungspartei ist –, könnte sich allerdings fragen, auf welchem Gleis diese Lokomotive eigentlich unterwegs ist. Ein nüchterner Blick auf die Wirtschaftsdaten von Georgien, Armenien und Aserbaidschan zeigt, dass die georgische Wirtschaftsentwicklung zwar einige Lichtblicke bietet, die Euphorie der Regierung aber bestenfalls als kreatives Wunschdenken eingestuft werden kann.
Wirtschaftswachstum: Aufschwung oder Schönwetterbericht?
Beginnen wir mit den Wachstumsraten. Laut Weltbank wuchs das georgische Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2023 um etwa 7,5 %. Ein beachtlicher Wert, möchte man meinen – bis man sich die Gründe dafür anschaut. Massiver Anstieg von Geldzuflüssen aus Russland, eine starke Immigration russischer Staatsbürger nach Kriegsbeginn 2022 sowie eine enorme Nachfrage nach Immobilien und Dienstleistungen haben die Zahlen kurzfristig befeuert. Nachhaltiges Wachstum? Strukturreformen? Innovation? Fehlanzeige.
Zum Vergleich: Armenien verzeichnete 2023 ein Wirtschaftswachstum von rund 8,7 %. Auch hier trugen russische Kapitalflucht und Migration entscheidend bei, doch Armenien nutzte die Gelegenheit wenigstens teilweise, um Investitionen in den Technologiesektor und in die Industrie zu lenken. Aserbaidschan hingegen, reich an Öl- und Gaseinnahmen, lag mit einem Wachstum von ca. 1,8 % weit darunter – aber wenigstens basiert seine Wirtschaft nicht auf kurzfristigen Flüchtlingsströmen, sondern auf stabilen Exportströmen.
Bruttoinlandsprodukt und Kaufkraft: Ein ernüchternder Vergleich
Das georgische BIP pro Kopf betrug 2023 etwa 7.200 US-Dollar (nominal). Armenien lag leicht darunter bei ca. 6.800 US-Dollar, während Aserbaidschan stolze 7.900 US-Dollar vorweisen konnte. Auf den ersten Blick also fast Gleichstand. Aber der Teufel steckt, wie immer, im Detail:
Während Aserbaidschan durch seine Energieressourcen massive Einnahmen erzielt und Armenien gezielt seine Technologiebranche fördert, setzt Georgien lieber auf den Wildwuchs von Casinos, Airbnb-Apartments und Taxidiensten. Eine "moderne" Dienstleistungswirtschaft, die erstaunlich wenig eigene Wertschöpfung generiert.
Exportstruktur: Vielfalt oder Abhängigkeit?
Auch ein Blick auf die Exportstruktur macht wenig Hoffnung. Georgiens Hauptexportgüter sind Kupfer, Wein, Mineralwasser und landwirtschaftliche Erzeugnisse – ergänzt durch eine starke Abhängigkeit von Überweisungen aus dem Ausland. Innovationsprodukte? Fehlanzeige.
Armenien hat es immerhin geschafft, Elektronik und Maschinenbauprodukte stärker zu integrieren und sich als kleiner, aber wachsender Technologiestandort im Kaukasus zu positionieren. Aserbaidschan wiederum profitiert natürlich weiterhin massiv vom Export von Erdöl und Erdgas – eine Abhängigkeit, die zwar Risiken birgt, aber im Moment komfortable Staatseinnahmen sichert.
Inflation und Lebenshaltungskosten: Ein weiteres Trauerspiel
Während die georgische Regierung sich gegenseitig auf die Schulter klopft, kämpfen die Bürger:innen mit einer der höchsten Inflationsraten in der Region. Lebensmittelpreise sind in Georgien zwischen 2022 und 2024 um satte 30 % gestiegen. Die Löhne? Selbstverständlich nicht im gleichen Tempo. Die Regierung reagierte auf dieses Problem – wie immer – mit hehren Versprechen und mäßig überzeugenden Statistikmanipulationen.
In Armenien war die Inflation ähnlich hoch, allerdings startete das Land bereits von einem höheren Lohnniveau aus und investierte parallel in Sozialprogramme. Aserbaidschan gelang es immerhin, die Inflation durch Preiskontrollen und Subventionen etwas abzufedern.
Infrastruktur und Investitionen: Stillstand auf georgische Art
Man könnte hoffen, dass Georgien wenigstens in die Infrastruktur investiert, um zukünftiges Wachstum zu sichern. Aber weit gefehlt. Während Armenien ernsthaft an Verkehrsprojekten wie dem Nord-Süd-Korridor arbeitet und Aserbaidschan seine Öl- und Gaseinnahmen clever in Straßen- und Eisenbahnbauten steckt, sind in Georgien viele Infrastrukturprojekte entweder in ewigen Ausschreibungsverfahren steckengeblieben oder an Korruption und Inkompetenz gescheitert. Die neue Autobahn zwischen Tiflis und Batumi? Ein Musterbeispiel georgischer Baukunst: endlose Baustellen, horrende Kostenüberschreitungen und zweifelhafte Bauqualität.
Fazit: Der Kaukasus – und Georgien als ewiger Hoffnungsträger
Zusammengefasst: Georgien steht im Vergleich zu Armenien und Aserbaidschan keineswegs so glänzend da, wie es die eigene Regierung gerne glauben machen möchte. Ohne die kurzfristigen Effekte der russischen Zuwanderung wären die georgischen Wirtschaftsdaten deutlich düsterer ausgefallen. Innovation, Exportvielfalt und nachhaltige Investitionen bleiben Schlagwörter, die zwar in Reden auftauchen, aber in der Realität konsequent ignoriert werden.
Wenn Georgien tatsächlich die wirtschaftliche Lokomotive des Kaukasus sein will, sollte es vielleicht endlich damit anfangen, die Gleise zu reparieren, bevor es weiter Vollgas in Richtung Wunschdenken fährt.
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