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Untersuchungshaft statt Untersuchungsausschuss?

Georgien hat eine lange und schmerzhafte Geschichte der politischen Polarisierung. Doch was sich derzeit unter der Regie von „Georgian Dream“ im Parlament abspielt, markiert einen neuen Tiefpunkt: Die sogenannte Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Jahre 2003–2012 ist zur Bühne eines politischen Tribunals verkommen. Ihr neuestes Opfer: Zurab „Girchi“ Japaridze, einer der bekanntesten und unbequemsten Oppositionspolitiker des Landes.

Wegen seiner Weigerung, vor der Kommission zu erscheinen, soll Japaridze nun in Untersuchungshaft genommen werden. Der Prozess gegen ihn beginnt am 22. Mai. Der Grund? Er erkennt die Legitimität der Kommission nicht an – und verweigert sich damit einem Gremium, das von vielen als bloßes Instrument zur Einschüchterung der Opposition gesehen wird. Und das mit gutem Grund.

Die Kommission, die keine ist

Ein aufschlussreicher Bericht der Georgischen Vereinigung junger Juristen (GYLA) analysiert detailliert die Entstehung und Arbeit der Untersuchungskommission. Das Fazit ist ebenso klar wie beunruhigend: Die Kommission wurde auf Initiative der Regierungsmehrheit geschaffen, ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Begründungen vorzulegen. Weder war das Untersuchungsziel ausreichend definiert, noch wurde transparent gemacht, welche konkreten Straftaten eigentlich untersucht werden sollen.

Stattdessen wird mit vagen Formulierungen und rückwärtsgewandten Schuldzuweisungen gearbeitet. Die Kommission soll angeblich die „Verbrechen des Regimes 2003–2012“ untersuchen – konkret betrifft das die Regierung von Saakaschwili und die „Vereinte Nationale Bewegung“. Doch faktisch geht es nicht um Aufklärung, sondern um Delegitimierung. Die Kommission untersucht einseitig, ohne fairen Zugang für Oppositionelle, und verfolgt offenbar das Ziel, eine juristische Grundlage für die Verbotsdiskussion oppositioneller Parteien zu schaffen.

Die politische Absicht ist offenkundig

Laut dem GYLA-Bericht besteht die Gefahr, dass diese Kommission nicht der Wahrheitssuche, sondern der politischen Säuberung dient. Die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung wurde unzureichend beachtet, die Erweiterung des Untersuchungszeitraums bis 2025 erfolgte ohne Begründung, und die Auswahl der Kommissionsmitglieder spiegelt keine politische Vielfalt wider. Auch wenn formal Vertreter anderer Fraktionen benannt wurden, stammen diese sämtlich aus dem Umfeld von „Georgian Dream“ oder dessen Satellitenparteien.

Diese „Untersuchung“ ist daher kein pluralistisches Kontrollorgan, sondern ein parteipolitisches Instrument. Die leitende Juristenorganisation GYLA warnt deutlich vor den Konsequenzen: Die Kommission missbraucht ihre formellen Befugnisse, um unbequeme Stimmen aus dem politischen Leben zu verdrängen. Das Ziel ist nicht die strafrechtliche Aufarbeitung – sondern die systematische Diskreditierung und letztlich Ausschaltung oppositioneller Kräfte.

Japaridze – Symbolfigur des Widerstands

Vor diesem Hintergrund ist die Weigerung von Zurab Japaridze, der Vorladung Folge zu leisten, nicht nur eine juristische Auseinandersetzung – sie ist ein Akt zivilen Widerstands. Japaridze erklärte, dass er eine Zusammenarbeit mit einem illegitimen Gremium verweigere, das keinerlei objektives Mandat habe. Dass er dafür nun möglicherweise ins Gefängnis muss, zeigt den repressiven Charakter dieser „Ermittlungen“. Es ist die Umkehr des Rechtsstaates: Nicht die Macht wird kontrolliert, sondern der Macht widersprechende Bürger werden kriminalisiert.

Japaridze ist dabei nicht allein. Insgesamt acht prominente Politiker*innen, darunter Giorgi Vashadze, Badri Japaridze, Nika Gvaramia und andere, wurden bereits bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, weil sie der Ladung nicht gefolgt sind. Der georgische Strafrechtsartikel 349 macht dies möglich – allerdings wurde diese Norm bisher kaum je gegen Oppositionsführer angewendet. Mit dem Fall Japaridze wird nun ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen.

Eine Kommission auf autoritärem Kurs

Die GYLA-Analyse betont mehrfach: Die Tätigkeit dieser Kommission verletzt die grundlegenden Prinzipien parlamentarischer Kontrolle. Anstatt Transparenz zu schaffen und Fehlverhalten unabhängig aufzuklären, wird sie zum Instrument der Regierung gegen politische Gegner. In einem gesunden parlamentarischen System wäre die Kommission ein Werkzeug zur Kontrolle der Exekutive. In Georgien 2025 ist sie zur Bühne politischer Rache verkommen.

Dabei sind die langfristigen Konsequenzen dramatisch: Wird diese Praxis zur Norm, droht der Verlust der parlamentarischen Kultur. Parteien, die heute die Mehrheit besitzen, können morgen selbst Ziel solcher Repression werden – ein Gedanke, der in einer echten Demokratie unvorstellbar sein sollte. Doch in Georgien, wo „Georgian Dream“ systematisch Institutionen untergräbt, ist dieser Albtraum bereits Realität.

Rechtsstaatlichkeit in der Krise

Der Fall Japaridze ist nicht nur ein persönliches Drama, sondern ein politischer Lackmustest. Wie das Verfahren gegen ihn geführt wird, zeigt, ob in Georgien noch Spuren rechtsstaatlicher Verfahren existieren – oder ob das Parlament zur Bühne eines autoritären Schauspiels degeneriert ist.

Die GYLA hat mit ihrem fundierten Bericht einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung geleistet. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass nationale wie internationale Beobachter dieses Spiel durchschauen – und dass Japaridze und andere nicht zu politischen Gefangenen einer „Untersuchungskommission“ werden, die diesen Namen nicht verdient.

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