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Giorgi Arevadze und die Liste der „furchtbaren Juristen“ – Wie Georgiens Justiz Vertrauen verspielt

Warum wir eine Liste führen

Tiflis24 wird eine Liste führen – eine Liste, die nicht der Ehre, sondern der Erinnerung dient. Wir nennen sie die „Liste der furchtbaren Juristen“, in bewusster Anlehnung an die deutsche Geschichte, wo man so die Juristen nannte, die während des Nationalsozialismus mit Urteilen und Gesetzen Unrecht in Recht verwandelten. Auch in Georgien wird diese Bezeichnung heute relevant, denn es gibt Richter, die mit ihren Entscheidungen bei politischen Verfahren das Vertrauen in die Justiz erschüttern.

Es geht nicht um private Vorwürfe, sondern um dokumentierte Fälle, die öffentlich einsehbar sind. Einer dieser Fälle trägt den Namen Giorgi Arevadze.

Der Fall Archil Museliantsi – vier Jahre Gefängnis wegen 534 Lari (171 Euro)

Am 30. November 2024 wurde der Aktivist Archil Museliantsi bei Protesten in Tbilissi festgenommen. Zunächst lautete der Vorwurf auf eine Ordnungswidrigkeit. Später stufte die Staatsanwaltschaft den Fall jedoch zu einer Straftat hoch: Artikel 187, Teil 2 des Strafgesetzbuches, Sachbeschädigung durch Feuer, Strafandrohung bis zu sechs Jahre Haft. Der angebliche Schaden: ein Kabel einer Überwachungskamera im Wert von 534 Lari.

Am Ende lautete das Urteil: vier Jahre Gefängnis. Gefällt wurde es vom Richter Giorgi Arevadze. Juristisch ist das Urteil rechtskräftig. Politisch sorgt es für Diskussionen, da viele Beobachter das Strafmaß für unverhältnismäßig halten und von einem abschreckenden Signal gegenüber Protesten sprechen.

Der Brief von Archil Museliantsi

Noch vor der Verkündung des Urteils schrieb Archil Museliantsi einen Brief an seine Unterstützer, der inzwischen öffentlich zitiert wird:

„Ich weiß, dass sie mich verurteilen werden. Doch die eigentliche Strafe trifft nicht mich, sondern das Land. Auch sechs Jahre würde ich verbüßen, wenn es für die Würde des Vaterlandes ist. Nur eins bitte ich euch: Kämpft weiter! Stellt euch vor, Ilia Chavchavadze hätte geschwiegen, Merab Kostava aufgegeben oder Giorgi Antsukhelidze nicht gekämpft. Wir alle kämpfen für ein freies und unabhängiges Georgien – und wir werden es erreichen.“

Dieser Brief macht deutlich, dass Museliantsi sein Urteil als politisch motiviert betrachtet.

Kritik am Verfahren

Im Laufe des Verfahrens wurden Fragen nach der Beweislage und der Prozessführung aufgeworfen. Museliantsi selbst erklärte vor Gericht, das Videomaterial, das ihn belasten sollte, sei geschnitten und manipuliert. Außerdem äußerte er Zweifel an der Vollständigkeit des vorgelegten Gutachtens. Internationale und nationale Beobachter – darunter Vertreter von NGOs – kritisieren allgemein, dass in politisch sensiblen Fällen die georgische Justiz nicht unabhängig genug agiert.

Es ist juristisch unstrittig, dass das Urteil ergangen ist. Strittig ist, ob es rechtsstaatlichen Standards genügt. Diese Diskussion betrifft nicht nur den Fall Museliantsi, sondern das gesamte Vertrauen in die georgische Justiz.

Giorgi Arevadze – ein Richter unter öffentlicher Beobachtung

Richter Giorgi Arevadze ist seit 2008 am Tbilisser Stadtgericht tätig. In der Öffentlichkeit wird er nun vor allem mit dem Urteil gegen Museliantsi in Verbindung gebracht. Ihm wird nicht vorgeworfen, ein Gesetz gebrochen zu haben, sondern dass er – wie viele georgische Richter – ein Urteil gesprochen hat, das Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen lässt.

Damit reiht er sich in eine Entwicklung ein, die von internationalen Institutionen wiederholt kritisiert wurde.

Parallele zu den „furchtbaren Juristen“

Die deutsche Geschichte kennt den Begriff der „furchtbaren Juristen“ aus der NS-Zeit. Gemeint waren Juristen, die Gesetze und Urteile im Sinne des Regimes sprachen und damit das Unrechtssystem stützten. Auch in Georgien gibt es heute Juristen, die mit ihren Urteilen im Zentrum politischer Verfahren stehen. Der Vergleich ist keine Gleichsetzung, sondern ein Hinweis: Wenn Richter Urteile fällen, die in der Gesellschaft als politisch motiviert gelten, dann erinnert das an historische Erfahrungen, bei denen Justiz ihre Unabhängigkeit verloren hat.

Vom Einzelfall zum Symbol

Archil Museliantsi ist nicht der einzige bekannte Fall. Auch die Journalistin Mzia Amaglobeli, Gründerin von Batumelebi und Netgazeti, wurde nach Protesten inhaftiert. Internationale Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International sprechen in solchen Fällen von politisch motivierten Verfahren. Richter, die diese Urteile fällen, geraten zwangsläufig ins Zentrum der Kritik.

Systemische Probleme in der Justiz

Das Problem liegt nicht nur bei einzelnen Richtern. Das Hohe Justizrat Georgiens, das eigentlich die Unabhängigkeit der Gerichte garantieren soll, ist wiederholt von der Venedig-Kommission und ODIHR kritisiert worden. Ernennungen seien politisiert, Transparenz fehle, Integritätsprüfungen existierten nicht. In einem solchen Umfeld verlieren auch einzelne Urteile ihre Legitimität in den Augen der Öffentlichkeit.

Die europäische Dimension

Während die georgische Regierung in Brüssel von EU-Integration spricht, zeigen Fälle wie Museliantsi und Amaglobeli, dass die Justiz in Georgien Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit aufwirft. Für die EU ist die Unabhängigkeit der Justiz jedoch ein Kernkriterium. Die Namen der Richter, die in politisch sensiblen Fällen harte Urteile fällen, werden deshalb auch in Europa wahrgenommen.

Ein Schaden von 534 Lari, ein Urteil über vier Jahre Gefängnis, ein Brief voller Patriotismus und ein Richter, der dieses Urteil sprach. Juristisch ist der Fall abgeschlossen, politisch ist er ein Symbol für die Krise der georgischen Justiz.

Giorgi Arevadze ist damit nicht irgendein Richter, sondern einer derjenigen, deren Urteile die öffentliche Diskussion über „furchtbare Juristen“ in Georgien erst auslösen.

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