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Daten, Druck, Demokratie: Interview mit Saba Brachveli über den Angriff auf Georgiens Zivilgesellschaft

Aktualisiert: 25. Juni

Am 17. Juni erhielten mehrere georgische Menschenrechtsorganisationen eine gerichtliche Anordnung, wonach sie verpflichtet seien, hochsensible personenbezogene Daten ihrer Begünstigten – darunter Identitäten, Fotos und Kommunikationsverläufe – an den Staat zu übergeben. Die Maßnahme, initiiert vom Anti-Korruptionsbüro, löste umgehend Proteste zivilgesellschaftlicher Akteure aus. Sie warnten, dass eine Kooperation nicht nur ethisch unvertretbar, sondern ein direkter Angriff auf die Rechte vulnerabler Gruppen sei. Entsprechend erklärten sie geschlossen ihre Weigerung, die Daten herauszugeben.

Wir sprachen mit Saba Brachveli vom Civil Society Foundation über die Hintergründe der Anordnung, die geplanten Gegenmaßnahmen und die Frage, wie sich Bürgerinnen und Bürger in dieser Lage überhaupt noch auf ihre verfassungsmäßigen Rechte berufen können.


„Wenn wir nur ein einziges Dokument nicht herausgeben, droht uns ein Strafverfahren“

Wie Brachveli berichtet, wurde die Verfügung am 17. Juni physisch übergeben. Sie basiere auf einem Antrag des Anti-Korruptionsbüros und verpflichte die Organisationen zur Herausgabe persönlicher Daten unter dem Vorwand einer laufenden Ermittlung. Doch der rechtliche Druck ist massiv: „Selbst wenn wir nur ein Dokument zurückhalten, gilt das bereits als Straftat nach Artikel 381“, so Brachveli. Damit würde ein juristischer Rahmen geschaffen für Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, Kontensperrungen und mögliche Anklagen gegen die Leitungspersonen der Organisationen.

Brachveli sieht in dem Vorgehen keine bloße Rechtsdurchsetzung, sondern einen gezielten Versuch, die Organisationen politisch mundtot zu machen: „Die Herausgabe von Drittdaten kommt für uns nicht infrage. Punkt.“


Betroffene Organisationen und Daten: Von Opferschutz bis Whistleblower

Zu den zuerst ins Visier genommenen Organisationen zählen etwa Sapari, die sich für Gewaltopfer unter Frauen und Kindern einsetzen, sowie Transparency International Georgia, die im Bereich Korruptionsbekämpfung aktiv ist. Inzwischen haben sich auch ISFED und die Open Society Georgia Foundation dem Widerstand angeschlossen.

Warum die Datenübergabe so heikel ist, erklärt Brachveli mit Blick auf die potenziellen Folgen: „Es geht nicht um gewöhnliche Verwaltungsdaten. Es geht um die Identität von Missbrauchsopfern, Whistleblowern und sozialen Projekten. Diese könnten veröffentlicht und somit Menschen gezielt bloßgestellt werden.“

Zwar existierten manche Informationen – wie etwa Förderverträge – bereits bei Behörden wie dem Finanzamt. Doch dort unterliegen sie der Geheimhaltung: „Daten, die im normalen Verfahren als Geschäftsgeheimnis gelten, sollen hier plötzlich öffentlich gemacht werden. Das verletzt jede Form von Privatsphäre.“


Politischer Druck, Propaganda – und eine neue Welle der Repression?

Der Widerstand wird zunehmend kriminalisiert. So wurde Sapari unter anderem von Justizminister Paata Salia und dem Parlamentsvize Gia Volski öffentlich beschuldigt, Beweise zu vernichten – nur weil die Organisation Daten von Gewaltopfern vernichtet hatte, um sie zu schützen. Brachveli spricht von „haltloser Propaganda“.

Parallel dazu läuft der juristische Kampf weiter. Der Civil Society Foundation hat Rechtsmittel gegen die Anordnung eingelegt. „Wir erwarten eine Entscheidung in Kürze – auch wenn die Erfolgsaussichten minimal sind. Unsere gesetzte Frist zur Übergabe ist ohnehin bereits verstrichen“, so Brachveli. Die große Frage sei nun: Wird das Gericht eine neue Frist ansetzen und dadurch die Tür für direkte Repressionen öffnen?


Deutschland im Fokus: DAAD-Stipendium für Sohn eines Clansrichters

Ein besonders heikler Aspekt betrifft die internationale Dimension. Tiflis24 wurde zugetragen, dass Goga Kikilashvili, Sohn eines hochrangigen Richters und Mitglieds des georgischen Justizrates, ein DAAD-Stipendium erhalten hat und damit demnächst nach Deutschland reist. Für Brachveli ein Skandal: „Sowohl Vater als auch Sohn sind zutiefst korrupte Akteure. Dass solche Personen mit deutschem Geld nach Europa eingeladen werden, ist politisch fatal.“

Da auf EU-Ebene Länder wie Ungarn und die Slowakei Sanktionen blockieren, plädiert Brachveli für Maßnahmen auf nationalstaatlicher Ebene: „Ein einzelnes EU-Land wie Deutschland kann mit Einreisesperren ein klares Signal setzen – und das wirkt. Wir kennen Fälle, wo Sanktionierte an EU-Grenzen abgewiesen wurden.“


Die Angst des Regimes: Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit

Trotz der wachsenden Repression sieht Brachveli keine Alternative zum Widerstand. „Dieses Regime fürchtet drei Dinge: Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit.“ Seit Dezember 2024 seien 16 Gesetze verabschiedet worden, die genau diese Rechte einschränken sollen. „Sie wollen die Zivilgesellschaft zerstören – aber genau diese Rechte sind unsere stärkste Waffe.“

Die Antwort der Zivilgesellschaft müsse daher sein: nicht nachgeben. „Organisieren, protestieren, sprechen – genau das ist ihre größte Angst. Und unser größter Hebel.“


Interview mit Saba Brachveli: „Sie wollen uns zum Schweigen bringen – mit juristischen Mitteln“


Tiflis24: Können Sie zunächst präzisieren, wann und in welcher Form Sie die gerichtliche Anordnung zur Herausgabe personenbezogener Daten erhalten haben?

Saba Brachveli: Die Anordnung wurde uns am 17. Juni persönlich übergeben. Das Anti-Korruptionsbüro hatte sie beim Gericht beantragt, das Gericht hat dem stattgegeben und die Anordnung dann dem Büro zur Übergabe an uns weitergeleitet. So wurde sie uns – und allen anderen betroffenen Organisationen – zugestellt.

Tiflis24: Was ist Ihrer Einschätzung nach das Ziel dieser Datenanforderung? Warum fordert der Staat sensible Informationen wie Namen, Fotos oder private Kommunikation von Begünstigten an?

Saba Brachveli: Es wäre spekulativ, über die genauen Motive zu sprechen. Aber eines ist klar: Man wusste im Vorfeld, dass wir unter keinen Umständen Daten Dritter weitergeben würden. Das ist für uns ausgeschlossen. Strafrechtlich ist die Lage so, dass bereits das Zurückhalten eines einzigen Dokuments – bei einer Anfrage von zehn – als Verstoß gegen Artikel 381 gewertet wird. Das reicht als Grundlage für Ermittlungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, Kontensperrungen oder sogar Anklagen gegen die Leitungspersonen der Organisationen. Das Ziel scheint also zu sein, mit juristischen Mitteln politische Repression auszuüben und unsere Arbeit zu blockieren.

Tiflis24: Warum wäre eine Herausgabe dieser Daten konkret gefährlich für Ihre Begünstigten?

Saba Brachveli: Weil das Anti-Korruptionsbüro die Informationen ganz leicht veröffentlichen könnte. Die acht betroffenen Organisationen arbeiten mit besonders schutzbedürftigen Gruppen – Sapari beispielsweise unterstützt Frauen und Kinder, die Opfer häuslicher Gewalt wurden. Transparency International Georgia beschäftigt sich mit Korruption und hat Whistleblower unter ihren Quellen. Wenn deren Identitäten öffentlich werden, gefährdet das diese Menschen massiv.

Wir haben Hunderte von Projektpartner:innen, die im genannten Zeitraum Förderungen erhielten. Diese Verträge liegen zwar ohnehin beim Finanzamt – aus steuerlichen Gründen –, aber dort gelten sie als Geschäftsgeheimnisse. Der Staat kann sie einsehen, aber nicht veröffentlichen. Uns will man die Daten abnehmen, um sie gezielt zu veröffentlichen – mit dem Ziel, die Privatsphäre der Betroffenen zu verletzen.

Tiflis24: Sie und andere Organisationen haben angekündigt, die Daten nicht zu übergeben. Haben Sie bereits juristische oder politische Drohungen erhalten?

Saba Brachveli: Ja. Am 18. Juni erklärten sieben Organisationen öffentlich, dass sie unter keinen Umständen Daten von Begünstigten herausgeben werden. Zwei weitere schlossen sich an – darunter unsere „Zwillingsorganisation“, die Open Society Foundation Georgia, sowie ISFED. Keine dieser Organisationen wird die Daten weitergeben.

Wir haben gemeinsam Beschwerde eingelegt – diese wird aktuell vom Berufungsgericht ohne mündliche Anhörung geprüft. Auch wenn wir keine großen Hoffnungen haben, erwarten wir eine Entscheidung. Unsere ursprünglich gesetzte Frist zur Übergabe ist abgelaufen. Nun wird das Gericht voraussichtlich eine neue Frist ansetzen. Danach entscheidet sich, ob das Regime mit repressiven Maßnahmen gegen uns beginnt.

Bisher handelt es sich vor allem um verbale Angriffe. Sapari wurde etwa von Gia Volski und Justizminister Paata Salia öffentlich beschuldigt, Beweismittel vernichtet zu haben – nur weil sie sensible Daten zum Schutz ihrer Begünstigten gelöscht hatten. Das ist reine Propaganda.

Tiflis24: Uns wurde zugetragen, dass der Sohn eines georgischen Clan-Richters – Giorgi Kikilashvili, Mitglied des Justizrats – mit einem DAAD-Stipendium nach Deutschland reist. Was sagen Sie dazu?

Saba Brachveli: Sowohl Vater als auch Sohn Kikilashvili sind zutiefst korrupte Akteure. Es ist absolut notwendig, dass die Liste der sanktionierten Personen erweitert wird. Auf EU-Ebene ist das schwierig, wegen der Blockade durch Ungarn und die Slowakei. Aber auch Einzelmaßnahmen von Staaten wie Deutschland können wirken.

Wir kennen Fälle, in denen sanktionierte Personen oder deren Familienangehörige an EU-Grenzen abgewiesen wurden – weil Grenzbeamte Zugang zu Datenbanken anderer Mitgliedstaaten haben. Deshalb ist es essenziell, dass auch Deutschland den Druck erhöht – gerade gegenüber Angehörigen des Justizklans und jenen, die das georgische Justizsystem politisch kontrollieren. Sanktionen treffen diese Personen empfindlich.

Tiflis24: Wie sollen sich Bürgerinnen und Bürger in einer solchen Situation verhalten? Wie kann die Zivilgesellschaft ihre Rechte verteidigen?

Saba Brachveli: Seit Ende November 2024 erleben wir eine Protestbewegung, wie es sie in Georgien nie zuvor gab. Und wir sehen klar, was die Regierung am meisten fürchtet: die drei Grundfreiheiten – Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit.

Seit Dezember wurden 16 Gesetze verabschiedet, die gezielt diese Freiheiten einschränken. Ziel ist es, nicht nur die Zivilgesellschaft zu zerschlagen, sondern selbst öffentliche Äußerungen, auch in sozialen Netzwerken, zu kriminalisieren.

Unsere Antwort muss sein: genau diese Freiheiten weiterhin zu praktizieren. Sich zu organisieren, zu protestieren, sich zu äußern – das ist unsere größte Stärke. Und die größte Angst des Regimes.

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