top of page

Widerstand? Aber bitte dekorativ

Wahlen in Georgien 2025. Noch einmal wird das Land aufgerufen, sich selbst von der Legitimität der Macht zu überzeugen. Noch einmal erklären Parteien, dass sie „dem Regime den Kampf ansagen“ – diesmal auf dem „lokalen Wahlfeld“. Es klingt kämpferisch, pathetisch, heldenhaft. Die Koalition „Lelo – Starke Georgien“ wirbt damit, eine neue Front gegen den russischen Einfluss zu eröffnen. Gakharias Partei „Für Georgien“ ruft dazu auf, kein Terrain kampflos zu überlassen.

Man hört große Worte. Kampf gegen das „russische Regime“, gegen „Diktatur“, gegen „Fremdherrschaft“. Doch bei aller martialischen Rhetorik drängt sich eine unbequeme Frage auf: Kämpfen sie wirklich – oder spielen sie nur brav mit? Wer die georgische Politik aufmerksam verfolgt, erkennt schnell ein Muster. Ein Spiel, dessen Regeln längst feststehen. Und ein System, das seine Gegner nicht tötet, sondern kooptieren möchte.

Oder, um es in ein Bild zu fassen: Willkommen bei Georgiens ganz eigener Version von Squid Game.


Arena der Demokratie – oder perfekt inszenierte Spielshow?

Die Metapher drängt sich auf. In Squid Game werden verzweifelte Menschen in eine groteske Arena gezwungen, wo sie um ihr Leben spielen. Auf den ersten Blick haben sie die Wahl: mitspielen oder sterben. Doch diese Wahl ist eine Farce. Wer draußen bleibt, hat keine Perspektive. Wer drinnen bleibt, spielt nach den Regeln der Veranstalter. Regeln, die sich nur im Detail ändern, aber immer das gleiche Ziel haben: den Teilnehmern die Illusion von Kontrolle geben.

Genauso funktionieren georgische Wahlen unter den Bedingungen des Jahres 2025. Die Regierung ruft zur „freien Wahl“ auf. Die Opposition darf teilnehmen – formell gleichberechtigt. Es gibt Wahlurnen, Wahllokale, Wahlkommissionen, Kameras. Und doch wissen alle, wie das Spiel endet. Der Apparat ist durchsetzt von Loyalisten. Verwaltung und Medien sind gleichgeschaltet. Kritische Stimmen werden kriminalisiert oder eingeschüchtert.

So wird die Wahl nicht zum Instrument der Erneuerung, sondern zur Bühne, auf der das Regime seine Legitimität aufführt.


„Wir eröffnen einen neuen Kampfplatz“

Genau das verkauft die Koalition „Lelo – Starke Georgien“ nun als strategischen Clou. Man wolle, so ihr Generalsekretär, „noch einen Kampfschauplatz eröffnen“ gegen das russische System. Als ob das Regime nicht genau darauf spekulierte. Denn nichts stärkt eine autoritäre Ordnung so sehr wie eine Opposition, die sich brav an den Wahlkampfkalender hält. Die öffentlich verkündet, die Wahl sei ein Kampf – und damit jene Illusion nährt, es gäbe überhaupt noch ein Spielfeld für fairen Wettstreit.

Man kennt das aus Squid Game: Immer, wenn die Teilnehmer aufbegehren und das Spiel boykottieren wollen, werden sie wieder eingelullt. „Ihr wollt eine faire Chance? Dann spielt. Ohne uns gibt es keine Rettung.“ Die Spielleiter wissen, wie man Verzweiflung in Gehorsam verwandelt.

Auch in Georgien sagt man der Opposition: „Entweder ihr spielt mit – oder ihr verschwindet.“ Und sie spielen. Immer und immer wieder.


Die Rückkehr ins Spiel – aus Angst, irrelevant zu werden

Es lohnt sich, die offizielle Begründung der oppositionellen Kandidaten zu analysieren. Beka Liluashvili, Spitzenmann von „Gakharia – Für Georgien“, sagt im Interview mit Tiflis24:

„Wir glauben, dass alle Kampffelder genutzt werden müssen – und die Wahlen sind eines davon.“

Das klingt pragmatisch. Realistisch. Und doch ist es genau die Sprache der Verlierer. Denn was bedeutet „alle Kampffelder nutzen“, wenn der Gegner alle kontrolliert? Wenn die Wahlkommission, die Medien, die Sicherheitsbehörden – selbst die Wahrnehmung der Öffentlichkeit – von der Regierungspartei dominiert werden?

Im Squid Game heißen diese „Kampffelder“ schlicht neue Spiele. Jede Runde wird tödlicher, die Regeln unfairer, die Aussicht auf Sieg absurder. Und doch kehren die Spieler zurück – weil draußen nichts mehr auf sie wartet.


Die Illusion des Ausstiegs

Auch das gehört zur Analogie: Im Squid Game dürfen die Teilnehmer theoretisch das Spiel abbrechen. Sie stimmen demokratisch ab. Und sie verlassen tatsächlich die Arena. Für einen Moment.

Doch draußen erwartet sie Hunger, Schulden, Gewalt. Also kehren sie zurück. Und genau darauf spekuliert das Regime. Wer den Boykott fordert, stellt sich gegen die eigene Existenzgrundlage. Politische Parteien leben von Sichtbarkeit, Geld, Netzwerken, Wahllisten. Ein Wahlboykott bedeutet, all das zu riskieren. Kein Budget. Keine Mandate.

Die Regierung weiß: Solange sie die Infrastruktur politischer Existenz kontrolliert, wird die Opposition immer wieder zurück in die Arena kriechen.


Ein Spiel ohne Regeln – oder nur mit gebrochenen Regeln?

Die Vertreter von „Lelo – Starke Georgien“ erklären auf ihrer Pressekonferenz, dass sie nicht „einen Zentimeter Freiheit“ aufgeben werden. Sie beschwören einen großen, gerechten Kampf.

Doch was ist das für ein Kampf, wenn der Ringrichter bestochen ist? Wenn die Spielregeln jederzeit geändert werden können? Wenn Gegner disqualifiziert, inhaftiert oder medial zerstört werden?

Die Kommunalwahlen 2021 lieferten den Prototypen für dieses Modell. Systematische Verstöße, Missbrauch administrativer Ressourcen, Desinformationskampagnen, angedrohte oder ausgeübte Gewalt. Keine einzige dieser Praktiken wurde seitdem abgeschafft. Im Gegenteil – das System wurde weiter perfektioniert.


Der wahre Nutzen für das Regime

Das Regime liebt Wahlen. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Inszenierung. Denn sie liefern den Beweis, dass Georgien angeblich eine Demokratie sei. Internationale Partner werden beruhigt. Fördermittel bleiben. Sogar Sanktionen lassen sich so abwenden.

Die Teilnahme der Opposition ist dafür keine Gefahr – sondern ein Geschenk. Solange sie auf der Kandidatenliste steht, kann das Regime mit dem Finger auf die Urnen zeigen und sagen: „Seht her, alle dürfen antreten!“

Es ist exakt die Logik von Squid Game: Ohne Spieler gibt es keine Show. Die Regierung braucht die Opposition, damit sie weiter Oppositionsrolle spielt.


Aber was ist die Alternative?

Genau hier wird es unbequem. Beka Liluashvili stellt selbst eine sehr schlaue Frage an seine Kritiker:

„Was passiert nach dem Boykott?“

Eine berechtigte Frage. Denn natürlich bedeutet ein Boykott nicht automatisch Wandel. Aber es bedeutet immerhin: sich dem Spiel zu verweigern. Die Show zu entlarven. Die internationale Öffentlichkeit zu zwingen, über die Farce zu sprechen.

Wer dagegen teilnimmt, liefert den Beweis, dass das Spiel funktioniert.


„Wir können in Tiflis gewinnen“

Gakharias Partei argumentiert, dass selbst manipulierte Wahlen Chancen bieten: ein Stadtratssitz hier, ein Bürgermeisteramt da. Sichtbarkeit. Hebelwirkung.

Aber sind diese Ämter wirklich Hebel? Die georgische Realität zeigt: Selbst wenn die Opposition in Tiflis gewinnt, bleiben zentrale Ressourcen beim Innenministerium, beim Ministerium für Regionalentwicklung, bei loyalen Beamten. Haushalte werden blockiert. Projekte gestoppt. Bürgermeister entmachtet.

Squid Game zeigt: Manche Runden kann man überleben – das Spiel selbst aber nie gewinnen.


Die moralische Falle

Das System zwingt die Opposition in eine perfide Falle. Wer nicht antritt, ist „untätig“ oder „verräterisch“. Wer antritt, wird Teil der Legitimation.

Die Regierung kann sich zurücklehnen. Jeder Wahlkampf der Opposition mobilisiert Bürgerinnen und Bürger – aber nicht gegen das System, sondern innerhalb seiner Parameter. Jede Kampagne steigert die Wahlbeteiligung – und damit den Wert des autoritären Siegels.


Was wäre ehrlicher?

Ehrlicher wäre, das Kind beim Namen zu nennen: Diese Wahlen sind keine Arena des Widerstands, sondern eine Arena der Kooptation. Ein Mittel zur Disziplinierung. Ein Spiel mit nur einem wahren Gewinner.

Wer wirklich Opposition sein will, muss bereit sein, das Spiel zu zerstören. Boykott ist keine Kapitulation. Boykott ist ein Akt der Delegitimierung.


Wenn heute Parteien wie „Lelo – Starke Georgien“ und „Gakharia Für Georgien“ mit Pathos und Kriegssprache in die Kommunalwahlen ziehen, sollte man sie daran erinnern, wie Squid Game funktioniert.

Es beginnt mit dem Versprechen einer Chance. Es endet mit dem Tod derer, die gegeneinander antreten – während die Spielleiter auf dem Balkon Beifall klatschen.

Comments


© 2025 – Betrieben und geschützt von Tiflis24

  • Facebook
  • X

Georgische Nachrichten auf Deutsch

Spende über PayPal tätigen

Jetzt abonnieren und über neue Beiträge informiert bleiben

bottom of page