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Wem dient Kandashvili wirklich? Anwälte sprechen von Druck, Karussellen und vorgegebenen Ergebnissen

Am 13. und 14. Dezember finden in der Anwaltskammer Wahlen statt, bei denen neben den Mitgliedern der Leitungsorgane auch der Vorsitzende gewählt werden soll. Für den vakanten Vorsitz der Kammer sind sechs Kandidaten nominiert. Üblicherweise sind die Wahlen der Kammer aufgrund der Spezifik dieses Berufsfeldes wenig öffentlichkeitswirksam. Dieses Jahr haben jedoch die Ereignisse rund um einen der umstrittenen Kandidaten für den Vorsitz diese Wahl in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt.


Es geht um den Anwalt Irakli Kandashvili, der zugleich Vorsitzender der georgischen Mediatorenvereinigung ist. Er gehört zu denjenigen, die ihre Kandidatur für den Vorsitz der Anwaltskammer eingereicht haben. Bereits zuvor gab es die Einschätzung, dass er innerhalb der Kammer der gewünschte und unterstützte Kandidat der „Georgischen Träume“ sei. Zudem wird darüber gesprochen, dass Kandashvili ein Freund des amtierenden Vorsitzenden Davit Asatiani ist, der in Anwaltskreisen ebenfalls als von der „Georgischen Träume“ unterstützte Person gilt und dessen Wahl 2017 ebenfalls unter lautstarken Auseinandersetzungen und Konflikten stattfand.

Besondere Bedeutung gewann diese Einschätzung, nachdem Kandashvili der Journalistin Telara Gelantia in der BMGTV-Sendung „Tsertili“ ein Interview gab.


Was haben wir im Interview gehört?

Journalistin: „Hat die ‚Georgische Träume‘ Artikel 78 der Verfassung Georgiens verletzt, als sie am 28. November erklärt hat, dass sie bis 2028 auf die EU-Integration verzichtet?“

Kandashvili: „Ich entscheide mich für Europa. Aber ob aus rechtlicher Sicht die Verfassung verletzt wurde oder nicht – da gelangen wir zu individuellen Bewertungen. Ein Jurist muss sich auf Dokumente stützen. Vor etwa zwei Wochen wurde ein bestimmtes Dokument veröffentlicht, das besagt, dass die Europäische Union gegenüber dem georgischen Staat die Frage der Integration ausgesetzt hat. Als am 28. November des Vorjahres diesbezüglich eine Erklärung abgegeben wurde, hatte ich persönlich diese Information nicht.“ – sagte Kandashvili [Stil beibehalten].


Auf den weiteren Einwurf der Journalistin, dass das Land bis zum 28. November viele Etappen durchlaufen habe, darunter die 9 und 12 Empfehlungen der EU, die nicht umgesetzt wurden, antwortete Kandashvili: „Wenn wir im politischen Diskurs sind, können wir darüber reden. Ich gebe keine politischen Bewertungen ab, ich bin Anwalt.“

Im selben Interview erklärte Kandashvili, Georgien befinde sich heute auf dem Weg der EU-Integration. Einer der Kandidaten für den Vorsitz der Anwaltskammer macht diese Aussage vor dem Hintergrund, dass die Bürgerinnen und Bürger Georgiens seit über einem Jahr mit ununterbrochenen Protesten die Politik der „Georgischen Traum“ und die Abkehr vom europäischen Kurs anprangern, während die Antwort des Oligarchen-Teams darin besteht, drakonische Gesetze zu verabschieden, Demonstrant:innen zu verprügeln und festzunehmen.


„Die Anwaltskammer bereitet sich auf Wahlfälschung vor“ – was sagt Kandashvilis Konkurrent? Offene Anschuldigungen und Konfrontation


Einer der Kandidaten für den Vorsitz der Anwaltskammer ist Mukhran Gurtskaia. Er sagt offen, dass Kandashvili der Wunschkandidat der „Georgischen Traum“ sei. Welche Argumente und Belege hat er dafür? Tiflis24.de hat ein ausführliches Interview mit ihm geführt.


Tiflis24: „Welche Faktoren und begründeten Zweifel lassen Sie denken, dass Irakli Kandashvili der Wunschkandidat der ‚Georgischen Träume‘ ist?“


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Mukhran Gurtskaia: „Irakli Kandashvili ist der von der Anwaltskammer unterstützte Kandidat, das ist eine Tatsache. Kandashvili war über Jahre hinweg Mitglied des Exekutivrats der Anwaltskammer – sowohl in der Zeit von Davit Asatiani als auch schon davor. Außerdem hält er Schulungen zum Thema Mediation.

Als ich in die Regionen fuhr, um mich mit Anwält:innen zu treffen, hielt er parallel zu meinen Treffen Schulungen ab, damit die Anwält:innen nicht zu mir kommen. Die Anwaltskammer setzte Schulungen mit der Teilnahme von Irakli Kandashvili an, und in Wirklichkeit fanden keine Schulungen statt, sondern Wahlkampf. Das geschah mit den Ressourcen der Anwaltskammer – inklusive Hotel, Verpflegung –, als ob er Schulungen abhielte, tatsächlich aber Wahlveranstaltungen. Wenn die Kammer einen bestimmten Kandidaten in eine solche privilegierte Position bringt – was soll man anderes denken?

Wenn er den Kandidat:innen heute verspricht: ‚Ich werde dies und jenes tun‘ – er war jahrelang Mitglied des Exekutivrats. Warum hat er es dann nicht getan? Der Exekutivrat trifft in der Kammer die Entscheidungen. Ich bin der Meinung, dass die Kammer ihn offen lobbyiert.“


Tiflis24: „Welche Beziehung besteht zwischen Kandashvili und dem amtierenden Vorsitzenden der Kammer, Davit Asatiani, der in bestimmten Anwaltskreisen als ‚Kandidat der Georgischen Träume‘ gilt?“


Mukhran Gurtskaia: „Sie sind Freunde. Nach meinen Informationen sagt Asatiani den Kammermitgliedern offen, sie sollen Kandashvili unterstützen. Genau deshalb ruft man aus der Kammer bei Anwält:innen an und fordert sie auf, zu Treffen mit Kandashvili zu erscheinen. Der Koordinator ruft an und sagt, dass es ein Treffen mit Kandashvili gibt. Warum ruft er nicht an und sagt, dass es ein Treffen mit Mukhran Gurtskaia gibt oder mit Irakli Tshomakhashvili? Warum informiert er die Leute nicht, wenn er uns alle in eine gleiche Ausgangsposition bringen will? Die Kammer gehört allen und muss neutral sein und keinen Kandidaten bevorzugen. Die Kammer möchte, dass Kandashvili ihre Fortsetzung wird. Aber sie haben in Wirklichkeit keine Unterstützer. Das Hauptziel ist, bei den Wahlen ein sogenanntes Karussell zu organisieren.“


Tiflis24: „Was haben Sie von der Kammer gefordert, um die Mechanismen der Wahlfälschung bei den Kammerwahlen auf ein Minimum zu reduzieren, und was war das Ergebnis?“


Mukhran Gurtskaia: „Bei der Sitzung des Exekutivrats wurde keine unserer wichtigen Forderungen erfüllt. Es lag nicht in ihrem Interesse. Folgendes passiert:

  1. Mandatskommission – sie besteht aus 30 Personen, die Zusammensetzung stellt der Vorsitzende der Anwaltskammer vollständig selbst zusammen. Man sagte uns, 18 Personen seien das Personal und den Rest würden wir anwerben – wer diese Leute sind, wissen wir nicht. Am 13. Dezember sollen sie an der Wahl der Stimmenzählkommission teilnehmen. Die Stimmenzählkommission mit 15 Personen wählen wir über das Portal, doch die Ergebnisse verkündet die Mandatskommission. Keiner von uns Kandidaten hat auch nur einen Vertreter in dieser Kommission – können Sie sich das vorstellen? Wie diese Leute die Stimmen der Anwält:innen zählen werden, ist unkontrollierbar, egal, ob es ein Portal gibt oder nicht. Diese 30 Personen sind auch am 14. Dezember im Wahlprozess beteiligt.

  2. Beobachter:innen – ursprünglich war nur ein Beobachter vorgesehen, und nach hartem Ringen haben wir vier Beobachter erkämpft. Wie sollen diese vier Beobachter 18 Geräte kontrollieren?

  3. ‚Karussell‘ – es gibt Anwält:innen, deren Mitgliedschaft ruhend gestellt ist, die aber noch einen Ausweis haben. Wer nicht kommt, dessen Ausweise können beliebigen Personen gegeben werden, die mit einem Personalausweis hineingehen. Wenn du kein Kommissionsmitglied an deiner Seite hast, überprüft niemand etwas. Ein Beobachter allein kann nicht alles kontrollieren. Diese Person kommt mit einem Personalausweis und einem Ausweis – selbst wenn der Ausweis einer anderen Person gehört – die Mandatskommission wird das nicht prüfen, und der Stimmzettel landet in der Urne. Hier liegt das Karussell, das zum Stimmenfang für einen bestimmten Kandidaten eingesetzt werden kann. Deshalb haben wir verlangt, dass die Kandidaten Vertreter in der Mandatskommission haben.“

„Genau auf Grundlage dieser Informationen sagen wir, dass sich die Kammer auf die Fälschung der Wahlen vorbereitet. Sie haben praktisch keine Unterstützer, deshalb ist es umso besser, je mehr Menschen zur Wahl kommen. Aus den Treffen ist ersichtlich, dass Kandashvili keine große Unterstützung durch Anwält:innen hat. In der Kammer möchte man, dass die Wahl zugunsten von Kandashvili ausgeht.“


Tiflis24: „Wie glauben Sie, wird die Arbeit der Anwaltskammer weitergehen, wenn Kandashvili gewinnt?“


Mukhran Gurtskaia: „Es kann nicht sein, dass einem Kandidaten für den Vorsitz der Anwaltskammer die Frage gestellt wird, ob ein Bußgeld von 5000 Lari für das Blockieren von Straßen gerecht ist, und er sagt: ‚Das hängt vom legitimen Ziel ab.‘ Egal wie legitim das Ziel sein mag – man darf Menschen für das Blockieren einer Straße nicht bestrafen, und zweitens darf es dafür keine strafrechtliche Verantwortlichkeit geben. Wenn er keine Position dazu hat, ob Artikel 78 der Verfassung verletzt wurde oder nicht, und dies nicht klar äußert – wie soll ein solcher Kandidat die Rechte der Anwält:innen verteidigen, wenn es nötig wird? Vielleicht scheut er sich davor, den Vorsitzenden der Kammer und sein Unterstützerteam zu verärgern und sagt deshalb nichts. Wenn er aber wirklich so denkt, ist das ein sehr schlechtes Zeichen.

Wenn Kandashvili gewinnt, wird in der Kammer nicht einmal der Status quo erhalten bleiben – die Tätigkeit der Organisation wird in Richtung Stagnation gehen.“


Kandashvilis Abschlusspräsentation an der Staatlichen Universität Tiflis


Am 6. Dezember hielt Irakli Kandashvili seine abschließende Veranstaltung zur Wahlkampagne mit der Präsentation seines Programms im I. Gebäude der Staatlichen Universität Tiflis (TSU), im Großen Saal. Er ist der einzige Kandidat, dessen Programmpräsentation in der Staatlichen Universität Tiflis durchgeführt wurde. Um Details zu klären, haben wir den Rektor der Universität, Jaba Samushia, kontaktiert.


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Jaba Samushia: „Ich bin über die Einzelheiten nicht im Bilde. Es ist möglich, dass der Saal gemietet wurde, ich kann es nicht genau sagen. Bei uns gibt es eine solche Praxis. Es gibt keine andere Form, einen Saal zu überlassen. Die Details kenne ich nicht. Die Überlassung erfolgt stundenweise, sofern der Saal frei ist. Die Veranstaltung muss in irgendeiner Weise mit dem universitären Leben verbunden sein.


Tiflis24: „Welche Verbindung hat die Präsentation des Wahlprogramms eines Kandidaten für den Vorsitz der Kammer mit dem universitären Leben?“


„Nun ja, wenn man die zukünftigen Anwält:innen an der staatlichen Universität berücksichtigt – wahrscheinlich, ich weiß es nicht. Ich kann Ihnen direkt bestätigen, dass ich zu diesem konkreten Vorgang wirklich nichts weiß. Wenden Sie sich an die Verwaltung“, sagt Jaba Samuschia gegenüber Tiflis24.


Was denken Anwält:innen?

Zur Person von Irakli Kandashvili gibt es auch bei praktizierenden Anwält:innen Fragezeichen, die am 13. und 14. Dezember an der Wahl der Kammer teilnehmen und einem der Kandidaten ihre Stimme geben sollen. Unter ihnen ist der Anwalt Shota Tutberidze, der in den letzten eineinhalb Jahren die Rechte zahlreicher bei pro-europäischen Demonstrationen festgenommener Bürger:innen verteidigt hat.


Tiflis24: „Irakli Kandashvili ist einer der Kandidaten für den Vorsitz der Kammer, dessen Kandidatur und Neutralität von einem konkurrierenden Kandidaten offen in Frage gestellt wurden. Welche Position haben Sie als Anwalt zu den laufenden Vorgängen?“

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Shota Tutberidze: „Ich kenne alle Kandidaten persönlich, darunter Herrn Kandashvili. Als ich sein Interview mit BM.GE sah, empfand ich Unbehagen und das, was man ‚fremdschämen‘ nennt. Ich habe von Irklis Qualifikation kein so schlechtes Bild, dass er nicht wüsste, wie in Georgien die Menschenrechte schon auf legislativer Ebene verletzt werden. Dennoch schwieg er sogar bei der Bewertung eines normativen Aktes und versuchte, der Frage auszuweichen. Das führt zu Enttäuschung und peinlicher Scham.

Ein weiterer Grund für dieses Ausweichen könnte sein, dass er seine eigene Meinung gegenüber bestimmten Personen nicht äußern will und seine Position verbirgt. Ich bin sicher, dass er sehr wohl weiß, dass die Rolle der Anwält:innen in der georgischen Justiz vom Staat – auch wegen der Voreingenommenheit der Gerichte – mit Füßen getreten wird. Er möchte daher wohl diejenigen nicht verärgern, die innerhalb der Kammer andere politische Präferenzen haben könnten.

Wenn ein Kandidat für den Vorsitz der Kammer glaubt, dass die Äußerung seiner eigenen Meinung seinem Wahlergebnis schaden könnte – warum nimmt er dann überhaupt an der Wahl teil?“


„Als ich Kandashvilis Interview sah, hatte ich genau das gleiche Gefühl wie bei Sprecher:innen der ‚Georgischen Träume‘, die versuchen, keine Position zu den Prügelattacken auf der Straße und zu repressiven Gesetzen zu beziehen, und denen man im Gesicht ansieht, was die richtige Position wäre, die aber nicht den Mut haben, es zu sagen. Sie wollen ihre Position bewahren und gleichzeitig direkten Nutzen von der Regierungspartei erhalten und enthalten sich deshalb der Wahrheit und dem Aussprechen dessen, was sie denken. Auch Irakli hinterließ einen solchen Eindruck, und man kann durchaus annehmen, dass sein Ziel war, jene Gruppe nicht zu verärgern, die klare politische Präferenzen hat.

Sie wissen, dass das Interesse an dieser Wahl nicht nur bei Anwält:innen sehr groß ist, sondern auch beim Staatssicherheitsdienst (SUS) und bei staatlichen Strukturen. Leider beeinflussen politische Prozesse auch die Wahlen der Kammer, und der Staat ist daran interessiert, einen ‚eigenen Mann‘ als Vorsitzenden zu haben.“


Tiflis24: „Wenn wir dieses Interview hinter uns lassen – gibt es weitere Argumente, die Sie zu der Annahme bringen, dass Irakli Kandashvili ein Regierungskandidat sein könnte?“


Shota Tutberidze: „Es gibt viele Indikatoren, die mich zu der Überzeugung bringen, dass Kandashvili vielleicht der wünschenswerteste Kandidat für jene staatlichen Strukturen ist, die versuchen, Einfluss auf die Wahlen zu nehmen. Dazu gehören auch die Personen, die ihn in der Kammer unterstützen. Die Kammer hat in den letzten Jahren zumindest eine Politik des Nicht-Provozierens verfolgt… Herr Irakli wird diese Linie vermutlich fortsetzen, und im Fall seiner Wahl wird es so weitergehen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Anwält:innen ganz normale Bürger:innen sind. Ich bin Herrn Iraklis zivilgesellschaftliche Position nie begegnet – keine einzige kritische Äußerung zu zahlreichen Gesetzesverstößen, Ungerechtigkeiten, Verfassungsverletzungen, die in Georgien in letzter Zeit sehr häufig sind. Als etwa Beka Basilaja festgenommen wurde und man ihn nicht fand – de facto war er entführt –, als man ihn später schlug, als Davit Ebralidse zweimal festgenommen wurde, ich selbst zweimal festgenommen wurde – leider habe ich weder von der Kammer noch von Herrn Irakli irgendeine anwaltliche Reaktion gehört.“


Tiflis24: „Schon allein aus der Zusammensetzung seiner Unterstützer:innen schließen Sie, dass Kandashvili der Wunschkandidat der ‚Georgischen Träume‘ ist. Können Sie mehr dazu sagen, wen Sie meinen?“


Shota Tutberidze: „Ganz allgemein kann ich sagen, dass die derzeitigen Führungspersonen der Kammer meines Erachtens sehr enge Verbindungen zur ‚Georgischen Träume‘ haben. Davit Asatiani ist der einzige, dessen Namen und Nachnamen ich direkt nennen kann, der die Kandidaten bei deren Programmvorstellungen begleitet hat. Zudem betrachten Anwält:innen aller politischen Präferenzen, Kolleg:innen, mit denen ich Kontakt habe, Kandashvili als Asatianis Erben.“


Tiflis24:  „Kandashvili war nie Anwalt von Personen, die bei pro-europäischen Demonstrationen administrativ festgenommen wurden. Auch die Öffentlichkeit kennt seine Kandidatur eher wenig. Sagen Sie uns: Womit beschäftigt er sich, wofür ist er in Fachkreisen bekannt?“


Shota Tutberidze: „Irakli Kandashvili ist Gründer der Mediatorenvereinigung in Georgien. Die Mediatorenvereinigung ist eine Organisation, über die ich sagen kann, dass – wenn irgendein Zusammenschluss Gelder von ausländischen Gebern erhalten hat – sie eine der ersten ist. Bei der Gründung dieser Organisation spielte internationale Förderung eine sehr große Rolle.

Bis heute hat Kandashvili keine öffentliche Position gegen die feindselige Rhetorik gegenüber unseren westlichen Partnerländern geäußert. Er ist Mediator in Mediationsinstitutionen anderer Länder, und ich habe nie eine öffentliche Erklärung von ihm gegen die feindliche Politik gegenüber unseren Partnern gesehen. Wie kann ein Mensch angesichts dessen schweigen, wenn er nicht eine bestimmte Motivation hat? Diese Motivation ist bei Kandashvili eindeutig – er hat eine politische Agenda, innerhalb derer er die politische Kraft nicht kritisieren kann.“


Um eine noch tiefere Vorstellung von der Bewertung der Kandidatur Kandashvilis zu bekommen, haben wir einen weiteren Anwalt, Thornike Migineishvili, kontaktiert. Wie Shota Tutberidze gehört auch er zu jenen Menschenrechtsverteidigern, die in den Gerichten die Rechte von bei pro-europäischen Demonstrationen festgenommenen Personen vertreten.


Tiflis24: „Zunächst bitten wir Sie, das Interview von Irakli Kandashvili zu bewerten, in dem er nach der Verletzung von Artikel 78 der Verfassung gefragt wird. Was haben Sie aus seiner Antwort gesehen – oder nicht gesehen?“

Photo credit: Netgazeti
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Thornike Migineishvili: „Im letzten Jahr haben wir eine völlig schweigende Kammer erlebt, die in dieser Zeit am lautesten hätte sein müssen. Was Kandashvili betrifft: Nicht nur im Fall seiner Wahl, sondern bereits vor der Wahl gibt es von ihm keinerlei eindeutige Position – nicht politisch, sondern aus rein rechtlicher Sicht. Wäre die Frage, ob Artikel 78 der Verfassung verletzt wurde, keine Rechtsfrage, würde darüber nicht vor Gericht diskutiert werden, es gäbe nicht zahlreiche Klagen, und auch vor dem Europäischen Gerichtshof gäbe es nicht mehrere Beschwerden, die sich auf diesen Artikel stützen.

Vor diesem Hintergrund werte ich Kandashvilis Antworten eher als Ausweichen denn als Versuch, das Thema als politische Diskussion darzustellen.“


Tiflis24:Wenn Sie glauben, dass er der Frage zur Verletzung des europäischen Integrationswegs auswich – wem oder was wich er aus?“


Thornike Migineishvili: „Es ist einfach zu beantworten, warum man einer solchen Frage ausweichen könnte. Erstens – vermutlich entsprechen die eigenen Ansichten denen der Regierungspartei, und man will nicht, dass die eigenen Antworten deren Position widersprechen. Zweitens – noch schlimmer – man könnte selbst der Ansicht sein, dass dieser Artikel nicht verletzt wurde. Beides ist eine Tragödie.

Wenn du als Jurist das glaubst, ist es eine Tragödie. Wenn du es nicht glaubst, aber in dieser Situation gezwungen bist, so zu tun, als ob – dann ist es schwer vorstellbar, was in den kommenden Jahren passieren könnte, wenn du Vorsitzender bist.“


Tiflis24: „Können Sie uns mehr über Kandashvilis berufliche Tätigkeit sagen, welchen Weg er in den letzten Jahren gegangen ist?“


Thornike Migineishvili: „Seit einem Jahr bin ich sowohl in Verwaltungs- als auch in Strafverfahren aktiv eingebunden. Ich habe ihn nirgendwo gesehen. Ich habe ihn nicht erlebt, dass er den von diesen Vorgängen betroffenen Menschen gegenüber irgendeine Solidarität gezeigt hätte. Ich habe keine einzige unterstützende Erklärung von ihm gesehen. Obwohl ich sehr aktiv beteiligt bin, ist mir so etwas von ihm nie begegnet.“


Tiflis24: „Wie glauben Sie, wird die Tätigkeit der Kammer weitergehen, wenn Kandashvili die Wahl gewinnt?“


Thornike Migineishvili: „Ich halte es für eine Tragödie, wenn eine Person mit einer solchen Position an der Spitze der Kammer steht. Im schlechtesten Fall sehe ich die Kammer unter seiner Leitung in einem noch schlechteren Zustand als heute.“


Kandashvilis Student über seinen eigenen Dozenten

Ein weiteres Interview hat Tiflis24 mit einem Studenten von Irakli Kandashvili geführt – dem Dozenten für Recht, Archil Jangirashvili.


Tiflis24: „Archil, welche Position haben Sie als Student von Kandashvili zu seinem Interview, in dem ihm eine Frage nach der Verletzung der Verfassung gestellt wird und er keine klare Meinung äußert?“


Archil Jangirashvili: „Er sagt nicht ‚nein‘, er sagt gar nichts! Irakli Kandashvili war tatsächlich mein Dozent, und ich weiß daher genau, dass er sehr wohl sagen kann, ob Artikel 78 verletzt wurde oder nicht. Die Frage ist, warum er es nicht gesagt hat. Meine Antwort darauf ist folgende: Heute ist das System so gestaltet, dass man dem Staat möglichst nahe stehen möchte – deshalb ist die Kammer für mich inakzeptabel.

Kandashvili ist nicht der Typ Jurist, der nicht versteht, ob Artikel 78 verletzt wurde oder nicht. Seine Antwort war: ‚Ich werde mich nicht in politische Diskussionen begeben.‘ Die Verfassung ist der oberste normative Akt des Landes, und wir Jurist:innen verwenden sie auch als Handlungsnorm in konkreten Fällen. Warum sollte es einem Kandidaten schwerfallen zu sagen, ob Artikel 78 verletzt wurde oder nicht? Er weiß es, davon bin ich überzeugt, aber er will bestimmte Leute nicht verärgern – und wer diese Leute sind, weiß jede:r.“


Tiflis24: „Sagen Sie uns, wen er nicht verärgern wollte. Es gibt die Meinung, dass er ein Regierungskandidat ist.“


Archil Jangirashvili: „Niemand kann das direkt beweisen. Formal ist er eine Privatperson, arbeitet im privaten Bereich, im Bereich Mediation, ist finanziell nicht direkt vom Staat abhängig. Direkte Verbindungen lassen sich nicht feststellen. Aber man kann eine einfache Frage stellen: Warum sollte es einem Juristen schwerfallen, einen Verfassungsartikel zu bewerten? Es war eine sehr einfache Frage – wenn du heute das nicht öffentlich sagen möchtest, wen willst du dann nicht verärgern? Wenn wir uns einig sind, dass Artikel 78 verletzt wurde, dann ist das doch eine Tatsache!

Für mich als Juristen ist es inakzeptabel, dass er diese Frage als Gegenstand einer politischen Bewertung darstellt – es handelt sich nicht um Politik, sondern um eine Rechtsfrage.“


Tiflis24: „Wie stellen Sie sich die weitere Arbeit der Kammer vor, falls Kandashvili gewählt wird?“


Archil Jangirashvili: „Ich weiß nicht, ob Kandashvili gewählt wird oder nicht. Aber ich denke, wenn ihn Studierende anschauen, muss ein Jurist nicht nur in fachlicher, sondern auch in wertebezogener Hinsicht etwas zeigen. Allein zu sagen, dies sei ‚Gegenstand politischer Bewertungen‘, ist für mich inakzeptabel.“


Position von Tiflis24

Angesichts der Tatsache, dass unsere Gesprächspartner in Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen in der Anwaltskammer einen der Kandidaten für den Vorsitz, Irakli Kandashvili, offen als Person mit politischer Affiliation bezeichnen, war es für uns selbstverständlich, ihm eine Plattform zu bieten, damit seine Position ebenfalls in diesem Artikel dargestellt wird.

Zu diesem Zweck haben wir Irakli Kandashvili angerufen und ihm angeboten, alle Fragen und Vorwürfe zu beantworten. Er selbst wollte dieses Angebot jedoch nicht annehmen.

Wir erklären offen, dass unsere Redaktion keinerlei moralisches, ethisches oder sonstiges Dilemma hatte, wenn es darum ging, der Öffentlichkeit auch Kandashvilis Sichtweise zugänglich zu machen.

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