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„Die Zeit der symbolischen Handlungen ist abgelaufen“

Strategische Botschaft der Koalition „Für Veränderungen“ an London, Brüssel und Washington – Welche internen Belege und welche externen Erwartungen bestehen?


Kontext und die vier Forderungen der Koalition

Die Koalition „Für Veränderungen“ hat sich mit einem offenen Brief an internationale Partner gewandt und vier Forderungen formuliert.

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  1. Verhängung personalisierter Sanktionen gegen Mitglieder der „Georgian Dream“.

  2. Verabschiedung des MEGOBARI Acts.

  3. Beendigung jeglicher politischer und finanzieller Einbindung in das Regime.

  4. Öffentliche Anerkennung der demokratischen Opposition, der Zivilgesellschaft und von Präsidentin Salome Zurabishvili als die legitimen Vertreter des europäischen Willens des georgischen Volkes.

Adressaten der Erklärung sind die Europäische Union, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten. Der offene Brief wird zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, in dem alle vier Anführer der Koalition zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Haft sitzen; bemerkenswert ist zudem, dass die Staatsanwaltschaft der „Georgian Dream“ nach den Festnahmen neue Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet hat.

Diese vier Forderungen seien ein Wegweiser dafür, wie die politische Sicht des Westens auf Georgien aussehen müsse, sagt eines der Mitglieder der Koalition, Giga Lemonjava, in einem ausführlichen Interview mit tiflis24.de Um eine konkretere Sichtweise zu entwickeln, nennt Giga Lemonjava im Gespräch mit uns, neben dem Oligarchen Bidzina Iwanischwili und dessen Premierminister Kobakhidze, konkrete Namen jener Personen, zu denen die westlichen Partner aus Georgien Informationen über schwere Verstöße erhalten haben. Dies verschaffe dem Westen, so Lemonjavas Erläuterung, eine rechtliche und politische Grundlage, um diese Personen mit Sanktionen zu belegen. Im Interview benennt er außerdem, welche Belege, Daten und Fakten die Koalition gesammelt hat und was die strategischen Verbündeten Georgiens darüber bereits wissen.

Ob die öffentliche Erklärung der Koalition lediglich eine weitere offene Ansprache bleibt, wie sie die georgische Gesellschaft schon mehrfach gehört hat, oder ob sie konkrete Reaktionen der westlichen Partner nach sich zieht - das wird die Zeit zeigen. Bis dahin haben wir jedoch versucht herauszufinden, womit diese neuen offenen Forderungen der Koalition „Für Veränderungen“ zusammenhängen könnten und was hinter ihnen steht.

„Diese vier Punkte sind keine Episoden, sondern eine politische Gesamtvision“

Tiflis24: Warum war es nötig, die internationalen Partner mit einem offenen Brief anzusprechen – und was erwarten Sie als Reaktion?

Giga Lemonjava: Diese vier Punkte, die wir im offenen Brief genannt haben, sind nicht einfach punktuelle Forderungen, sondern unser Verständnis davon, wie die politische Sicht der USA, Großbritanniens und der Europäischen Union in Bezug auf Georgien aussehen sollte.

In den europäischen Hauptstädten und in den USA gibt es eine in etwa ähnliche Sichtweise, aber sie ist nicht umfassend. Daher führt sie nicht zu dem Ergebnis, das internationale Sanktionen üblicherweise erzielen sollen. Wenn Sanktionen nur episodisch verhängt werden, ist es natürlich schwierig, ein Resultat zu erreichen. Wenn diese Sanktionen jedoch Teil einer einheitlichen politischen Vision sind, werden sie zwangsläufig Wirkung zeigen.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass der Druck auf das Regime so schnell wie möglich ausgeübt wird. Im Unterschied zum Regime von Lukaschenko ist das Regime Ivanishvilis gegenüber internationalen Sanktionen nach wie vor verwundbar. Ein Beleg dafür ist etwa die Statistik, dass Ivanishvili 78 % der sanktionierten Vertreter der Sicherheitsorgane entweder aus ihren Ämtern entfernt oder herabgestuft, also „versteckt“ hat. Das bedeutet, dass internationale Sanktionen Wirkung zeigen. Ein weiteres Beispiel dafür war die jüngste Absetzung des sanktionierten stellvertretenden Innenministers in den vergangenen Tagen.


„Die bisherigen Sanktionen gegen Iwanischwili sind unzureichend“

Tiflis24: Im offenen Appell fordern Sie, dass personalisierte Sanktionen gegen Iwanischwili, Kobakhidze und andere Amtsträger verhängt werden. Können Sie genauer erläutern, welche Personen Sie meinen und welche Art von Sanktionen Sie fordern?

Giga Lemonjava: Wir sind der Meinung, dass die gegen Bidzina Ivanishvili verhängten personalisierten Sanktionen unzureichend sind. Gegen Ivanishvili müssen schwere finanzielle Sanktionen verhängt werden und nicht lediglich Beschränkungen der Reisefreiheit in einige Länder, denn das, was ihn am meisten beschäftigt, ist Geld.

Wichtig ist:

Erstens: Die USA haben Ivanishvili bereits finanziellen Beschränkungen unterworfen. Wichtig ist, dass dasselbe auch im Vereinigten Königreich und in der Europäischen Union geschieht.

Zweitens: Es geht um die Verhängung sekundärer Sanktionen – jede Art von Geschäftsbeziehung mit Unternehmen, die sich im Besitz Ivanishvilis befinden, sei es der Abschluss von Verträgen oder Transaktionen, muss Sanktionen unterliegen. Sekundäre Sanktionen machen Geschäftsaktivität unmöglich. Solche Sanktionen gibt es bislang weder in den USA noch in der Europäischen Union – etwa in Frankreich, wo Ivanishvili tatsächlich finanziellen Einfluss besitzt; dort existieren weder primäre noch sekundäre Sanktionen.

Das Regime Ivanishvilis stützt sich auf drei Hauptsäulen: Schwarzgeld, Propaganda und eine gewaltsame Maschinerie in Gestalt des Innenministeriums.

Die Sanktionierung der Eigentümer propagandistischer Medien ist von herausragender Bedeutung. In erster Linie handelt es sich um Irakli Rukhadze, der offen sagt, es drohten ihm keinerlei internationale Sanktionen. Aufgrund seiner geschäftlichen Tätigkeit ist er jedoch äußerst anfällig für finanzielle Sanktionsregime seitens der USA und des Vereinigten Königreichs.

Die meisten Sanktionen wurden bislang gegen Vertreter des Innenministeriums verhängt, die Gewalt gegen friedliche Proteste ausüben, doch das ist nicht ausreichend; die Sanktionierung der Gewalttätigen muss fortgesetzt werden.

Die Sanktionierung von Irakli Kobakhidze ist rechtlich stichhaltig und politisch korrekt. Personalisierte Sanktionen stützen sich auf folgende rechtliche Grundlagen: grobe Verletzung der Menschenrechte, Untergrabung der Demokratie und Schritte gegen die europäische und euroatlantische Zukunft Georgiens, die im Rahmen schädlicher Einflussoperationen Russlands erfolgen – das heißt Zusammenarbeit mit einem feindlichen Staat. Kobakhidze trägt in allen drei Bereichen persönliche Verantwortung.

Es gibt Personen, die das Regime mit Mitteln unterstützen, die auf korruptem Weg erworben wurden. Mit diesen Geldern wird die gewaltsame Maschinerie Ivanishvilis gespeist. Informationen über diese Personen übermitteln wir seit 2022 unseren internationalen Partnern. Alles liegt in Form von Fakten vor, an denen qualifizierte Fachleute arbeiten.

„Petrogaz, Chkhartishvili und die Umgehung der Russlandsanktionen“

Tiflis24: Über welche Personen und welche Fakten informieren Sie die internationalen Partner konkret?

Giga Lemonjava: Zum Beispiel ist Ivane Chkhartishvili in mehrere Fälle verwickelt. Etwa in die Schaffung von Schemata zur Umgehung der gegen Russland verhängten Sanktionen und in die Nutzung des georgischen Territoriums, damit die gegen Russland wegen des Angriffskrieges in der Ukraine verhängten Sanktionen Russland möglichst wenig treffen. In diesem Zusammenhang gibt es konkrete Beweise für die Umgehung der Sanktionen gegen russisches Öl und dessen Absatz, wofür das Territorium Georgiens genutzt wird.

Es gibt das Unternehmen „Petrogaz“, an dem Ivane Chkhartishvili  als einer der Teilhaber beteiligt ist und das für den Austausch solcher strategischer Produkte unter Umgehung internationaler Sanktionen verantwortlich ist. Es handelt sich um Hunderte von Seiten, die den internationalen Partnern vorgelegt wurden; es geht dabei nicht um politische Vorwürfe.

Entsprechendes gilt etwa für Davit Khidasheli und Ucha Mamatsashvili, auf denen das Finanzsystem Iwanischwilis beruht.


„Sanktionen sind eine politische Entscheidung – unsere Informationen sind ein zusätzlicher Hebel“


Tiflis24: Wenn Sie seit 2022 mit den Partnern zusammenarbeiten und ihnen von Fachleuten erarbeitete Beweise zu schweren Verstößen liefern, warum sind bis heute keine umfassenden Sanktionen verhängt worden?


Giga Lemonjava: Obwohl wir seit 2022 an diesem Thema arbeiten, hängen Sanktionen nicht nur davon ab. Es gibt Länder, aus denen keinerlei Material geschickt wird und trotzdem werden viele Sanktionen verhängt. Es gibt Länder, in denen es überhaupt keine Opposition mehr gibt oder in denen die Opposition bereits aus dem Land geflohen ist – und dennoch untersuchen die internationalen Partner die Angelegenheiten selbst. Was wir tun, ist daher ein zusätzlicher Hebel, damit die Partner so viele Informationen wie möglich erhalten.

Die Verhängung von Sanktionen ist eine höchst politische Entscheidung. Es kann eine rechtliche Grundlage geben, aber dennoch kann ein bestimmter Staat oder eine internationale Organisation der Auffassung sein, dass die Anwendung von Sanktionen nicht sinnvoll ist.

Wenn unsere Partner sehen, dass es in Georgien eine starke Front gibt, die für die Freiheit kämpft und Widerstand leistet, wird die Wahrscheinlichkeit der Verhängung von Sanktionen natürlich deutlich höher sein.

Unser offener Brief dient dazu zu erklären, dass das Regime Ivanishvilis durch internationale Sanktionen beunruhigt wird. Auf internationaler Ebene gibt es Menschen – sie sind zwar in der Minderheit, existieren aber dennoch, die Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben und der Meinung sind, Sanktionen seien nicht entscheidend. Für sie ist es wichtig zu erläutern, dass Ivanishvili anders als das Regime Lukaschenkos – sehr empfindlich auf Sanktionen reagiert, da seine politische Existenz auf Geld beruht: zum einen auf seinem eigenen Geld, zum anderen auf jenen Mitteln, die er aus dem Staatshaushalt abzieht. Mit diesem Brief wollen wir unseren Partnern erklären, dass die Zeit entscheidend ist und dass wir diese Sanktionen jetzt brauchen, damit der Zusammenbruch des Regimes nicht gestoppt, sondern vertieft wird.


„Die Zeit der symbolischen Handlungen ist vorbei“


Tiflis24: Im Appell schreiben Sie, „die Zeit der symbolischen Handlungen ist abgelaufen“. Kann man darin eine gewisse Enttäuschung in Ihrer Erklärung erkennen?


Giga Lemonjava: Nein, diese Stimmung steckt nicht in diesem Text. Seine Aussage ist, dass die Zeit, in der man sich nur mit Erklärungen und niedrigschwelligen personalisierten Sanktionen begnügt etwa mit der Verhängung von Reisebeschränkungen in einzelne Länder, vorbei ist. Jetzt ist die Zeit gekommen, schwere finanzielle Sanktionen zu verhängen, gegenüber denen das Regime verwundbar ist. Sekundäre finanzielle Sanktionen zum Beispiel würden die finanziellen Möglichkeiten Ivanishvilis ersticken, sodass er gegen weniger Menschen in Georgien Gewalt ausüben könnte.


Kommunikation mit westlichen Partnern


Tiflis24: Auf welcher Ebene findet Ihre Kommunikation mit den USA und unseren westlichen Partnern statt?


Giga Lemonjava: Die Kommunikation findet sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich und in den EU-Mitgliedstaaten auf legislativer und auf Exekutivebene statt. Darüber hinaus habe ich persönlich mit jenen Fachorganisationen zu tun gehabt, die zu Georgien und zu Sanktionen arbeiten; ihre Dokumente werden zu Leitdokumenten. Wer genau mit unseren westlichen Partnern spricht, kann ich nicht sagen.


„Wir sollten zusätzliche Sanktionen aus Großbritannien und der EU erwarten“

Tiflis24: Welche Antworten erhalten Sie bei individueller Kommunikation und in vertraulichen Treffen mit den Partnern, wenn es um die Verhängung internationaler Sanktionen geht?


Giga Lemonjava: Was die individuelle Kommunikation mit internationalen Partnern angeht, denke ich, dass wir in naher Zukunft aus dem Vereinigten Königreich und aus EU-Mitgliedstaaten zusätzliche Sanktionen erwarten sollten. Meiner Ansicht nach ist es möglich, dass Sanktionen sowohl gegen Propagandisten als auch gegen jene Personen verhängt werden, die für die Usurpation des Staates verantwortlich sind. Über genauere Details zu sprechen oder etwas Konkretes zu sagen, ist leider nicht möglich.

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