top of page

Verheiratet mit dem Deep State: Halloween bei Georgian Dream

Wenn westlicher Einfluss verteufelt wird – außer er sitzt beim Abendessen am Tisch

In Georgien ist derzeit politisch gesehen jeden Tag Halloween. Zwar nicht im Kalender, aber ganz sicher im politischen Verhalten der Regierungspartei Georgian Dream, die es mittlerweile zur Kunstform erhoben hat, dem eigenen Volk eine Gruselgeschichte nach der anderen zu erzählen – mit dem Westen als dunklem Dämon, NGOs als Gespenstern der Unterwanderung und der US- sowie deutschen Botschaft als Spukschlössern der fremden Einflussnahme.

Wie bei jeder guten Halloween-Inszenierung geht es dabei weniger um Realität als um Emotion. Die Bürgerinnen und Bürger sollen erschrecken, nicht nachfragen. Es geht um das große Spiel mit der Angst vor „ausländischem Einfluss“, um dämonisierte Begriffe wie „Agent“, „Globalisten“, „Soros-Finanzierung“ – alles in einen Topf geworfen, kräftig umgerührt und medienwirksam serviert. Doch so sorgfältig die Maskerade auch sein mag: Wer ein wenig genauer hinsieht, erkennt rasch, dass die gruseligsten Masken nicht auf der Straße getragen werden, sondern im Parlament. Und dass diejenigen, die tagsüber das Volk vor dem Westen warnen, abends denselben Westen zum Abendessen empfangen – ganz ohne Maske, ganz ohne Nebelmaschine.

Der Widerspruch könnte nicht größer sein: Während NGOs sich registrieren müssen, weil sie Unterstützung aus Brüssel oder Berlin erhalten, während investigative Medien als Feinde der Nation dargestellt und Menschenrechtsorganisationen zur fünften Kolonne erklärt werden, zeigt ein kurzer Blick ins Privatleben mancher führender GD-Politiker eine ganz andere Geschichte – eine Geschichte, die weder schaurig noch verschwörerisch, sondern schlicht peinlich ist.

So ist bekannt, dass die Ehefrau von Nikoloz Samkharadze, dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses im Parlament, in der deutschen Botschaft in Tbilisi arbeitet. Dasselbe gilt für die Ehefrau seines Stellvertreters Giorgi Khelashvili, die bei der US-Botschaft tätig ist. Beide Frauen sind nach allem, was bekannt ist, qualifizierte, professionelle Mitarbeiterinnen, die ihre Aufgaben mit Integrität und Kompetenz erfüllen. Sie sind Teil jener diplomatischen Infrastruktur, auf der westlich-georgische Beziehungen überhaupt erst basieren können. Und gerade deshalb verdienen sie Respekt.

Doch was verdient man für eine Politik, die den Westen in der Öffentlichkeit zum Feind erklärt und ihn im privaten Raum akzeptiert – ja, sogar integriert? Eine Politik, die dem Volk Angst vor „westlichem Einfluss“ macht, während sie gleichzeitig auf Botschaftsempfängen lächelt, Fördergelder mitnimmt und sich in internationalen Gremien um Glaubwürdigkeit bemüht?

Die Halloween-Metapher wirkt in diesem Kontext fast zu milde – denn Georgian Dream inszeniert nicht einfach eine jährliche Gruselshow, sondern hat das Spiel mit Masken, Täuschung und Angst längst zur permanenten Regierungsform erhoben. Die Öffentlichkeit sieht Minister, die lautstark Souveränität einfordern, aber hinter den Kulissen Familienmitglieder haben, die auf Gehaltslisten westlicher Botschaften stehen. Und das ist nicht illegitim – es ist nur bemerkenswert inkonsequent.

Wäre das gleiche im Umfeld der Opposition passiert – man stelle sich vor, ein NGO-Aktivist wäre mit einer EU-Diplomatin verheiratet – die Empörung wäre programmiert: Verdächtigungen, TV-Kampagnen, Telegram-Leaks, vielleicht sogar gesetzliche Konsequenzen. Doch im eigenen Machtbereich gilt ein anderer Maßstab. Dort wird aus dem angeblich zerstörerischen „ausländischen Einfluss“ plötzlich ein ganz normaler Teil des Alltags. Der Deep State, vor dem man das Volk warnt, wohnt dann eben nicht im Ausland, sondern im Flur.

So lässt sich das Prinzip dieser Regierung zusammenfassen: Für das Volk gibt es Trick-or-Treat, für die Familie Treat-only. Wer den Westen braucht, bekommt ihn – solange er nicht widerspricht. Wer aber von ihm profitiert und gleichzeitig kritisch bleibt, wird dämonisiert. Wer mit westlicher Finanzierung Demokratieförderung betreibt, ist verdächtig. Wer mit einer westlich diplomatischen Einrichtung verheiratet ist, bleibt unberührt.

Diese Doppelmoral ist keine Anekdote, sie ist systemisch. Sie offenbart die innere Leere jener Antiwest-Rhetorik, die in Wahrheit nichts mit nationaler Selbstbestimmung zu tun hat, sondern alles mit Machttechnik. „Ausländischer Einfluss“ ist dabei kein klar definierter Begriff, sondern eine variable Chiffre – flexibel einsetzbar gegen politische Gegner, gegen Medien, gegen unliebsame Stimmen. Fürs eigene Umfeld gilt: keine Fragen, keine Registrierungspflicht, kein Theater.

Das Tragische daran ist nicht nur die offensichtliche Heuchelei, sondern auch die politische Wirkung. Denn während sich die Partei in ihrer selbstgestrickten Halloween-Realität verliert, wird die internationale Glaubwürdigkeit Georgiens zerstört – Schritt für Schritt, Gesetz für Gesetz, Maske für Maske. Dabei gäbe es genug Beispiele innerhalb des eigenen Landes, wie konstruktive Beziehungen mit westlichen Institutionen aussehen könnten. Die Ehefrauen von Samkharadze und Khelashvili sind zwei solcher Beispiele – ob gewollt oder nicht, sie verkörpern das Georgien, das Georgian Dream zu fürchten vorgibt: ein Georgien, das vernetzt ist, kooperationsbereit, professionell.

Vielleicht ist es Zeit, mit der Maskerade aufzuhören. Vielleicht ist es Zeit, zuzugeben, dass man die Welt braucht, die man verteufelt. Und vielleicht ist es Zeit, das Volk nicht länger mit Gruselgeschichten über westliche Unterwanderung zu traktieren – während man gleichzeitig mit dem Westen Geschäfte macht, Verträge unterschreibt und Familien gründet.

Georgien hat mehr verdient als eine Regierung, die sich von Halloween zu Halloween hangelt, in der Hoffnung, dass niemand die Maske lüftet. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben Anspruch auf Wahrheit – und auf Politiker, die auch zu Hause das vertreten, was sie öffentlich sagen.

Kommentare


© 2025 – Betrieben und geschützt von Tiflis24

  • Facebook
  • X

Georgische Nachrichten auf Deutsch

Jetzt abonnieren und über neue Beiträge informiert bleiben

bottom of page