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  • Die AfD und der „Georgische Traum“ im Gleichklang der Souveränitäts-Rhetorik

    Im aktuellen Informationskrieg in Georgien  steht längst nicht nur ein Land im Fokus – sondern ein ganzes System des Denkens. In unserem Beitrag „Informationskrieg und geopolitische Verschiebungen in Georgien“  haben wir bereits gezeigt, wie die Regierungspartei „Georgischer Traum“ mithilfe orchestrierter Propaganda versucht, die Realität umzudeuten. Doch das ist kein georgisches Phänomen allein: Die Parolen ähneln frappierend jenen der deutschen AfD. Man könnte fast glauben, Alexander Gauland hätte im georgischen Parlament hospitiert – oder umgekehrt. Der Westen als Feind: Souveränitätsmythen beider Parteien Der Westen als Feind: Souveränitätsmythen beider Parteien Beide Parteien – die AfD in Deutschland und GD in Georgien – inszenieren sich als Verteidiger der „nationalen Souveränität“ gegen eine angeblich übergriffige EU und westliche Werte. Die AfD schreibt in ihrem Parteiprogramm: „Die EU ist ein bürokratisches Monster, das unsere nationale Souveränität untergräbt.“ AfD-Grundsatzprogramm (2017) Und was sagt GD? „Die Opposition wird von ausländischen Kräften gesteuert, die unsere nationale Souveränität untergraben wollen.“ LibMod zur Verabschiedung des Agentengesetzes in Georgien In beiden Fällen: Das Ausland ist schuld. Nicht Korruption, nicht Machtmissbrauch, nicht Vetternwirtschaft – sondern Brüssel, Berlin oder Washington. Der Feind meines Feindes: Russland als Partner Tino Chrupalla (AfD) formuliert es offen: „Wir fordern ein Ende der Sanktionen gegen Russland und eine Rückkehr zu normalen Beziehungen.“ Correctiv-Recherche zur Russlandnähe der AfD In Georgien lautet die geopolitische Chiffre dafür: „strategische Geduld“. Schalwa Papuaschwili, Parlamentspräsident, wörtlich: „Wir setzen auf strategische Geduld und lehnen Sanktionen gegen Russland ab, um unsere geopolitische Stabilität zu wahren.“ SWP-Bericht zur GD-Außenpolitik Neutralität, die sich auffällig russlandfreundlich liest – auch das ein verbindendes Element. GD über Russladn Die Kirche als letzter Schutzwall Auch in der Religionspolitik marschieren beide Parteien im Gleichschritt. Die AfD nennt sich die „Verteidiger des christlichen Abendlandes“: „Wir stehen für die Bewahrung des christlichen Abendlandes.“ Herder-Analyse zur AfD Der Georgische Traum erklärt die Orthodoxie zur Staatsdoktrin: „Die Georgisch-Orthodoxe Kirche ist das Fundament unserer nationalen Identität und Werte.“ zitiert nach watson.de Zwei Länder, ein Glaube – zumindest, wenn es um den politischen Nutzen geht. Shalva Papuashvili Antidemokratische Erzählungen als Machttechnik Die Diffamierung von Protestbewegungen ist ein weiteres verbindendes Element. Matthias Moosdorf (AfD) stellt Parallelen her: „Die Gewaltspirale in Georgien erinnert an Vorgänge in der Ukraine 2014.“ AfD-Blogbeitrag Was für die AfD ein „Maidan-Albtraum“ ist, ist für den Georgischen Traum ein „US-geplanter Putschversuch“. Protestierende werden als Extremisten markiert – ein Muster, das sich in unserem Artikel zum Informationskrieg  detailliert nachverfolgen lässt. Der Propagandakanal läuft auf allen Frequenzen Die Nähe beider Parteien zur Manipulation durch Medien ist dokumentiert. Die AfD instrumentalisiert soziale Netzwerke wie X , während Imedi TV in Georgien als faktischer Regierungssender fungiert. Beispielhaft: „Die Grummeln westlicher Regierungen über Elon Musk ist ironisch.“ Imedi-Bericht zur westlichen Kritik Die Formulierung ist ein PR-Meisterwerk: Entwertung von Kritik durch Spott. Transnationale Allianz gegen den Westen? Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hier strukturelle Parallelen zu erkennen: Die AfD und GD inszenieren sich als Bastionen nationaler Reinheit gegen einen angeblich dekadenten, fremdgesteuerten Westen. Religion, Angst, Nationalstolz – alles wird verwertet, um die Macht zu sichern. Diese ideologische Symbiose hat System – und sie ist kein Zufall. Die eine Partei möchte Deutschland aus der EU führen. Die andere sabotiert Georgiens Weg in die EU mit allen Mitteln. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen AfD und Georgischem Traum? Beide arbeiten mit antiwestlicher Rhetorik, betonen nationale Souveränität, verbreiten Desinformation und pflegen eine religiös-nationalistische Erzählweise. Warum ist der Vergleich AfD – Georgischer Traum relevant für Georgien? Weil er zeigt, dass autoritäre Tendenzen in Ost und West dieselben Werkzeuge nutzen – gegen Demokratie, gegen Transparenz, gegen europäische Integration. Wie wirkt sich diese Rhetorik auf die EU-Annäherung Georgiens aus? Sie verhindert Reformen, sabotiert den öffentlichen Diskurs und stärkt antieuropäische Narrative, wie wir im Beitrag zum Informationskrieg  ausführlich dokumentieren. Welche Rolle spielt Russland in diesem Kontext? Eine zentrale. Beide Parteien lehnen Sanktionen ab, setzen auf „Dialog“ und sprechen sich gegen eine klare Positionierung zugunsten der Ukraine aus. Was kann man gegen diese Parallelen tun? Aufklärung, Medienkompetenz, Förderung unabhängiger Medien – und eine klare Sprache der EU gegenüber autoritären Tendenzen in Partnerstaaten.

  • Informationskrieg und geopolitische Verschiebungen in Georgien

    Informationskrieg und geopolitische Verschiebungen in Georgien „Staatenlose“, „ausländische Agenten“, „Radikale“, „die globale Kriegspartei“, „der Tiefe Staat“  – so lauten nur einige der Etiketten, die führende Regierungsvertreter den Georgier*innen Tag für Tag an den Kopf werfen. Seit über zwei Jahren wird die Öffentlichkeit mit Hasskampagnen, Desinformation und Rufmord überzogen, häufig orchestriert von koordinierten Netzwerken, anonymen Social-Media-Seiten und staatsnahen Medien. Ein Propagandakrieg um die Realität Als die Georgier*innen am 26. Oktober 2024 zur Wahl gingen, drehte sich der Kampf längst nicht mehr um politische Programme, sondern um die Realität selbst. In den Monaten vor und nach der Abstimmung startete die Regierungspartei Georgischer Traum (GD) einen umfassenden Informationskrieg. Mit Kreml-tauglichen Methoden und lokalen Verschwörungsmythen schuf sie ein Parallelnarrativ, in dem die Zivilgesellschaft angeblich eine ausländische Waffe, der Westen der Feind und Proteste vom US-Imperium finanzierte Coups seien. Nach Angaben der Media Development Foundation wurden allein zwischen Juli und September 2024 mehr als 4 000 antiwestliche Botschaften dokumentiert; 32,9 Prozent richteten sich gegen den „kollektiven Westen“, 23,3 Prozent speziell gegen die USA, gefolgt von prorussischen Inhalten (13,1 Prozent) sowie Angriffen auf die EU (11,5 Prozent) und NGOs (9,7 Prozent). Russland blieb der einzige Akteur, der neutral oder gar positiv dargestellt wurde. Kampagne der Angst: Die „Globale Kriegspartei“ Die Angstkampagne gipfelte in Plakaten, die zerbombte ukrainische Städte friedlichen georgischen Straßen gegenüberstellten, flankiert vom Slogan „Sag Nein zum Krieg“  und der Zahl 41 – dem Wahlsymbol von GD – als einzigem Garant für Frieden. Die Botschaft war eindeutig: Wer die Opposition wählt, wählt den Krieg; wer den Georgischen Traum wählt, wählt den Frieden. Dreh- und Angelpunkt bildet die Verschwörung der „globalen Kriegspartei“ – die Behauptung, westliche Regierungen, NGOs und Oppositionsparteien wollten Georgien in einen Konflikt mit Russland hineinzwingen. Regierungstreue Sender, allen voran Imedi TV, wiederholten dieses Narrativ in Dauerschleife. Laut einer Umfrage von CRRC-Georgia glaubte ein Drittel der Bevölkerung daran; 72 Prozent dieser Gruppe sahen darin eine gravierende Bedrohung für das Land. Russlands Rolle im Wahlkampf 2024 Die Internationale Gesellschaft für freie Wahlen und Demokratie (ISFED) verfolgte während des Wahlkampfs 2024 sowohl offizielle Botschaften als auch anonyme Seiten. Forscherin Eka Janiashvili berichtete:„Wir beobachteten einen koordinierten Schub an Narrativen, die den Westen und seine Führung massiv angriffen. Diese Inhalte wurden häufig von Fake-Accounts und Troll-Netzwerken verstärkt.“ Diese Botschaften entstanden nicht ausschließlich in Georgien. Der russische Auslandsgeheimdienst (SWR) warf den USA öffentlich vor, die georgische Regierung stürzen zu wollen. Russisch gesteuerte Accounts auf Georgisch übernahmen fast wortgleich die Linie des Georgischen Traums und behaupteten, Washington plane eine Farbrevolution mithilfe lokaler NGOs und Medien. „Unsere zentrale Erkenntnis war, dass die russische Propaganda nahezu identisch mit dem offiziellen Narrativ des Georgischen Traums war: Die Zivilgesellschaft wurde als Instrument westlicher Einmischung dargestellt.“ – Eka Janiashvili Wendepunkt 28. November 2024 Nach der Wahl fuhr die Regierung die Eskalation nicht herunter, sondern schaltete einen Gang höher. Am 28. November verkündete der Premierminister, Beitrittsverhandlungen mit der EU würden bis 2028 auf Eis gelegt; wenige Minuten später strömten Menschenmassen spontan auf die Rustaweli-Allee in Tbilissi. GD stempelte den Protest jedoch prompt als westliches Komplott ab. Staatsvertreter und regierungsnahe Medien reanimierten die Erzählung der „globalen Kriegspartei“  und behaupteten nun, USA und EU wollten in Georgien eine „zweite Front“ gegen Russland eröffnen. „Nach dem 28. November startete eine regelrechte Anti-Protest-Kampagne. Es hieß, die Demonstrationen seien gewalttätig, vom Ausland finanziert und von bezahlten Unruhestiftern angeführt. Selbst ausländische Botschafter gerieten ins Visier.“ – Eka Janiashvili Gesetzliche Kriegführung: Propaganda wird Politik Parallel dazu verschärfte die Regierung ihr juristisches Arsenal. Seit Anfang 2023 verabschiedete der Georgische Traum 16 umstrittene Gesetzesänderungen, darunter: Zwei repressive „Agentengesetze“  gegen Zivilgesellschaft und Medien, die bei Nichtbefolgung Gefängnis vorsehen. Ein Verbot geschlechtsangleichender Maßnahmen sowie ein Bann sogenannter „LGBT-Propaganda“ . Wahlrechtsänderungen, die Aufsichtsgremien schwächen und das Verbieten von Oppositionsparteien erleichtern. Neue Straftatbestände, die „Beleidigungen“  von Amtsträgern kriminalisieren, Proteste einschränken und Medienzugang zum Parlament limitieren. Vorschriften, die ausländische Finanzierung für NGOs kappen, Geschlechterquoten abschaffen und der Zivilgesellschaft Mitsprache bei Gesetzgebungsprozessen entziehen. Diese Maßnahmen zentralisieren Macht, kriminalisieren Widerspruch und rücken Georgien von seinem europäischen Kurs ab. Moskaus Spiegelbild: Das Kreml-Handbuch Viele Taktiken des Georgischen Traums spiegeln unverkennbar das Kreml-Handbuch. Russische Medien verstärkten eifrig die Regierungspropaganda – von Anschuldigungen westlicher Einmischung bis zu absurden Geschichten über ukrainische Scharfschützen, die Tbilissi destabilisieren wollten. Eine gemeinsame Studie von ISFED und Media Development Foundation 2024 deckte ein Netzwerk auf, in dem pro-government Influencer, staatsnahe Medien und anonyme Accounts  Kritiker diffamierten und Angst säten. Unabhängige Journalist*innen wurden online attackiert, NGOs als „ausländische Agenten“  gebrandmarkt, investigative Recherchen mit Memes, Fake-Leaks und Rufmord überflutet. Ein Land am Abgrund – und der Widerstand Anfang 2025 steckt die georgische Demokratie in einer tiefen Krise. Internationale Beobachter schlagen Alarm, die EU verurteilt das Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft. Im Inland geraten Journalist innen, Studierende und Aktivist innen immer stärker unter Druck – nicht nur auf der Straße, sondern im gesamten Informationsraum. Was Georgiens Lage besonders gefährlich macht, ist der perfekte Sturm aus Kreml-Desinformation, einer hausgemachten Propagandamaschinerie und einem juristischen Angriff auf jede Form des Dissens. Zusammen ziehen diese Kräfte das Land von seinen demokratischen Bestrebungen weg – hin zu autoritären Strukturen. Doch der Widerstand hält an. Trotz des repressiven Drucks gehen Menschen weiter auf die Straße, unabhängige Medien berichten unbeirrt, und die Zivilgesellschaft kämpft weiter für die Wahrheit .

  • „Wahlen sind kein Ritual“ – Interview mit Beka Liluashvili (Gakharia – Für Georgien) und eine kritische Analyse

    Ein Gespräch mit Beka Liluashvili – und was es verschweigt Zwischen Hoffnung und Systemlogik „Wir bereiten uns auf die Kommunalwahlen und jede andere Wahl vor.“So beginnt Beka Liluashvili, führender Vertreter der Partei „Gakharia – Für Georgien“ , sein Gespräch mit Tiflis24. Sein Hauptargument: Man dürfe kein politisches Terrain kampflos der Regierungspartei überlassen. Die Wahlen seien „eine Arena des Kampfes“. „Wir glauben, dass alle Kampffelder genutzt werden müssen – und die Wahlen sind eines davon.“ Doch was, wenn dieses Kampffeld längst vom Gegner kontrolliert wird? Wenn es keine Chancengleichheit, keine freie Presse und keine unabhängige Justiz mehr gibt? Rückblick: Die Kommunalwahlen 2021 als warnendes Beispiel Die Kommunalwahlen 2021  gelten heute als Beispiel für eine zunehmend kontrollierte politische Landschaft. Die Wahlbeobachtungsorganisation ISFED  dokumentierte systematische Verstöße gegen faire Wahlstandards – insbesondere im digitalen Raum: Über 180 anonym betriebene Facebook-Seiten  waren im Vorfeld aktiv, viele davon parteipolitisch motiviert, aber nicht transparent deklariert Diese Seiten verbreiteten gezielte Desinformation, persönliche Angriffe und parteiische Narrative – zum Teil unter Nutzung nicht-authentischer Profile Offizielle Kanäle von Kommunen  veröffentlichten Inhalte, die de facto als indirekte Wahlwerbung für Amtsinhaber  fungierten Auch auf Plattformen wie TikTok oder Viber wurde politische Kommunikation auf intransparente Weise betrieben - ISFED. Die Nutzung administrativer Ressourcen , das Verschwimmen der Grenzen zwischen Partei und Staat, sowie die gezielte Verzerrung des Informationsumfelds stellten eine klare Gefährdung der Gleichheit im Wahlkampf dar. Die Widersprüche in Liluashvilis Argumentation Liluashvili beschreibt selbst das Ausmaß der Verschlechterung: „Nach den Parlamentswahlen 2024 wurde das Wahlrecht nochmals verschärft. Der Druck auf politische Gegner, die Gewalt, die Verhaftungen – all das hat zugenommen.“ Und dennoch plädiert er für Teilnahme. Auf die Frage, ob dies nicht die Legitimität des Systems stärke, sagt er: „Manche sagen, eine Wahlteilnahme gibt der Regierung Legitimität. Aber was ist denn die Quelle von Legitimität? Es ist die Einschätzung der georgischen Bürger:innen – ob die Wahlen fair und gesetzeskonform durchgeführt wurden.“ Das Problem dabei: Die Regierung kontrolliert nicht nur die Durchführung, sondern auch die Wahrnehmung. Wenn internationale Beobachter nicht ernst genommen, Medien gleichgeschaltet und NGOs kriminalisiert werden – wessen Einschätzung zählt dann überhaupt? Die Boykottfrage – klug gestellt, schwach beantwortet Liluashvili stellt eine berechtigte Frage: „Was passiert nach dem Boykott? Was schlagen die boykottierenden Parteien konkret vor?“ Doch diese Frage muss auch an ihn zurückgestellt werden: Was passiert nach der Teilnahme?  Was, wenn die Regierung wieder einmal kontrolliert, manipuliert und medial begleitet, ohne dass der Protest wirkt? Wenn das System wie 2021 wieder durchkommt? Er sagt: „Es ist schwer vorherzusagen, aber wir glauben, dass die Opposition in mehreren großen Städten gewinnen kann.“ Doch selbst wenn das stimmt – was bringt ein Stadtratssitz in einem Land, in dem Bürgermeister jederzeit entmachtet, Haushalte blockiert und Wahlen rückgängig gemacht werden können? Die große Hoffnung: Tiflis als Hebel Liluashvili setzt auf Symbolkraft: „Wenn die Opposition etwa in Tiflis gewinnt, könnte das ein Hebel sein, um Kontraste zur aktuellen Regierungspolitik sichtbar zu machen. Etwa beim Bauwesen oder der Verkehrspolitik.“ Klingt plausibel – wäre Georgien eine parlamentarische Demokratie mit funktionierender Gewaltenteilung. Doch die Realität ist: Auch in Tiflis agiert das Bürgermeisteramt unter strikter Kontrolle, und politische Entscheidungsfreiheit endet oft beim Ministerium für Regionalentwicklung. Die Vision eines „Tiflis ohne Korruption“ bleibt ein Wunschbild – solange alle entscheidenden Ressourcen zentral gesteuert werden. Die Wirtschaftskritik – treffend, aber folgenlos Liluashvili liefert eine erstaunlich klare Diagnose der wirtschaftlichen Lage: „Wir haben eine Potemkinsche Wirtschaft. Das Kreditwachstum ist eingebrochen, Haushaltsmittel fehlen, der Konsum basiert auf Schulden.“ Er nennt sinkende Steuereinnahmen, Haushaltskürzungen in den Regionen, rückläufige Investitionen. Und dennoch schließt er nicht, was sich aufdrängt: Dass politische Teilhabe unter diesen Bedingungen keinen Sinn ergibt. „Das System versucht, sich mit der Wirtschaft zu legitimieren. Aber das merken die Menschen – spätestens, wenn sie den Kühlschrank öffnen.“ Warum also nicht konsequent sein – und ein solches System komplett delegitimieren? Der demokratische Lack ist ab Wer nach den Erfahrungen von 2021 noch an faire Wahlen in Georgien glaubt, betreibt politische Naivität oder kalkulierte Augenwischerei. Die Kommunalwahlen 2025 sind kein demokratisches Instrument mehr – sie sind eine Kulisse. Die Teilnahme daran bietet vielleicht Sichtbarkeit, aber keinen Wandel. Wirkliche Veränderung braucht klare Kante, neue Formate des Widerstands und vor allem: den Mut, sich nicht länger instrumentalisieren zu lassen. Das Interview: Beka Liluashvili im Wortlaut (Wörtliche Mitschrift der Fragen und Antworten, geführt durch die Redaktion von Tiflis24 – ohne redaktionelle Änderungen) Frage:  Wie bekannt ist, plant Ihre Partei die Teilnahme an den Kommunalwahlen. Die Mitglieder sagen, das sei eine strategische Form des Kampfes. Wie wollen Sie mit dieser Strategie Ihr Hauptziel erreichen? Antwort:  Unsere erklärte öffentliche Position zu den Wahlen ist seit über zwei Monaten unverändert und konsequent. Wir bereiten uns auf die Kommunalwahlen und jede andere Wahl vor. Alles, was mit der Wahlvorbereitung zu tun hat, durchlaufen wir aktuell vollständig. Gleichzeitig betonen wir stets, dass wir – sollte sich unsere Position ändern – das sehr klar und offen gegenüber unserem Publikum, unseren Wähler:innen und allen Interessierten kommunizieren werden. Natürlich versucht die Propaganda, unserer Parteihaltung unterschiedliche Bedeutungen zuzuschreiben. Aber unsere Entscheidungen werden ausschließlich durch die Haltung der Wähler:innen beeinflusst – nicht durch innen- oder außenpolitischen Druck. Wir sind eine Partei, die nie eine radikale Agenda zur Steuerung politischer Prozesse hatte. Wir glauben nicht, dass revolutionäre Entwicklungen in diesem Land eine Lösung sind. Wir sind überzeugt, dass Wahlen der einzig nicht-radikale Weg sind, Macht zu verändern – und das ist bisher unsere Position. Einige Wähler:innen stellen sich die Frage, ob ein Boykott nicht sinnvoller wäre. Wir respektieren jede Haltung, aber wir fragen auch: Gut, einverstanden – aber was geschieht nach dem Boykott? Was schlagen die Parteien, die einen Wahlboykott fordern, der Gesellschaft konkret vor, um ihre Ziele zu erreichen? Frage:  Also sehen Sie die Wahlen als strategisches Mittel – nicht nur als Möglichkeit zur Machtübernahme? Antwort:  Es hängt von vielen Faktoren ab. Aber allein die Tatsache, dass man sich vorbereitet und an der Wahl teilnimmt, hilft der Gesellschaft zumindest, mehr Wahrheit und klare Positionen zu hören. Ob ein Ergebnis erreicht wird, hängt von vielem ab – unter anderem davon, ob die „Georgischer Traum“-Partei das Umfeld noch weiter verschlechtert, ob es wieder zu großflächigem Stimmenraub kommt. Aber wir glauben, unter bestimmten Konstellationen ist ein Sieg der Opposition in einigen großen Städten durchaus möglich. Auch bei den Parlamentswahlen – trotz massiver Fälschung – hatte die Opposition in Tiflis die Mehrheit der Stimmen. Frage:  Damals war die Lage aber weniger angespannt als heute. Antwort:  Das stimmt – und deshalb ist es schwer, genaue Prognosen zu machen. Aber wenn sich eine Partei zur Teilnahme entschließt, muss ihr Ziel sein, auch ein Ergebnis zu erzielen. Frage:  2021 hat in Tsalenjikha ein Oppositionskandidat gewonnen – ohne spürbaren Effekt. Was wäre diesmal anders? Antwort:  Stellen wir uns vor, die Opposition gewinnt in mehreren großen Städten, darunter Tiflis – ob koalitionsbasiert oder nicht. Das hätte großen symbolischen und praktischen Einfluss. Die Opposition hätte die Plattform, um mit der Bevölkerung zu kommunizieren, und könnte deutliche Kontraste aufzeigen – etwa beim Bauwesen ohne Korruption, bei Verkehrspolitik ohne Chaos oder bei einer gesunden Stadtentwicklung. Wenn es gelingt, selbst Unterstützer der Regierungspartei von einem Wechsel zu überzeugen, wäre das ein erster Schritt. Ich sage nicht, dass Giorgi Iwanischwili am nächsten Tag seine Koffer packt und nach Russland fliegt – aber ein solcher Machtwechsel in Tiflis wäre ein Hebel, den die Opposition seit zehn Jahren nicht hatte. Frage:  Aber was, wenn die Wahlbeteiligung gering ist oder die Wahl manipuliert wird? Antwort:  Dann sieht es natürlich anders aus. Aber stellen wir uns das Gegenteil vor: Es gibt einen Boykott, die Wahl wird ohne Fälschung durchgeführt, weil sie gar nicht nötig ist – die „formale Opposition“ zieht ins Parlament, alles bleibt wie es ist, niemand dokumentiert Unregelmäßigkeiten, weil keine nötig waren. Dann bleibt die Protestenergie zwar bestehen – aber was passiert danach? Diese Frage können Boykottbefürworter leider nicht beantworten. Frage:  Immer wieder wird der Einsatz administrativer Ressourcen beklagt. Wie kann man das eindämmen? Antwort:  Das war immer ein Problem – besonders 2024. Es wurde mit Einschüchterung gearbeitet, mit Kontrollmechanismen, mit Callcentern vor Wahllokalen. Der Druck auf Beamte war gewaltig. Dennoch: In Großstädten, wo die Menschen besser informiert sind, konnte die Opposition trotzdem gewinnen. Und auch die Haltung innerhalb des Verwaltungsapparats verändert sich – viele Beamte sind heute kritischer eingestellt gegenüber der Regierung als noch vor wenigen Jahren. Frage:  Aber der Druck auf Staatsangestellte ist nach wie vor enorm? Antwort:  Natürlich. Aber diese Einschüchterung funktioniert nicht mehr so gut. 2024 drohte man offen: „Wer nicht die Regierungspartei wählt, wird identifiziert und verliert den Job.“ Aber entlassen wurden am Ende nur die, die öffentlich eine andere Meinung vertraten. Die Beamten merken das. Sie sind nicht dumm. Sie erkennen: Die Drohungen sind leer. Frage:  Wenn es zum Zeitpunkt der Wahlen noch politische Gefangene gibt – haben Sie dafür eine Strategie? Antwort:  Das betrifft sehr sensible taktische und strategische Überlegungen, über die wir derzeit nicht öffentlich sprechen möchten. Frage:  Giorgi Gakharia sprach von einer dritten Phase – wirtschaftliche Stagnation. Warum hat sich das verzögert? Antwort:  Es hat sich nicht verzögert. Wir leben heute in einer „Potemkinschen Wirtschaft“. Was als Wachstum verkauft wird, hat keine reale Grundlage. In vielen Gemeinden wird bereits an den Haushalten gespart. Die Kreditvergabe ist eingebrochen, die Mehrwertsteuer wächst kaum noch. Die Regierung versucht, mit Einnahmen aus Russland Zeit zu gewinnen. Und der Kurs des Lari? Der ist kein zuverlässiger Indikator. Wenn der Import sinkt, sinkt die Nachfrage nach Fremdwährung – deshalb wirkt der Kurs stabil. Aber die fundamentalen Zahlen stimmen nicht mehr. Was wir erleben, ist reiner Konsum auf Kredit. Banken schreiben Milliardengewinne – auf Kosten der Bevölkerung. Wenn es reale wirtschaftliche Dynamik gäbe, bräuchte man keine Propaganda-Dokumentarfilme über „Wirtschaft 2030“. Jeder würde es im Kühlschrank sehen.

  • Nika Melia und der spirituelle Notruf an Richter Shvangiradze

    Ein Gerichtssaal in Tiflis, der 30. Mai – und eine Szene, wie man sie sonst vielleicht nur aus politischem Straßentheater kennt: Nika Melia , prominenter Oppositionsführer der Koalition Zvlilebistvis , steht vor Richter Irakli Shvangiradze . Er berichtet eindringlich von einer Festnahme, die sich wie eine Entführung anfühlte. Doch statt Nachfragen, Zweifel oder gar juristischem Interesse erhält er nur eine knappe Rückfrage zur Kautionszahlung. Und dann greift Melia zur letzten Maßnahme: Er schüttet dem Richter Wasser ins Gesicht. Ein Akt der Aggression? Nein. Viel eher ein symbolischer Versuch, das Gericht einer spirituellen Reinigung zu unterziehen  – ein letztes Aufbäumen gegen eine Institution, die in den Augen vieler längst erstarrt ist. Der Vorwurf: Polizeibeamte beleidigt Doch was war überhaupt der formelle Grund für Melias Festnahme? Laut Innenministerium wurde er auf Grundlage von Artikel 173 des georgischen Verwaltungsstrafgesetzbuches  festgenommen – wegen „Beleidigung eines Polizeibeamten“ . Ein klassischer Paragraph, der in Georgien regelmäßig zum Einsatz kommt, wenn politische Persönlichkeiten oder Demonstrierende mit der Polizei aneinandergeraten. In Melias Fall geht es um sein Verhalten gegenüber den Beamten bei seiner vorherigen Festnahme, deren Rechtmäßigkeit er bestreitet. Pikant daran: Die eigentliche Frist zur Zahlung einer Kaution – wegen Nichterscheinens vor einer umstrittenen parlamentarischen Kommission – war zum Zeitpunkt seiner Festnahme noch gar nicht abgelaufen.  Laut Melia war die Zahlungsfrist bis Mitternacht des 30. Mai angesetzt – festgenommen wurde er am 29. Mai gegen 21 Uhr. „Wie kann man jemanden vor Ablauf einer Frist festnehmen, und dann so tun, als sei das rechtmäßig?“, fragte Melia im Gericht. Eine Frage, die im Saal jedoch offenbar nur rhetorische Bedeutung hatte. Festnahme im Transporter – ohne Uniform, ohne Kennzeichen In seiner Schilderung vor Gericht gab Melia an, dass er in der Nähe des Lisi-Sees unterwegs war, um an einer Fernsehsendung teilzunehmen , als er von zwei Fahrzeugen gestoppt wurde. Die Personen, die ihn festnahmen, trugen keine sichtbaren Polizeiabzeichen. Er wurde gewaltsam in ein Fahrzeug verbracht, in dem sich insgesamt elf Männer befanden , die versuchten, sein Mobiltelefon zu entsperren , mutmaßlich mit Gesichtserkennung. Videoaufnahmen, die sowohl in seinem als auch im Begleitfahrzeug installiert waren, wurden laut Melia zerstört . Von offizieller Seite gibt es dazu keine Stellungnahme. Die Frage, ob es sich um eine reguläre Festnahme oder eine Entführung handelte, bleibt damit ebenso unbeantwortet wie das Schweigen des Gerichts zur Rechtmäßigkeit des Vorgehens. Taufe oder schamanische Reinigung? Melias symbolischer Akt – der Wasserguss auf Richter Shvangiradze  – kann als eine Form der rituellen Säuberung verstanden werden. In vielen spirituellen Traditionen gilt Wasser als Element der Erneuerung. In der schamanischen Heilkunst  ist es sogar Teil eines umfassenden Reinigungsrituals, bei dem Körper, Geist und Seele von Blockaden befreit werden sollen. Doch wie bei jeder schamanischen Zeremonie gilt:  Ein einzelner Guss genügt nicht. Heilung ist ein Prozess, der Wiederholung und tieferes Bewusstsein erfordert. In diesem Sinne war Melias Handlung nicht unangebracht, sondern geradezu folgerichtig.  Nur: Sie blieb wirkungslos. Richter Shvangiradze zeigte weder Regung noch Erkenntnis. Die Blockaden im System, die dieser Akt vielleicht auflösen sollte, saßen zu tief.  Eine Einzelsitzung reicht eben nicht, wenn das ganze Gericht institutionell blockiert ist. Ein Richter ohne Fragen Wer sich von einem Richter in einem politischen Prozess kritisches Denken, Aufklärungswillen oder gar Unabhängigkeit erwartet hatte, wurde enttäuscht. Shvangiradze stellte keine Fragen zu den Umständen der Festnahme , ließ keine Zweifel erkennen  und verzichtete darauf, die Aussagen Melias auch nur ansatzweise einzuordnen.  Die einzige sichtbare Reaktion: ein nasser Hemdkragen und eine dienstliche Säuberung des Gerichtsraums. Dabei stellt sich die Frage: Darf ein Richter wirklich einfach wegsehen, wenn ein Angeklagter von gewaltsamer Festnahme und Datenvernichtung berichtet?  Oder anders gefragt: Ist Gleichgültigkeit bereits Parteinahme – nur in sanfterem Ton? Ein Fazit mit Nachgeschmack Nika Melias Wasserguss wird juristisch aufgearbeitet, wahrscheinlich mit weiteren Konsequenzen. Doch der eigentliche Skandal liegt nicht im Wasser – sondern im Schweigen. Ein Angeklagter, der von Misshandlungen spricht, wird ignoriert. Ein Gericht, das seine Verantwortung ernst nähme, hätte handeln müssen.  Doch stattdessen: Desinteresse. Dienst nach Vorschrift. Wenn Georgiens Justiz tatsächlich auf europäische Standards zusteuern will, müsste sie nicht neue Gesetze schreiben – sondern endlich beginnen, die bestehenden Regeln anzuwenden.  Und manchmal, ja manchmal hilft selbst Wasser nicht mehr.

  • Weiterer DAAD Skandal in Georgien? Zumindest Neue Fragen, auch an Uni Regensburg

    Leider muss man Puzzlestücke zusammensetzen, und erst dann bekommt man mit, welche Skandale sich im Moment beim DAAD abspielen. Vor einigen Wochen erschien die Liste der Themen, die ab dem Herbst für ein Forschungsstipendium gefördert werden. Kenner der georgischen Juraszene entdecken darauf ein Thema, das mit einem prominenten jungen Mitarbeiter des Regimes assoziiert ist Es ist weithin bekannt, dass hinter dieser Arbeit (grob: Georgiens Verwaltungsrechtliches Verfahrensgesetzbuch: Kommentar der Artikel im Lichte der georgischen, deutschen und ausgewählten europäischen Gerichtspraxis) Goga K. steckt, den wir aus freundlicher Diskretion noch nicht mit dem ganzen Namen nennen wollen. Goga ist in Georgien früher von vielen anständigen Leuten geschätzt worden, als kameradschaftlicher und engagierter junger Mann, der auch in Schweden studiert hatte.  Vor einigen Jahren hat er sich jedoch entschieden, aktiv beim Regime des Georgischen Traumes mitzuarbeiten, und zwar an einer der schlimmsten Institutionen, dem Hohen Justizrat. Dies ist nun genau die Zentrale des sogenannten Clans der Richter. Von dort werden nicht nur die Schlüsselstellen der Justiz besetzt, nach übereinstimmenden Aussagen werden dort auch Anweisungen verteilt, welche Urteile zu fällen sind.  Ist es eine Instanz, in der konstruktive Mitarbeit möglich ist? Die Einschätzung eines langjährigen Kenners ist glasklar. Der anerkannte deutsche Jurist Ulrich Hagenloch kommt zu dem Schluss , dass die georgische Justiz nur durch die Abschaffung des Hohen Justizrates zu retten ist, wenn überhaupt.  Was hat Goga K. in diesem Hohen Justizrat verloren? Als recht junger Jurist bringt er nun nicht viel Erfahrung mit. Kritiker der derzeitigen Justiz verweisen darauf, dass er ernannt wurde, kurz nachdem (fünf Tage) sein Vater als Verfassungsrichter ein Urteil gefällt hat, das vom Georgischen Traum so unbedingt gewünscht war.  Es scheint Goga auch peinlich zu sein, dass er im Justizrat tätig ist. Zumindest auf LinkedIn gibt er diese Tätigkeit nicht an -- selbst wenn er 15 unterschiedliche andere Tätigkeiten im Detail aufführt. Da hat jemand genau verstanden, dass er an einer schlimmen Sache beteiligt ist.  Auf Facebook ist seine Tätigkeit für den Hohen Justizrat nicht zu sehen. Die englische Webseite des Hohen Justizrates ist dürftig, was nicht verwundert. Mehrere Mitglieder des Hohen Justizrates sind von einigen Staaten mit Sanktionen belegt worden. Auf georgisch findet man ihn aber sehr wohl.  Die Abwesenheit jeglicher Erwähnung seiner Tätigkeit beim Hohen Justizrat auf LinkedIn, Facebook, auf Twitter, und generell auf Englisch und Deutsch, wirft natürlich die Frage auf -- hat Goga K. seine Tätigkeit für den Hohen Justizrat vor dem DAAD (und damit dem deutschen Steuerzahler) verborgen? Weiß die Universität Regensburg, dass sie einen Mann eingeladen hat, der sich aktiv an der Demontage des georgischen Rechtsstaates beteiligt? Ein Mann, der ein Unrechtsbewußtsein hat, weil er seine Beteiligung an einer wüsten Organisation gezielt versteckt? Wußte dies die einladende ProfessorIn? Wenn ja, warum lädt er oder sie einen Täter ein, um sich mit deutschen Steuergeldern weiterzubilden, während die georgische Regierung pausenlos Deutschland scharf angreift?  Eigentlich muss die Universität eine ethische Erklärung ausstellen. Hier ist das Formular. Jetzt mag der Eindruck entstehen, bei dem Formular geht es primär um Rüstungsfragen, aber die Formulierung läuft ja weiter, und enthält “mögliche Konflikte mit den Grundsätzen der Wissenschaftsethik”, und das verlinkte Dokument  der Leopoldina ist zwar nicht ganz auf dem Stand der Zeit (November 2022), stellt aber klar, dass Forschung dem Menschen dienen soll, und dass man den verfassungsrechtlich geschützten Gütern verpflichtet ist.  Die Demontage der Demokratie gehört nicht zu verfassungsrechtlich geschütztem Gut. Sofern diese Einsicht beim DAAD aus bürokratischen Gründen noch nicht umgesetzt sind, ist das eine massive Lücke, insbesondere in der derzeitigen Situation. Der Schaden entsteht nicht nur durch diese eine Forschungsarbeit von Goga, sondern auch durch die Signalwirkung. Deutsche Institutionen belohnen die Mitarbeit in einer Institution, die mit Unrecht assoziiert ist. Sofern eine Kaschierung im Lebenslauf vorliegen sollte, wie aus LinkedIn zu vermuten, scheint man beim DAAD die eigenen Kriterien nicht ernst zu nehmen.  Noch gibt es keine Antworten auf diese dringenden Fragen. Für zweckdienliche Hinweise, auch von Personen, die interne Prozesse in Bonn, Berlin und Regensburg kennen, wären wir sehr dankbar.

  • FARA, Registrierungspflicht und die Rückkehr des Denunzianten

    Am 31. Mai beginnt eine neue Ära in Georgien – und es ist keine europäische Das georgische Transparenzgesetz – oder besser gesagt: das sogenannte „FARA-Gesetz“ – tritt am 1. Juni in Kraft. In der georgischen Version heißt das konkret: Wer auch nur einen einzigen Euro aus dem Ausland erhält und sich gleichzeitig gesellschaftlich oder politisch engagiert, hat künftig ein Etikett zu tragen – Agent eines ausländischen Einflusses . Und das ist kein Witz, sondern Gesetz. Während sich die Regierung medienwirksam auf die amerikanische FARA beruft , übersieht sie absichtlich, dass die US-Version strikte Kriterien kennt, richterlich überprüft wird – und niemals, wirklich niemals, gegen unabhängige Medien, Wissenschaft oder Menschenrechtsorganisationen eingesetzt wird. Ganz im Gegensatz zu dem, was Georgien nun vorhat. Sprachliche Ironie: FARA heißt auf Georgisch „Schafherde“ Es ist ein Detail, das man nicht ignorieren sollte: „FARA“  bedeutet auf Georgisch nichts anderes als „Schafherde“  ( ცხვრების ფარა ). Und genau so funktioniert dieses Gesetz auch: Der Staat sieht sich als Hirte – und alle, die sich zivilgesellschaftlich oder journalistisch betätigen, sind seine Schafe. Wer aus der Reihe tanzt, wird gekennzeichnet, kontrolliert oder aus der Herde ausgeschlossen. Es ist eine nahezu absurde Doppeldeutigkeit, die sich wie von selbst in die politische Realität fügt. Der Staat ruft mit dem Gesetz „FARA“ nicht etwa zur Aufklärung auf, sondern zur Zählung der Herde. Und wie jeder Hirte weiß: Schafe dürfen nicht zu viel denken – sie sollen folgen. Wenn nötig, mit Stock und Hund. Georgien 2025 Der neue Meldeweg: Willkommen bei FARA eFile Das georgische Anti-Korruptionsbüro  hat den neuen digitalen Meldeweg „FARA eFile“ bereits online gestellt (faraefile.acb.gov.ge). Dort kann man sich nun registrieren – oder andere melden. Denn auch dazu ruft das Büro auf: Bürgerinnen und Bürger sollen Verstöße melden, wenn sie glauben, jemand sei eigentlich registrierungspflichtig, tut es aber nicht. Hierzu wurde eigens eine Denunziations-Hotline eingerichtet: fara@acb.gov.ge  – Telefon: 0 (32) 219 33 20 . Nein, das ist kein schlechter Scherz aus einem Roman von George Orwell – das ist georgische Innenpolitik im Jahr 2025. Ein Rückgriff auf bewährte Traditionen: Das Spitzelsystem der DDR lässt grüßen Es ist unmöglich, dieses Gesetz und seine Ausführung zu betrachten, ohne an die Methoden der DDR zu denken. Die sogenannte „inoffizielle Mitarbeit“ (IM) war dort zentraler Bestandteil der Stasi-Strategie. Bürger wurden gezielt dazu ermutigt, andere zu bespitzeln, zu melden, zu denunzieren – oft anonym, meist ohne Beweis. Auch im heutigen Georgien sieht die Mechanik ähnlich aus: Ein zentrales Register, staatlich verwaltet, mit umfassender Dokumentationspflicht, kombiniert mit öffentlichem Druck und moralischer Verdächtigung. Wer nicht freiwillig „Agent“ wird, riskiert Ermittlungen, Bußgelder, vielleicht sogar Gefängnis. Wer sich registriert, verpflichtet sich, regelmäßig Berichte vorzulegen, sensible Informationen preiszugeben und sämtliche Kommunikation mit dem Staat innerhalb von 48 Stunden zu melden. Willkommen in der neuen Bürokratie der Verdächtigen. Drei Optionen – und alle führen in den Abgrund A) Registrierung als „Agent“ Die scheinbar unkomplizierte Variante. Man registriert sich, um Repressionen zu vermeiden – und begibt sich damit unter ein kafkaeskes Kontrollregime. Man verpflichtet sich zu: Halbjährlicher Offenlegung sämtlicher Unterlagen zur Finanzierung, Struktur und Tätigkeit, sofortiger Meldung jeder Kommunikation mit Behörden oder Politik, öffentlicher Selbstbezeichnung als „ausländischer Agent“ – auch auf Facebook oder per E-Mail, und natürlich: der fortlaufenden Rechtfertigung seiner Existenz gegenüber einem Staat, der keinerlei Vertrauen mehr hat. B) Einstellung der Tätigkeit Für viele internationale Organisationen heißt das: Abbruch aller Aktivitäten oder Entlassung des Personals. Für lokale NGOs bedeutet es das Ende ihrer Arbeit. Wer nicht mehr zahlt oder zahlt bekommt, fällt nicht unter FARA – und hört somit auf, aktiv zu sein. Die Repression wirkt. C) Ziviler Ungehorsam Wer sich weigert, sich registrieren zu lassen, setzt sich einem rechtlichen Risiko aus. Doch genau das könnte der einzige Weg sein, um das Gesetz zu delegitimieren. Wenn Hunderte sich verweigern, kann das System ins Wanken geraten. Auch der Weg nach Straßburg steht offen: mit Eilanträgen an den EGMR zur Aussetzung der Gesetzesanwendung. Der feine Unterschied: Warum das echte FARA nichts mit Georgiens Version zu tun hat In den USA verpflichtet das FARA-Gesetz nur Organisationen, die direkt auf Weisung ausländischer Regierungen agieren – also echte Lobbyisten im Dienste fremder Staaten. BBC, Deutsche Welle oder Le Monde? Nicht registriert. Und warum? Weil redaktionelle Unabhängigkeit besteht. In Georgien hingegen reicht es aus, mit Kindern zu arbeiten – und eine Förderung aus dem Ausland zu bekommen –, und schon gilt man als Werkzeug des Westens. Das georgische Gesetz übernimmt die Buchstaben, aber nicht den Geist von FARA. Das Ziel ist nicht Transparenz, sondern Kontrolle. Nicht Schutz der Demokratie, sondern ihre Aushöhlung. Ein kollektives Dilemma: Was tun? Alle, die mit internationaler Förderung arbeiten, stehen nun vor der Entscheidung: Registrieren und sich kontrollieren lassen? Aufgeben und sich selbst zensieren? Oder weiterarbeiten und Repression riskieren? Dabei trifft es nicht nur NGOs. Auch Medien, Universitäten, Theatergruppen, Kirchen, Blogger, Fotografen, Aktivistinnen, Lehrende und Übersetzerinnen – sie alle können betroffen sein. Und wenn sie sich registrieren, dann nicht nur als Institution, sondern auch mit Namen . Es ist der Aufbau eines gläsernen Menschen – mit legalistischem Anstrich.  Ein Gesetz wie ein Verrat Das Gesetz ist keine Formalität, sondern ein tiefer Eingriff in die freie Gesellschaft. Wer sich registriert, spielt das Spiel des Regimes mit. Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Und wer denunziert, mag sich mächtig fühlen – bis er selbst auf der Liste steht. Am 1. Juni 2025 endet in Georgien nicht nur der Frühling. Es beginnt ein politischer Winter, der vielen das Rückgrat kosten wird – und einigen vielleicht die Freiheit.

  • Feier oder Widerstand: Wie der 26. Mai in Georgien aussah

    Jedes Jahr feiert Georgien am 26. Mai seinen Unabhängigkeitstag – den Tag im Jahr 1918, an dem die Unabhängigkeitserklärung verabschiedet und die Demokratische Republik Georgien gegründet wurde – im Nachgang der russischen Revolution von 1917. Diese erste Republik existierte jedoch weniger als drei Jahre: 1921 marschierte die Rote Armee ein, und das Land wurde in die Sowjetunion eingegliedert. Auch in diesem Jahr folgte der Feiertag der gewohnten Choreografie – Militärparade, Kulturveranstaltungen, Straßenmärkte und Konzerte. Doch zum zweiten Mal in Folge standen diese Feierlichkeiten im Schatten von Protesten gegen die amtierende Regierung. Die Forderungen: Neuwahlen und die Freilassung politischer Gefangener – der sogenannten „Gefangenen des Regimes“. Sowohl Regierung als auch Opposition hatten jeweils ihr eigenes Programm – mit grundverschiedenen Botschaften. Die offizielle Feier der Regierung setzte ganz auf Unterhaltung: Kinderchöre, kreative und lehrreiche Angebote für die Jüngsten, Ausstellungen und der Verkauf georgischer Weine, Weinverkostungen und musikalische Darbietungen – all das in Tiflis und in 20 weiteren Städten. Zentrum des Spektakels war wie gewohnt die Militärparade, bei der 700 Wehrpflichtige ihren Eid auf die Verteidigungskräfte ablegten. Weitere solcher Zeremonien fanden an fünf historisch symbolträchtigen Orten in Georgien statt. Ganz anders das Programm der Protestplattform „Protest 24“ , die den 26. Mai als Tag der Rückeroberung des Narrativs von Unabhängigkeit verstand. Es fanden den ganzen Tag über Protestmärsche statt – von Gewerkschaften, vom öffentlichen Rundfunk, von zivilgesellschaftlichen Gruppen. Es gab öffentliche Diskussionen zur Ersten Republik Georgiens, zur Rolle von Universitäten beim Staatsaufbau und zu den heutigen Bedrohungen für das georgische Bildungssystem. Weitere Themen: Wahlbetrug, EU-Kulturerbe, Graf Schulenburg und die erste georgische Republik. Die Organisation Sartuli  sammelte Briefe und Geschenke für politische Gefangene. Den Abschluss bildete eine Rede von Präsidentin Salome Surabischwili vor dem Parlament in der Rustaveli-Straße, gefolgt von einer Vorführung der Dokumentation „To Save the Independence“  (Die Unabhängigkeit retten). Für viele Menschen erhielt dieser Tag dadurch eine tiefere Bedeutung. Lado Apkhazava, Lehrer und zivilgesellschaftlicher Aktivist, bezeichnete den 26. Mai als wichtigstes Datum in der georgischen Geschichte , das sich heute in einen Tag des Kampfes für Freiheit verwandelt habe:„Merab Kostava sagte einst: Wenn das georgische Volk aufhört zu kämpfen, nachdem es die Unabhängigkeit erlangt hat – dann wird es sie verlieren. Dieser Tag erinnert uns daran, niemals aufzuhören. Die Geschichte zeigt: Georgier mussten ihre Freiheit immer erkämpfen. Deshalb ist das heute auch ein Tag des Widerstands.“ Er fügte hinzu:„Die Regierung bietet den Menschen Unterhaltung an, um ihnen das Gefühl zu geben, dass alles in Ordnung ist. Doch Georgien ist gespalten – der eine Teil feiert, der andere kämpft. Und der Sieg wird jenen gehören, die kämpfen.“ Auch Amiran Jimsherashvili, Student im vierten Jahr an der Theater- und Filmuniversität Shota Rustaveli und aktiv im Studierendenprotest, bestätigte dieses Gefühl:„Der 26. Mai ist der Tag, an dem ein kleines Volk mit großer Geschichte gezeigt hat, dass es unabhängig sein und sich selbst regieren kann.“ „Wir können nicht feiern, während Gleichaltrige zu Unrecht im Gefängnis sitzen. Gleichzeitig wollten wir die Gelegenheit nutzen, um den Menschen, die sich heute zur Feier der Unabhängigkeit versammelt haben, unsere Perspektive mitzuteilen. Wir wollten auch unsere Plattform Students for You  vorstellen – vielen war sie bislang unbekannt.“ Der Vater des 19-jährigen politischen Gefangenen Zviad Tsetskhladze, Zura Tsetskhladze, brachte es auf den Punkt:„Der heutige 26. Mai wird unter einem russischen Regime begangen, das Georgien gerade in dem Moment von Europa wegführt, in dem der EU-Beitritt zum Greifen nah war. In so einer Situation, in der wir erneut Gefahr laufen, unsere Unabhängigkeit zu verlieren, ist der Kampf wichtiger als die Feier.“ Er schloss mit einem Aufruf:„Morgen findet ein Protest vor dem Büro der Regierungspartei Georgischer Traum statt, organisiert von Ertoba  – einer Bewegung, die den Widerstand aus Zivilgesellschaft und Protestgruppen bündelt. Dort verkünden wir die nächsten Schritte im Kampf gegen das russische Regime.“ Am Ende des Tages – zwischen Bühnenlicht und Straßenparolen – blieb die Spaltung sichtbar. Die eine Seite feierte die Unabhängigkeit als abgeschlossene Errungenschaft, die andere betrachtete sie als noch immer unvollendetes Projekt.Der 26. Mai erinnert die einen daran, wie weit Georgien gekommen ist – und die anderen daran, wie weit es noch gehen muss. Doch die zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Wer bestimmt heute, was der 26. Mai bedeutet?

  • Untersuchungshaft für Japaridze: Wenn politischer Widerstand zum Verbrechen erklärt wird

    Justiz in Georgien: unabhängig wie ein Presslufthammer auf Parteibefehl Das Stadtgericht Tiflis hat am 22. Mai 2025 den Vorsitzenden der Oppositionspartei Girchi – More Freedom, Zurab Japaridze, in Untersuchungshaft genommen. Der Grund: Japaridze hatte sich geweigert, eine vom Gericht festgelegte Kaution zu zahlen. Diese wiederum war verhängt worden, weil er eine Vorladung der vom Parlament eingesetzten „Untersuchungskommission“ ignorierte – jenes Gremium, das auf dem Papier zur Aufklärung dient, in der Praxis aber als Disziplinierungsinstrument der Regierungspartei Georgian Dream funktioniert. Einladung zum Machtmissbrauch Was war geschehen? Die temporäre Untersuchungskommission des georgischen Parlaments, deren Unparteilichkeit ungefähr so glaubwürdig ist wie ein Unabhängigkeitsversprechen von Rosneft, hatte Japaridze vorgeladen. Der verweigerte jedoch die Kooperation mit einem Gremium, das er – zurecht – als illegitim bezeichnete. Anstatt diese politische Aussage als Teil der demokratischen Debatte zu respektieren, reagierte die Justiz mit Zwangsmaßnahmen. Die Botschaft ist klar: Wer sich widersetzt, wird weggesperrt. Pretrial Detention – georgische Spezialität In funktionierenden Demokratien gilt die Untersuchungshaft als ultima ratio, also als letztes Mittel, wenn Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr oder Wiederholungsgefahr besteht. In Georgien hingegen scheint sie vor allem dann zur Anwendung zu kommen, wenn jemand dem Regime auf die Nerven geht. Dass Japaridze nun tatsächlich inhaftiert wurde, markiert einen neuen Tiefpunkt: Die Weigerung, sich einem parteigesteuerten Ausschuss zu beugen, wird kriminalisiert. Gericht oder Parteizentrale? Die Entscheidung des Tbilisi City Court dürfte nicht ganz zufällig gefallen sein – vielmehr zeigt sie erneut, wie eng die Justiz mit der Regierungspartei verbandelt ist. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird in Georgien regelmäßig in Frage gestellt – nicht nur von NGOs und Menschenrechtsorganisationen, sondern auch von internationalen Institutionen. Die Venice Commission der EU, die OSZE und Amnesty International haben mehrfach kritisiert, dass Richter:innen in Georgien unter direktem Einfluss der Exekutive stehen. Der Fall Japaridze als Warnsignal Die Inhaftierung eines bekannten Oppositionspolitikers kurz vor den Wahlen ist kein Betriebsunfall. Sie ist ein klares Signal: Wer sich Georgian Dream nicht beugt, wird nicht ignoriert – sondern kriminalisiert. Die georgische Regierung baut auf Einschüchterung statt auf Argumente. Und die Justiz hilft fleißig mit. Zur Erinnerung: Im März 2024 erklärte Amnesty International, dass „die georgische Regierung systematisch rechtsstaatliche Prinzipien untergräbt und die Justiz zur Einschüchterung von politischen Gegnern nutzt.“ Der Fall Japaridze liefert den Beleg. Was bleibt? Hoffnung – vielleicht im Ausland Während sich europäische Politiker:innen um diplomatische Formulierungen bemühen, wird in Tiflis Oppositionspolitik ins Gefängnis verlegt. Die Frage ist längst nicht mehr, ob der Rechtsstaat in Georgien ausgehöhlt wird, sondern wie schnell. Japaridzes Fall sollte nicht als Randnotiz der politischen Geschichte Georgiens abgetan werden. Er ist symptomatisch für eine Regierung, die jede Kritik als Angriff wertet – und entsprechend handelt.

  • Papuashvili nennt Botschafter Fischer „Regisseur politischer Einschüchterung“

    In einem Land, in dem Gerichte zunehmend zu Bühnen politischer Machtinszenierung werden, scheint der größte Skandal nicht mehr die fehlende Unabhängigkeit der Justiz zu sein – sondern ein Botschafter, der zuschaut. Shalva Papuashvili, Parlamentspräsident von Georgien, hat es wieder einmal geschafft, die Realität auf den Kopf zu stellen: Der deutsche Botschafter Peter Fischer wird zum Problem erklärt – nicht etwa jene Richter, die Urteile im Sinne der Regierung fällen. Ausgangspunkt der neuerlichen Polemik war Fischers Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung gegen Mzia Amaghlobeli, Journalistin und Gründerin der regierungskritischen Portale Batumelebi und Netgazeti. Gemeinsam mit seinen schwedischen und estnischen Kolleg:innen sowie der österreichischen Europaabgeordneten Lena Schilling verfolgte Fischer den Prozess – ein Akt diplomatischer Beobachtung, wie er in demokratischen Staaten üblich ist. Nicht so in Georgien. „Künstlerische Methoden“ und große Brüder Papuashvili nahm Fischers bloße Anwesenheit zum Anlass für eine wüste Anklage auf Facebook: „Auffällig ist, dass der deutsche Botschafter in letzter Zeit künstlerische Methoden nutzt, um bestimmte Botschaften zu übermitteln und uns über den gewählten Hintergrund mitteilt, was er eigentlich sagen will.“ Was meint er damit? Fischer wurde gefilmt, wie er ein Interview vor einem Transparent mit der Aufschrift „Freiheit für Mzia“ gab. Für Papuashvili ein klarer Fall von politischer Einmischung: „Dies war keine Beobachtung des Prozesses, sondern eine gezielte Demonstration gegenüber der Richterin – um ihr zu zeigen, dass ‚der große Bruder‘ zuschaut und eine bestimmte Entscheidung erwartet.“ Und weiter: „Dass ein Botschafter, der die Landessprache nicht versteht und keine Übersetzung bekommt, einen Prozess beobachtet, zeigt, dass es ihm nicht um die Verfahrensdetails geht, sondern um psychologischen Druck.“ Eine groteske Verdrehung diplomatischer Praxis. Nicht etwa die Regierung, die Richter:innen nach Loyalität auswählt, übt Druck aus – sondern westliche Beobachter, die Präsenz zeigen. Mzia Amaghlobeli: Journalistin auf der Anklagebank Der eigentliche Skandal liegt jedoch nicht bei Fischer, sondern im Gerichtssaal von Batumi. Dort steht Mzia Amaghlobeli vor Gericht – angeblich, weil sie dem Polizeichef eine Ohrfeige verpasst haben soll. Ein Vorfall, für den sie laut Anklage bis zu sieben Jahre Haft erhalten könnte. Die Beweislage? Nicht existent. Der medizinische Sachverständige erklärte klar: „Es gibt keine objektiven Anzeichen einer Verletzung beim angeblich Geschädigten.“ Keine Blutergüsse, keine Kratzer – nur subjektiver Schmerz. Auf Nachfragen der Verteidigung, ob es sein könne, dass der Polizeichef simuliere, antwortete der Gutachter ausweichend. Rötungen seien „kein objektives Anzeichen für eine Verletzung“ und somit „nicht im Bereich der medizinischen Bewertungskompetenz“. Gleichzeitig wurden bei Amaghlobeli selbst Blutergüsse an der Schulter festgestellt. Der Polizeiangestellte hingegen war äußerlich unverletzt. Lena Schilling: „Politische Verfolgung, kein Rechtsstaat“ Die österreichische Europaabgeordnete Lena Schilling, eigens angereist, zeigte sich nach der Verhandlung entsetzt: „Was ich heute im Gerichtssaal gesehen habe, war keine Rechtsstaatlichkeit. Mzia Amaghlobeli wird nicht angeklagt, weil sie das Gesetz gebrochen hat – sondern weil sie eine Stimme der gesamten Protestbewegung ist.“ Für Schilling ist der Fall eine Bewährungsprobe für Georgiens europäischen Weg. Bereits im Februar hatte das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der die sofortige Freilassung Amaghlobelis gefordert und Sanktionen gegen mit „Georgian Dream“ verbundene Eliten verlangt wurden. Die „Sklaven“-Kontroverse: Analyse oder Beleidigung? Besonders empört zeigte sich Papuashvili über Fischers Auftritt vor einem Banner mit der Aufschrift „მონა“ – Sklave. Für ihn ist dies eine „Verleugnung der menschlichen Würde“ und ein Beweis für die Verrohung der Sprache oppositioneller Gruppen: „Wenn der Vertreter der Regierung als ‚Sklave‘ bezeichnet wird, wird er seiner Menschenwürde beraubt und dadurch entmenschlicht. So wird Hass legitimiert.“ Doch hier irrt Papuashvili fundamental – oder tut zumindest so. Die Bezeichnung „Sklaven der Justiz“ ist keine persönliche Herabwürdigung, sondern ein politischer Befund. Wenn Richter:innen Urteile im Sinne der Regierung sprechen, wenn der sogenannte „Richterclan“ – bestehend aus Figuren wie Murusidze, Chinchaladze und Shengelia – das Gerichtswesen kontrolliert, dann beschreibt „Sklave“ nicht eine Identität, sondern ein strukturelles Verhältnis: Machtlosigkeit gegenüber dem System, Unterordnung unter Parteiinteressen. Laut Transparency International Georgia glauben 53 % der Bevölkerung, dass die Justiz politisch kontrolliert ist. 94 % derjenigen, die an die Existenz eines „Richterclans“ glauben, fordern, dass diese Gruppe entfernt werden muss. Und die USA? Sie haben längst Sanktionen gegen georgische Richter verhängt. Wer hier also von Menschenwürde redet, sollte zuerst bei denjenigen anfangen, deren Rechte durch politisierte Urteile verletzt werden. Vetting: Das Wort, das Papuashvili fürchtet In Moldau und der Ukraine wurde das sogenannte Vetting eingeführt – eine Integritätsprüfung für Richter:innen, bei der Korruption, Vermögen und Loyalitäten überprüft werden. Die EU-Kommission fordert ein solches Verfahren auch in Georgien. Die georgische Regierung blockt. Warum wohl? Maia Bakradze, ehemalige Richterin am Berufungsgericht Tbilisi, erklärte kürzlich, dass Vetting derzeit die „einzige realistische Lösung“ sei, um die Justiz von innen zu reformieren. Doch Vetting braucht politischen Willen – und der fehlt. Denn eine abhängige Justiz sichert Machterhalt. Eine unabhängige Justiz hingegen könnte eines Tages auch über Shalva Papuashvili urteilen. Fischer ist nicht das Problem – er ist das Symptom Nicht Peter Fischer beschädigt die georgische Justiz – sondern ein System, das jede Form von Kontrolle als Einmischung diffamiert. Dass Papuashvili nun zur moralischen Entrüstung ansetzt, zeigt nur eines: Wie sehr ihn die bloße Anwesenheit eines Zeugen stört. Der wahre Angriff auf die Würde findet im Inneren des Systems statt – dort, wo Urteile gefällt werden, nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach politischer Opportunität. Fischer hat kein Urteil gesprochen. Er hat nur zugehört. Und das ist offenbar bereits zu viel für jene, die sich an Schweigen gewöhnt haben. Photo credit: Radiotavisupleba

  • Untersuchungshaft statt Untersuchungsausschuss?

    Georgien hat eine lange und schmerzhafte Geschichte der politischen Polarisierung. Doch was sich derzeit unter der Regie von „Georgian Dream“ im Parlament abspielt, markiert einen neuen Tiefpunkt: Die sogenannte Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Jahre 2003–2012 ist zur Bühne eines politischen Tribunals verkommen. Ihr neuestes Opfer: Zurab „Girchi“ Japaridze, einer der bekanntesten und unbequemsten Oppositionspolitiker des Landes. Wegen seiner Weigerung, vor der Kommission zu erscheinen, soll Japaridze nun in Untersuchungshaft genommen werden. Der Prozess gegen ihn beginnt am 22. Mai. Der Grund? Er erkennt die Legitimität der Kommission nicht an – und verweigert sich damit einem Gremium, das von vielen als bloßes Instrument zur Einschüchterung der Opposition gesehen wird. Und das mit gutem Grund. Die Kommission, die keine ist Ein aufschlussreicher Bericht der Georgischen Vereinigung junger Juristen (GYLA) analysiert detailliert die Entstehung und Arbeit der Untersuchungskommission. Das Fazit ist ebenso klar wie beunruhigend: Die Kommission wurde auf Initiative der Regierungsmehrheit geschaffen, ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Begründungen vorzulegen. Weder war das Untersuchungsziel ausreichend definiert, noch wurde transparent gemacht, welche konkreten Straftaten eigentlich untersucht werden sollen. Stattdessen wird mit vagen Formulierungen und rückwärtsgewandten Schuldzuweisungen gearbeitet. Die Kommission soll angeblich die „Verbrechen des Regimes 2003–2012“ untersuchen – konkret betrifft das die Regierung von Saakaschwili und die „Vereinte Nationale Bewegung“. Doch faktisch geht es nicht um Aufklärung, sondern um Delegitimierung. Die Kommission untersucht einseitig, ohne fairen Zugang für Oppositionelle, und verfolgt offenbar das Ziel, eine juristische Grundlage für die Verbotsdiskussion oppositioneller Parteien zu schaffen. Die politische Absicht ist offenkundig Laut dem GYLA-Bericht besteht die Gefahr, dass diese Kommission nicht der Wahrheitssuche, sondern der politischen Säuberung dient. Die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung wurde unzureichend beachtet, die Erweiterung des Untersuchungszeitraums bis 2025 erfolgte ohne Begründung, und die Auswahl der Kommissionsmitglieder spiegelt keine politische Vielfalt wider. Auch wenn formal Vertreter anderer Fraktionen benannt wurden, stammen diese sämtlich aus dem Umfeld von „Georgian Dream“ oder dessen Satellitenparteien. Diese „Untersuchung“ ist daher kein pluralistisches Kontrollorgan, sondern ein parteipolitisches Instrument. Die leitende Juristenorganisation GYLA warnt deutlich vor den Konsequenzen: Die Kommission missbraucht ihre formellen Befugnisse, um unbequeme Stimmen aus dem politischen Leben zu verdrängen. Das Ziel ist nicht die strafrechtliche Aufarbeitung – sondern die systematische Diskreditierung und letztlich Ausschaltung oppositioneller Kräfte. Japaridze – Symbolfigur des Widerstands Vor diesem Hintergrund ist die Weigerung von Zurab Japaridze, der Vorladung Folge zu leisten, nicht nur eine juristische Auseinandersetzung – sie ist ein Akt zivilen Widerstands. Japaridze erklärte, dass er eine Zusammenarbeit mit einem illegitimen Gremium verweigere, das keinerlei objektives Mandat habe. Dass er dafür nun möglicherweise ins Gefängnis muss, zeigt den repressiven Charakter dieser „Ermittlungen“. Es ist die Umkehr des Rechtsstaates: Nicht die Macht wird kontrolliert, sondern der Macht widersprechende Bürger werden kriminalisiert. Japaridze ist dabei nicht allein. Insgesamt acht prominente Politiker*innen, darunter Giorgi Vashadze, Badri Japaridze, Nika Gvaramia und andere, wurden bereits bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, weil sie der Ladung nicht gefolgt sind. Der georgische Strafrechtsartikel 349 macht dies möglich – allerdings wurde diese Norm bisher kaum je gegen Oppositionsführer angewendet. Mit dem Fall Japaridze wird nun ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Eine Kommission auf autoritärem Kurs Die GYLA-Analyse betont mehrfach: Die Tätigkeit dieser Kommission verletzt die grundlegenden Prinzipien parlamentarischer Kontrolle. Anstatt Transparenz zu schaffen und Fehlverhalten unabhängig aufzuklären, wird sie zum Instrument der Regierung gegen politische Gegner. In einem gesunden parlamentarischen System wäre die Kommission ein Werkzeug zur Kontrolle der Exekutive. In Georgien 2025 ist sie zur Bühne politischer Rache verkommen. Dabei sind die langfristigen Konsequenzen dramatisch: Wird diese Praxis zur Norm, droht der Verlust der parlamentarischen Kultur. Parteien, die heute die Mehrheit besitzen, können morgen selbst Ziel solcher Repression werden – ein Gedanke, der in einer echten Demokratie unvorstellbar sein sollte. Doch in Georgien, wo „Georgian Dream“ systematisch Institutionen untergräbt, ist dieser Albtraum bereits Realität. Rechtsstaatlichkeit in der Krise Der Fall Japaridze ist nicht nur ein persönliches Drama, sondern ein politischer Lackmustest. Wie das Verfahren gegen ihn geführt wird, zeigt, ob in Georgien noch Spuren rechtsstaatlicher Verfahren existieren – oder ob das Parlament zur Bühne eines autoritären Schauspiels degeneriert ist. Die GYLA hat mit ihrem fundierten Bericht einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung geleistet. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass nationale wie internationale Beobachter dieses Spiel durchschauen – und dass Japaridze und andere nicht zu politischen Gefangenen einer „Untersuchungskommission“ werden, die diesen Namen nicht verdient.

  • Wer jetzt noch wählt, hat schon verloren

    Ein Kommentar zur politischen Farce der Kommunalwahlen 2025 in Georgien Es ist Wahljahr in Georgien. Das Regime ist bereit. Die Opposition ist dezimiert. Und das Volk? Es wird wieder einmal eingeladen, seinem eigenen Ausschluss zuzusehen – demokratisch natürlich, mit Siegel, Stempel und Überwachungskamera. Die Kommunalwahlen 2025 finden in einem Land statt, in dem die Illusion der Mitbestimmung sorgfältig gepflegt wird, während jede reale Einflussnahme systematisch eliminiert wurde. Wer jetzt noch glaubt, seine Stimme könne etwas bewirken, irrt. Schlimmer noch: Er hilft, den autoritären Status quo zu legitimieren. Die neue „Säuberung“: Wer widerspricht, verliert Es beginnt mit einem Satz: „Gemäß Artikel 82, Absatz 2 des Gesetzes über den öffentlichen Dienst endet Ihr Arbeitsverhältnis binnen eines Monats.“ Ohne Erklärung, ohne Begründung, ohne Verteidigung. Hunderte georgische Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst wurden so in den letzten Monaten entlassen – nur weil sie ein pro-europäisches Statement unterschrieben oder einen kritischen Beitrag auf Facebook geteilt haben. Was früher als institutionelle Stärke galt – Fachkompetenz, Berufserfahrung, internationale Zusammenarbeit – gilt heute als Sicherheitsrisiko. Wer zu viel weiß, wer zu viel denkt, wer zu viel redet, wird entfernt. Nicht wegen Leistung, sondern wegen Haltung. Staatliche Stellen wie die Nationalagentur für Bewährung, die Stadtverwaltung Tiflis, die Steuerverwaltung, das Innenministerium oder der Datenschutzdienst wurden von missliebigen Fachleuten „gereinigt“. Selbst Mitarbeitende, die an den Antworten auf den EU-Beitrittsfragebogen mitgearbeitet haben, wurden entlassen – offenbar weil Europa nicht mehr ins Konzept passt. Der Staat verliert damit nicht nur Personal – er verliert Gedächtnis. Institutionelle Erinnerung, Know-how, Integrität. Der Preis ist hoch. Und er wird von den Bürger:innen bezahlt, die bald von einer Verwaltung bedient werden, die sich nicht mehr der Verfassung, sondern der Partei verpflichtet fühlt. Wer abhängig ist, protestiert nicht – die ökonomische Falle Die politische Kontrolle endet nicht beim öffentlichen Dienst. Sie reicht tief in die Gesellschaft. 24 % der Erwerbstätigen werden vom Staat bezahlt. Fast ein Fünftel der Bevölkerung bezieht Sozialhilfe. Rund 40.000 Sozialhilfeempfänger:innen sind zusätzlich in sogenannten Beschäftigungsprogrammen gebunden, in denen sie für ihre Kooperation 300 Lari monatlich erhalten. Sozialpolitik wird damit zur Wahlstrategie. Wer spurt, bekommt mehr. Wer kritisiert, fliegt raus. Die Programme sollen angeblich zur Reintegration beitragen – in Wirklichkeit stabilisieren sie ein System ökonomischer Erpressbarkeit. Die perfekte Wählerbasis: abhängig, einschüchterbar, strukturell mundtot. Die Farce der Wahlgeheimnisse Schon 2024 wurde das Wahlgeheimnis verletzt. Die Wahlzettel waren so gestaltet, dass bei Lichteinfall die Markierung sichtbar wurde – vor allem im Bereich, in dem die Regierungspartei „Georgian Dream“ platziert war. Internationale Beobachter dokumentierten den Skandal, die Wahlkommission versuchte sich mit „präventiven Maßnahmen“ zu rechtfertigen. Doch die Botschaft war längst angekommen: Wer gegen die Regierung stimmt, könnte beobachtet werden. Ein Wahlsystem, das das Vertrauen der Bürger verspielt hat, ist nicht reformbedürftig – es ist disqualifiziert. Wer sich an einer solchen Wahl beteiligt, spielt mit in einem Spiel, dessen Regeln längst gebrochen sind. Parteienverbot per Eilverfahren Als wäre das nicht genug, wurde im Mai 2025 ein Gesetz verabschiedet, das das Verfassungsgericht ermächtigt, Parteien innerhalb von 14 Tagen zu verbieten. Die Kriterien sind vage, dehnbar und manipulierbar: Eine Partei, deren Mitglieder früher einer verbotenen Organisation angehörten oder deren Programm „verfassungswidrig“ erscheint, kann sofort gelöscht werden – auch mitten im Wahlkampf. So entsteht ein Parteienmarkt, der aussieht wie Demokratie, aber nur noch ein Monopol zulässt. Ein pluralistisches Angebot wird ersetzt durch einen Filtermechanismus, der alles entfernt, was der Macht gefährlich werden könnte. Die Urne bleibt stehen – aber sie ist leer. Der vergessene Krieg: Georgiens Drogenpolitik In diesem autoritären Arrangement spielt die Drogenpolitik eine stille, aber zentrale Rolle. Fast 50.000 Menschen in Georgien sind registrierte injizierende Drogenkonsumenten – weltweit ein Spitzenwert. Die Regierung begegnet diesem Umstand nicht mit Prävention oder Therapie, sondern mit Repression. Georgien hat eines der strengsten Drogengesetze Europas. Konsumenten, selbst bei minimalem Besitz, drohen mehrjährige Haftstrafen. Die Justiz urteilt hart, die Polizei handelt brutal. Und das System wirkt: Drogenabhängige sind stigmatisiert, eingeschüchtert – und vollständig von staatlicher Gnade abhängig. Gleichzeitig hat sich die Szene längst verlagert. Neue, synthetische Drogen sind billig, potenter und leichter zu beschaffen – meist online, meist anonym. Die Polizei kann damit nicht umgehen. Was bleibt, ist der Fokus auf Konsumenten, nicht auf Dealer. Die Drogenpolitik dient also nicht der Bekämpfung von Sucht – sie dient der Kontrolle über gesellschaftliche Ränder. Denn wer abhängig ist, hat keine Stimme. Wer Angst vor Strafverfolgung hat, geht nicht auf die Straße. Und wer einmal verurteilt wurde, ist für das System erledigt. Kein Arbeitsplatz, kein Stimmrecht, kein Vertrauen – genau so, wie es das Regime braucht. Die Zerstörung der Verwaltung als Strategie Was hier passiert, ist keine Unachtsamkeit. Es ist Strategie. Ein Staat, der seinen öffentlichen Dienst systematisch entleert, seine Sozialpolitik zur Belohnungskultur umfunktioniert, Drogenkonsumenten als Delinquenten kriminalisiert und gleichzeitig die Wahlen manipuliert, will nicht regieren – er will herrschen. Die EU-Beitrittsperspektive, einst gemeinsames nationales Ziel, wurde fallengelassen wie ein altes Wahlversprechen. Kritiker:innen werden zu Agenten erklärt, Proteste zur Sicherheitsgefahr, Parteien zur Bedrohung. In der Sprache des Regimes gibt es nur noch „Freunde“ und „Feinde“. Wer in dieser Realität noch hofft, durch seine Stimme etwas zu ändern, hat den Charakter des Systems nicht verstanden. Boykott ist die letzte demokratische Handlung In einer funktionierenden Demokratie ist der Wahlboykott eine Sünde. In einer autoritären Simulation ist er Pflicht. Wer an dieser Wahl teilnimmt, stimmt nicht nur über Bürgermeisterposten ab. Er stimmt darüber ab, ob dieses System fortbestehen darf. Der Boykott der Kommunalwahlen 2025 ist kein Rückzug. Er ist Widerstand. Ein Zeichen dafür, dass man das Spiel nicht mehr mitspielen will. Dass man sich weigert, seine Stimme in ein System zu werfen, das keine Stimmen zählt, sondern Loyalitäten. Es wird Zeit, dass wir aufhören, uns mit der Oberfläche zu begnügen. Dass wir Wahlen nicht mehr mit Demokratie verwechseln. Dass wir nicht länger so tun, als sei politische Teilhabe möglich, wenn politische Meinung kriminalisiert wird. Georgien steht nicht vor einer Wahl. Georgien steht vor der Entscheidung, ob es sich selbst noch ernst nimmt.

  • Tiflis24 erhält Antwort von Outer Temple Chambers: Wenn Rechtsstaatsrhetorik zur PR-Plattform für Georgiens Machtzirkel wird

    Die Bilder des „English Law Forum 2025“ in Tiflis lassen keinen Zweifel zu: Freundliche Gesichter, elegante Reden, diplomatischer Smalltalk. Doch hinter dieser Kulisse spielt sich ein juristisches Trauerspiel ab, das nicht nur den Begriff „Rule of Law“ ad absurdum führt, sondern auch die britische Außenpolitik in ein Licht der Doppelmoral taucht. Die bittere Ironie internationaler Rechtskooperation Am 6. Mai 2025 fand in Tiflis eine hochkarätige Juristenkonferenz statt, organisiert von der georgischen Anwaltskammer und der Law Society of England & Wales. Unter den prominenten Teilnehmern: Oliver Powell KC, renommierter Barrister für Unternehmens- und Wirtschaftsstrafrecht, und Vertreter des britischen Botschafters Gareth Ward sowie der Präsident der Law Society, Richard Atkinson. Zeitgleich debattierte man in London, im ehrwürdigen House of Commons, über gezielte Sanktionen gegen Personen wie Irakli Rukhadze – Strippenzieher im georgischen Medienmarkt und Vertrauter von Bidzina Iwanischwili, dem faktischen Machthaber Georgiens. Es geht um systematische Angriffe auf die Zivilgesellschaft, um den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Doch statt klare Distanz zu wahren , schickt Großbritannien lieber seine juristische Elite nach Tiflis – um „best practices“ zu diskutieren, wie es in der höflichen Antwort eines Beteiligten heißt. Legal Networking mit Systemvertretern – und wem nützt es? Weniger höflich: In der ersten Reihe der Konferenz saßen unter anderem David Asatiani, Vorsitzender der georgischen Anwaltskammer und Parteisoldat der „Georgian Dream“, Paata Salia, Justizminister, sowie Vertreter des Vizejustizministeriums – allesamt Personen, die aktiv am Umbau der georgischen Justiz im Sinne der Machtpartei mitwirken. Statt unabhängige Richter*innen zu stärken, werden Karrieren politisch belohnt. Statt Pressefreiheit zu schützen, wird Einschüchterung institutionalisiert. Und mittendrin: britische Juristen, die über „Rule of Law“ referieren. Oliver Powell KC, dessen Expertise im Bereich Korruptionsbekämpfung und Unternehmensethik international gefragt ist, trat auf zwei Panels auf – unter anderem zum Thema Durchsetzung von Urteilen und Asset Tracing. Alles wichtige Themen. Nur fragt sich, ob er währenddessen auch wahrnahm, mit wem er da eigentlich auf dem Podium saß – und welchen Kontext diese Kooperation hat. Antwort aus London: Gute Absicht, schlechte Optik Auf eine kritische Anfrage hin erklärte Chris Gittins von Outer Temple Chambers, man habe „nicht die Absicht, repressive Praktiken zu normalisieren“. Das Forum sei dem Ziel gewidmet gewesen, die Rechtsstaatlichkeit in Georgien zu fördern. Klingt gut. Ist aber naiv. Denn wer glaubt, dass ein Panel mit der Justizelite eines autoritär geführten Landes automatisch zu mehr Rechtsstaat führt, der hat die politische Realität in Tiflis nicht verstanden. Der Export britischer Rechtskultur ist ehrenwert – aber nicht, wenn er dazu dient, autoritären Regimen internationales Prestige zu verleihen. Ein Forum als Bühne für Legitimationsgewinn Gerade die georgische Regierung nutzt solche Foren gezielt zur Imagepflege. Der Auftritt britischer Topjuristen wird da nicht als Zeichen partnerschaftlicher Kritik gelesen – sondern als Ritterschlag. Ein PR-Erfolg, den die Regierung von „Georgian Dream“ dringend braucht, während sie im Inland Proteste niederschlägt, Medien unter Druck setzt und NGOs mit Agenten-Gesetzen überzieht. Und wer spricht eigentlich auf den Foren der Opposition? Der demokratischen Bewegung, die für ein unabhängiges Gerichtswesen kämpft? Die Antwort ist so banal wie bitter: niemand. Doppelmoral im Maßanzug Der Fall ist ein Paradebeispiel für westliche Doppelstandards: Während Sanktionen diskutiert werden, wird gleichzeitig kooperiert. Während man in London überlegt, Oligarchen und politische Strippenzieher zur Rechenschaft zu ziehen, sitzt man in Tiflis mit deren juristischen Sprachrohren am Konferenztisch. In Zeiten, in denen die georgische Regierung mit aller Gewalt versucht, westliche Kritik als „fremdgesteuert“ zu diffamieren, ist jede diplomatische oder juristische Anerkennung ein politisches Signal – ob gewollt oder nicht. Die entscheidende Frage Es geht hier nicht um die Integrität einzelner Juristen wie Oliver Powell KC. Es geht um die Frage: Wer profitiert von diesen Auftritten? Die georgischen Bürger*innen, deren Rechte täglich beschnitten werden – oder die Machtelite, die genau diesen Zustand aufrechterhält? Die Antwort ist eindeutig. Und deshalb ist das „English Law Forum“ 2025 weniger ein Beitrag zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit – als vielmehr ein Lehrstück über wohlklingende Rhetorik und politische Blindheit.

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