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- Nützliche Idioten, schon wieder
Die Meldung schlug wie ein Blitz ein: Mamuka Khazaradze und Badri Japaridze, zwei der prominentesten Oppositionspolitiker Georgiens, wurden am 5. September 2025 von keinem Geringeren als dem „Präsidenten“ Micheil Kawelashvili begnadigt.Die Gänsefüßchen sind kein Zufall, denn Kawelashvili ist ein Produkt der „Georgian Dream“-Maschinerie – jener Partei, die seit Jahren erfolgreich den Staat zur Bühne eines einzigen Mannes, Bidzina Iwanischwili, degradiert. Die Begnadigung kam nicht etwa als Geste der Versöhnung, sondern als strategischer Schachzug. Und sie verrät mehr über das Wesen der georgischen „Demokratie“ als tausend Wahlkampfreden. Manipulation als Staatskunst Khazaradze nannte es selbst beim Namen: „Heute, was der sogenannte Präsident getan hat, ist ein rechtlicher Nonsens – Manipulation mit der Freiheit von Menschen.“ Treffender kann man es kaum formulieren. Die beiden Politiker, die noch im Juni für ihre Weigerung, vor einer handverlesenen Kommission zu erscheinen, zu acht Monaten Haft verurteilt wurden, sind plötzlich wieder frei. Zufall? Wohl kaum.Der Zeitpunkt ist allzu durchsichtig. Am Vortag endete die Registrierung für die Kommunalwahlen. Und siehe da: Genau jene Partei, deren Führer hinter Gittern saßen – „Lelo – Starke Georgien“ – darf nun offiziell als Kandidat antreten. Welch „Zufall“, dass Kawelashvili just in diesem Moment die Großzügigkeit des Präsidentenamtes entdeckt. Russtaweli-Proteste: Hoffnung oder Farce? Noch vor wenigen Wochen hatten viele Menschen auf der Rustaweli-Avenue gehofft, dass genau dieser Moment endlich die Augen öffnet. Dass Khazaradze und Japaridze begreifen, wie schädlich es ist, am Wahlzirkus teilzunehmen, und dass sie den Boykott erklären. Doch weit gefehlt. Stattdessen spielen sie weiter mit – brav, berechenbar, nützlich.Und so müssen wir es deutlich sagen: Wer an diesem inszenierten Spiel teilnimmt, macht sich zum „useful idiot“. Ein hartes Wort, aber nichts anderes beschreibt die Rolle jener Oppositionellen, die das System stabilisieren, indem sie es vor der Weltbühne als „pluralistisch“ tarnen. Wahlen als „Squid Game“ Die Analogie ist altbekannt, aber sie passt wie nie zuvor. Georgiens Wahlen gleichen einem Squid Game: Die Opposition darf antreten, sich gegenseitig bekämpfen, Mandate gewinnen. Doch die Regeln diktiert der Veranstalter – das Regime. Und am Ende steht immer derselbe Gewinner.Die Opposition hofft, dass ein Sitz hier, ein Bürgermeisteramt dort, Einfluss verschafft. Doch jeder, der Tiflis 2021 erlebt hat, weiß: Selbst wenn die Opposition gewinnt, blockieren Ministerien die Haushalte, entmachten Beamte die Bürgermeister, werden Projekte eingefroren. Gewinnen bedeutet hier nichts. Außer: das Regime legitimieren. „Wir müssen alle Kampffelder nutzen“ – wirklich? Besonders zynisch klingt das Mantra der Oppositionsparteien: „Wir müssen alle Kampffelder nutzen.“Welch „Kampffelder“? Wer bestimmt die Regeln dieser Felder? Wer kontrolliert die Schiedsrichter?Es ist, als würde man in ein Schachspiel einsteigen, in dem der Gegner alle Figuren doppelt besitzt, die eigenen Bauern aber jederzeit verhaftet werden können. Ein Kampf? Nein, eine Farce. Nutzen für das Regime Man darf eines nicht übersehen: Für die georgische Regierung sind Wahlen kein Risiko, sondern ein Geschenk. Sie liefern die perfekte Kulisse, um westlichen Partnern die „Demokratie“ vorzuführen. Solange die Opposition mitmacht, kann Georgian Dream die Urnen präsentieren und behaupten: „Seht, alle dürfen antreten!“Internationale Partner sehen das Ritual, hören die „pluralistischen Stimmen“ und lassen sich beruhigen. Sanktionen bleiben aus, Hilfsgelder fließen weiter. Und das Regime lacht sich ins Fäustchen. Was wäre die Alternative? Natürlich stellt sich die Frage: Was wäre, wenn die Opposition geschlossen boykottierte? Würde das System kollabieren? Sicher nicht sofort. Aber es würde entlarvt. Die Show wäre zerstört. Die internationale Öffentlichkeit müsste über die Farce sprechen.Boykott ist kein Aufgeben. Boykott ist ein Akt der Delegitimierung. Alles andere ist schlichte Teilnahme an einem Spiel, das längst verloren ist. Opposition im Dienst des Oligarchen Khazaradze und Japaridze haben ihre Begnadigung nicht als Geschenk, sondern als Falle erkannt – und dennoch beschlossen, mitzuspielen. Rustaweli-Proteste hin oder her, Pathos und Kriegssprache hin oder her: Wer weiter auf dem Wahlfeld tanzt, legitimiert den Oligarchen und sein System.Und so bleibt uns nur, es in aller Schärfe zu sagen: Diese Art von „Opposition“ ist keine Alternative, sondern eine tragikomische Statistenrolle. Useful idiots, die das Regime braucht, um sich als Demokratie zu verkleiden.
- Repressionen und Programmstopp: Wie „Georgian Dream“ Georgien ins Abseits führt
Niederlande ziehen die Reißleine Die niederländische Regierung hat entschieden, die Teilnahme georgischer Regierungsvertreter am MATRA-Programm für Rechtsstaatlichkeit auszusetzen. Begründung: die rapide Verschlechterung der politischen Situation in Georgien und die repressiven Handlungen der Regierung. In einer offiziellen Erklärung der Botschaft heißt es, fast zweihundert georgische Beamte hätten bislang am Programm teilgenommen und damit die Stärkung öffentlicher Institutionen unterstützt. Doch angesichts der jüngsten Entwicklungen bleibt den Niederlanden keine andere Wahl, als sich vorerst zurückzuziehen: „Die vorübergehende Aussetzung erfolgt aufgrund der sich rapide verschlechternden Lage im Land, die das Ergebnis zutiefst besorgniserregender Handlungen der georgischen Behörden ist. Wir hoffen aufrichtig, dass sich die Situation im Land verbessert, damit wir künftig wieder georgische Teilnehmer willkommen heißen können.“ Klare Forderungen aus Den Haag Das niederländische Außenministerium macht in seiner Mitteilung unmissverständlich deutlich, was es von „Georgian Dream“ erwartet: Verantwortliche für Gewalt gegen Journalisten und Demonstranten bestrafen. Repressive Gesetze zurücknehmen. Alle politischen Gefangenen freilassen. Während Den Haag also noch diplomatisch von einer „schwierigen Entscheidung“ spricht, liegt der Kern auf der Hand: Nicht Europa hat Georgien den Rücken gekehrt, sondern „Georgian Dream“ Europa. L. Ch : „Ein Verlust für die Zukunft des Landes“ L. Ch, Mitarbeiter des Verfassungsgerichts und Teilnehmer des Programms, äußerte sich: „Als öffentlicher Bediensteter am Verfassungsgericht Georgiens hatte ich das Privileg, am MATRA-Programm zur Rechtsstaatlichkeit über die Integrität im öffentlichen Dienst teilzunehmen. Dies war eine wirklich wertvolle und bereichernde Erfahrung – sowohl beruflich als auch persönlich. Umso niederschmetternder ist es, dass künftigen georgischen Beamten die Möglichkeit genommen wird, an solchen Programmen teilzunehmen. Die Verantwortung für dieses bedauerliche Ergebnis liegt bei der derzeitigen Regierung und ihrer propagandagetriebenen Politik.“ Tako Kavkasidze: Wissen, das jetzt verloren geht Auch Tako Kavkasidze, ehemalige Mitarbeiterin des Ministeriums für regionale Entwicklung, verlor ihren Job, nachdem sie eine Petition für die Verteidigung der Verfassung unterzeichnet hatte. Im Interview mit Tiflis24 sagte sie: „Mein Programm hieß ‚Integrität im öffentlichen Dienst‘. Wir waren in Den Haag, in Brüssel und später in Nordmazedonien. Wir hörten Vorträge von hochrangigen europäischen Experten und diskutierten politische Entwicklungen. Das Wissen habe ich bis zu meinem letzten Arbeitstag genutzt. Für mich war dieses einmonatige Programm ebenso wertvoll wie ein langfristiges Studium.“ Zur Aussetzung ergänzt sie: „Es ist bedauerlich, dass Georgien in einer Phase wichtiger geopolitischer Entwicklungen ausgeschlossen wird. Mich überrascht die Entscheidung aber nicht. Die Niederlande haben klar signalisiert, dass sie nicht mit einem Regime kooperieren, das sich offen gegen Europa stellt.“ Lana Kardava: „Ein Land in Dunkelheit“ Lana Kardava, ehemalige Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Tiflis und ebenfalls MATRA-Absolventin, bewertet die Aussetzung als weiteren Beweis für die Selbstisolierungspolitik von „Georgian Dream“: „Ein Regime, das auf psychologischen Terror, Angstmanipulation und russische Propaganda setzt, tut alles, um Georgien und seinen Bürgern die Perspektive auf Integration in die zivilisierte Welt zu nehmen. (…) Während die Propaganda mit Parolen wie ‚Mutter ist Mutter, Vater ist Vater‘ die Gehirne vernebelt, breitet sich in Georgien immer mehr Dunkelheit aus.“ Historischer Kontext: MATRA seit 1993 Das MATRA-Programm wurde 1993 von den Niederlanden ins Leben gerufen, um die Demokratisierung in Mittel- und Osteuropa zu fördern. Es begleitete die soziale Transformation postkommunistischer Länder und wurde später Teil der EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik. Im Mittelpunkt steht bis heute die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Was bleibt? Ein Land in Isolation Während die Niederlande ihre Bedingungen klar formulieren, geht „Georgian Dream“ unbeirrt weiter: neue Gesetze gegen Medien und Zivilgesellschaft, politische Gefangene, Repression gegen pro-europäische Aktivisten. Die Suspendierung von MATRA ist deshalb nicht nur ein diplomatisches Signal, sondern ein Warnruf: Solange „Georgian Dream“ regiert, verliert Georgien Programme, Partner und Perspektiven.
- Online-Medien in Georgien vor dem Aus – Journalist:innen bitten Leser:innen um Hilfe
„Das Licht darf nicht erlöschen“. Unter diesem Slogan haben sich 22 unabhängige georgische Online-Medien zusammengeschlossen, um gegen den massiven Angriff der Regierungspartei „Georgian Dream“ auf die Pressefreiheit zu protestieren. Die Aktion ist ein Hilferuf und ein letzter Weckruf zugleich: Die unabhängige Presse in Georgien kämpft ums nackte Überleben. Die Situation ist dramatisch. Durch die Verabschiedung repressiver Gesetze hat die Regierung nicht nur die Arbeitsbedingungen von Journalist:innen verschlechtert, sondern deren Existenzgrundlage systematisch zerstört. Internationale Förderungen werden blockiert, unabhängige Einnahmequellen ausgetrocknet – und kritische Stimmen kriminalisiert. Warum entstand die Kampagne? Der Auslöser war die jüngste Welle von Gesetzen, die „Georgian Dream“ im Rekordtempo durchs Parlament gepeitscht hat. Besonders zwei Bestimmungen stellen eine unmittelbare Bedrohung für unabhängige Medien dar: Das sogenannte FARA-Gesetz : Jede Organisation oder jedes Medium, das Gelder aus dem Ausland erhält, muss sich in Georgien als „ausländischer Agent“ registrieren. Weigert sich eine Redaktion, droht nicht nur die Stigmatisierung als „Volksfeind“, sondern auch strafrechtliche Verfolgung. Änderungen im Grantgesetz : Internationale Stiftungen oder Organisationen dürfen Förderungen in Georgien nur dann vergeben, wenn die Regierung vorher ihre Zustimmung erteilt. Mit anderen Worten: Die Regierung entscheidet, ob sie Kritik an Korruption, Nepotismus oder Machtmissbrauch finanzieren lässt. Man kann sich die Antwort denken. Diese Gesetze sind kein originelles Werk der georgischen Rechtskultur, sondern billige Kopien autoritärer Vorbilder aus Russland, Belarus und Kirgisistan. Und wie dort lautet die Botschaft: Eine unabhängige Presse soll es nicht mehr geben. Um dem drohenden Dunkel etwas entgegenzusetzen, haben die Medienhäuser die Plattform sinatle.media ins Leben gerufen – ein Spendenportal, das die finanzielle Grundlage für ihre Arbeit sichern soll. Gemeinsame Erklärung der Online-Medien In einer gemeinsamen Stellungnahme warnten die 22 Medien eindringlich: „Das repressive Gesetz hat die unabhängigen Online-Medien an den Rand des Verschwindens gebracht. Journalist:innen setzen ihre Arbeit unter permanenter Bedrohung für Freiheit, Gesundheit und persönliche Sicherheit fort. Das Regime bestraft Mzia Amaglobeli exemplarisch. Unsere Antwort darauf ist Einheit und Widerstand.“ Solidaritätsmarsch: „Nein zur russischen Finsternis!“ Am 13. August erlebte Tiflis einen besonderen Protest. Hunderte Bürger:innen, Journalist:innen und Medienmanager:innen versammelten sich mit Kerzen und Lampen und marschierten vom Platz der Republik bis zum Parlament. Die Rufe hallten durch die Nacht: „Nein zur russischen Finsternis!“ – „Freiheit für die Medien!“ – „Freiheit für Mzia Amaglobeli!“ Jedes Licht symbolisierte eine Stimme, die sagt: „Das Land lebt, das Volk ist wachsam, die Wahrheit wird nicht verschwinden.“ Ein starkes Bild – und zugleich ein trauriges. Denn Proteste ersetzen keine funktionierenden Institutionen, und Kerzen brennen irgendwann nieder. Der Fall Mzia Amaglobeli: Ein Exempel der Repression Wenn ein Name heute sinnbildlich für die Repression gegen unabhängige Medien steht, dann ist es Mzia Amaglobeli . Die Gründerin der Online-Plattform „Batumelebi“ sitzt wegen angeblicher Vergehen im Gefängnis – ein Fall politisch motivierter Strafverfolgung, der in Europa und Deutschland längst Empörung ausgelöst hat. Tamar Rukhadze , kommissarische Direktorin von „Batumelebi“, sagte gegenüber Tiflis24: „Die Regierung von ‚Georgian Dream‘ tut alles, um unabhängige Medien zu zerstören: Die Gründerin von ‚Batumelebi‘, Mzia Amaglobeli, wird völlig rechtswidrig und unfair im Gefängnis festgehalten. Journalist:innen entgingen auf Demonstrationen nur knapp dem Tod, die Angreifer werden nicht bestraft. Gleichzeitig nutzt die Regierung alle finanziellen Hebel, um die Einnahmen abzuschneiden. Wenn Sie die Webseiten unabhängiger Medien besuchen, sehen Sie, wie wenig Werbung dort ist – es ist offensichtlich, dass ihre Einnahmen sehr gering sind. Der einzige Weg, dass Medien überleben, ist, sich an ihre Leser:innen zu wenden, für die sie arbeiten, und sie um Hilfe zu bitten.“ Stimmen aus den Regionen: Marneuli und Samtskhe-Javakheti Die Repression trifft nicht nur die großen Medien in Tiflis, sondern auch die lokalen Redaktionen in den Regionen – jene, die oft die einzige unabhängige Informationsquelle für die Bevölkerung darstellen. Vladimir Chkhitunidze vom Marneuli Community Radio sagte gegenüber Tiflis24: „Warum registrieren wir uns nicht im Agentenregister? – Weil wir keine Agenten sind und diesen Namen niemals tragen werden. Meine Kolleg:innen und ich arbeiten für die Bevölkerung von Marneuli, für die Verbesserung ihres Lebens, und wir werden uns niemals in ein Register eintragen, das ‚Georgian Dream‘ geschaffen hat, nur um uns das Etikett ‚Volksverräter‘ anzuhängen.“ Und Gulo Kokhodze , Direktorin von „Samchretis Karibche“, erklärte: „In der Region Samtskhe-Javakheti, wo die Bevölkerung lange Zeit von russischsprachigen Fernsehsendern abhängig war, begannen wir, Informationen in ihrer eigenen Sprache zu liefern. Wir ersetzten die propagandistischen Botschaften, die über russische Kanäle kamen, durch korrekte Informationen und Wahrheit... Ich weiß nicht, was ‚Georgian Dream‘ will, aber all unsere Wege führen derzeit dorthin, dass wir schließen müssen.“
- Giorgi Arevadze und die Liste der „furchtbaren Juristen“ – Wie Georgiens Justiz Vertrauen verspielt
Warum wir eine Liste führen Tiflis24 wird eine Liste führen – eine Liste, die nicht der Ehre, sondern der Erinnerung dient. Wir nennen sie die „Liste der furchtbaren Juristen“ , in bewusster Anlehnung an die deutsche Geschichte, wo man so die Juristen nannte, die während des Nationalsozialismus mit Urteilen und Gesetzen Unrecht in Recht verwandelten. Auch in Georgien wird diese Bezeichnung heute relevant, denn es gibt Richter, die mit ihren Entscheidungen bei politischen Verfahren das Vertrauen in die Justiz erschüttern. Es geht nicht um private Vorwürfe, sondern um dokumentierte Fälle, die öffentlich einsehbar sind. Einer dieser Fälle trägt den Namen Giorgi Arevadze. Der Fall Archil Museliantsi – vier Jahre Gefängnis wegen 534 Lari (171 Euro) Am 30. November 2024 wurde der Aktivist Archil Museliantsi bei Protesten in Tbilissi festgenommen. Zunächst lautete der Vorwurf auf eine Ordnungswidrigkeit. Später stufte die Staatsanwaltschaft den Fall jedoch zu einer Straftat hoch: Artikel 187, Teil 2 des Strafgesetzbuches, Sachbeschädigung durch Feuer, Strafandrohung bis zu sechs Jahre Haft. Der angebliche Schaden: ein Kabel einer Überwachungskamera im Wert von 534 Lari. Am Ende lautete das Urteil: vier Jahre Gefängnis . Gefällt wurde es vom Richter Giorgi Arevadze. Juristisch ist das Urteil rechtskräftig. Politisch sorgt es für Diskussionen, da viele Beobachter das Strafmaß für unverhältnismäßig halten und von einem abschreckenden Signal gegenüber Protesten sprechen. Der Brief von Archil Museliantsi Noch vor der Verkündung des Urteils schrieb Archil Museliantsi einen Brief an seine Unterstützer, der inzwischen öffentlich zitiert wird: „Ich weiß, dass sie mich verurteilen werden. Doch die eigentliche Strafe trifft nicht mich, sondern das Land. Auch sechs Jahre würde ich verbüßen, wenn es für die Würde des Vaterlandes ist. Nur eins bitte ich euch: Kämpft weiter! Stellt euch vor, Ilia Chavchavadze hätte geschwiegen, Merab Kostava aufgegeben oder Giorgi Antsukhelidze nicht gekämpft. Wir alle kämpfen für ein freies und unabhängiges Georgien – und wir werden es erreichen.“ Dieser Brief macht deutlich, dass Museliantsi sein Urteil als politisch motiviert betrachtet. Kritik am Verfahren Im Laufe des Verfahrens wurden Fragen nach der Beweislage und der Prozessführung aufgeworfen. Museliantsi selbst erklärte vor Gericht, das Videomaterial, das ihn belasten sollte, sei geschnitten und manipuliert. Außerdem äußerte er Zweifel an der Vollständigkeit des vorgelegten Gutachtens. Internationale und nationale Beobachter – darunter Vertreter von NGOs – kritisieren allgemein, dass in politisch sensiblen Fällen die georgische Justiz nicht unabhängig genug agiert. Es ist juristisch unstrittig, dass das Urteil ergangen ist. Strittig ist, ob es rechtsstaatlichen Standards genügt. Diese Diskussion betrifft nicht nur den Fall Museliantsi, sondern das gesamte Vertrauen in die georgische Justiz. Giorgi Arevadze – ein Richter unter öffentlicher Beobachtung Richter Giorgi Arevadze ist seit 2008 am Tbilisser Stadtgericht tätig. In der Öffentlichkeit wird er nun vor allem mit dem Urteil gegen Museliantsi in Verbindung gebracht. Ihm wird nicht vorgeworfen, ein Gesetz gebrochen zu haben, sondern dass er – wie viele georgische Richter – ein Urteil gesprochen hat, das Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen lässt. Damit reiht er sich in eine Entwicklung ein, die von internationalen Institutionen wiederholt kritisiert wurde. Parallele zu den „furchtbaren Juristen“ Die deutsche Geschichte kennt den Begriff der „furchtbaren Juristen“ aus der NS-Zeit. Gemeint waren Juristen, die Gesetze und Urteile im Sinne des Regimes sprachen und damit das Unrechtssystem stützten. Auch in Georgien gibt es heute Juristen, die mit ihren Urteilen im Zentrum politischer Verfahren stehen. Der Vergleich ist keine Gleichsetzung, sondern ein Hinweis: Wenn Richter Urteile fällen, die in der Gesellschaft als politisch motiviert gelten, dann erinnert das an historische Erfahrungen, bei denen Justiz ihre Unabhängigkeit verloren hat. Vom Einzelfall zum Symbol Archil Museliantsi ist nicht der einzige bekannte Fall. Auch die Journalistin Mzia Amaglobeli, Gründerin von Batumelebi und Netgazeti , wurde nach Protesten inhaftiert. Internationale Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International sprechen in solchen Fällen von politisch motivierten Verfahren. Richter, die diese Urteile fällen, geraten zwangsläufig ins Zentrum der Kritik. Systemische Probleme in der Justiz Das Problem liegt nicht nur bei einzelnen Richtern. Das Hohe Justizrat Georgiens, das eigentlich die Unabhängigkeit der Gerichte garantieren soll, ist wiederholt von der Venedig-Kommission und ODIHR kritisiert worden. Ernennungen seien politisiert, Transparenz fehle, Integritätsprüfungen existierten nicht. In einem solchen Umfeld verlieren auch einzelne Urteile ihre Legitimität in den Augen der Öffentlichkeit. Die europäische Dimension Während die georgische Regierung in Brüssel von EU-Integration spricht, zeigen Fälle wie Museliantsi und Amaglobeli, dass die Justiz in Georgien Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit aufwirft. Für die EU ist die Unabhängigkeit der Justiz jedoch ein Kernkriterium. Die Namen der Richter, die in politisch sensiblen Fällen harte Urteile fällen, werden deshalb auch in Europa wahrgenommen. Ein Schaden von 534 Lari, ein Urteil über vier Jahre Gefängnis, ein Brief voller Patriotismus und ein Richter, der dieses Urteil sprach. Juristisch ist der Fall abgeschlossen, politisch ist er ein Symbol für die Krise der georgischen Justiz. Giorgi Arevadze ist damit nicht irgendein Richter, sondern einer derjenigen, deren Urteile die öffentliche Diskussion über „furchtbare Juristen“ in Georgien erst auslösen.
- Von Alaska bis Washington – wie „Georgian Dream“ das Treffen Trump–Putin verdreht
Nach den Verhandlungen in Alaska und Washington setzen die europäischen Staats- und Regierungschefs ihre Diskussionen über Sicherheitsgarantien für die Ukraine fort. Das Beispiel Georgien von 2008 erinnert den Westen daran, dass Putins Ziele seit Jahren unverändert sind und Verhandlungen mit Russland nicht verlässlich sind. Jetzt richtet sich die weltweite Aufmerksamkeit auf die trilateralen Treffen, an denen die Staatschefs der Ukraine, der USA und Russlands teilnehmen. Nach dem Alaska-Gipfel entstand in politischen Kreisen der Eindruck, dass Trump das russisch-amerikanische Treffen zwar nicht verloren habe, am Ende jedoch Putin die vorteilhaftere Position erreichte. Führer befreundeter Staaten der Ukraine rieten dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, die Ukraine nicht in eine kapitulative Lage zu bringen. Dies belegt auch die Aussage des polnischen Außenministers Radosław Sikorski, wonach für den Frieden Druck auf den Aggressor notwendig sei – und nicht auf dessen Opfer. Parallel dazu gab es Reaktionen in Georgien. Während Europa lautstark und betont die Ukraine unterstützte, analysierten die Mitglieder von „Georgian Dream“ erneut erfundene Verschwörungstheorien. Den Spitzenplatz im Marathon der Demütigungen gegen das ukrainische Volk und dessen Präsidenten sicherte sich Tea Tsulukiani, die mit einem geschmacklosen Witz nicht nur den Präsidenten eines Landes im Krieg, sondern auch die Staatschefs der mächtigsten europäischen Staaten zu verspotten versuchte. Die Freude von „Georgian Dream“ über das Treffen Putin–Trump erwies sich als kurzlebig. Am 18. August sah die ganze Welt in Washington eine starke, geeinte und prinzipientreue Europa-Seite an der Seite der Ukraine. Ob jemand über Tsulukianis Witz lachte, ist unbekannt. Doch ihr Statusbeitrag zeigte einmal mehr, wem „Georgian Dream“ in Putins Krieg die Daumen drückt. Der Oppositionspolitiker Giorgi Butikashvili von der Partei „Akhali“ spricht im Interview mit „Tiflis24“ offen und detailliert über die russisch inspirierte Propaganda aus dem Umfeld Bidzina Ivanishvilis. „Frieden“ Frage: Wie hat „Georgian Dream“ das Treffen Trump–Putin genutzt, um ihre Narrative zu verstärken, und was bedeutet in Wirklichkeit der Slogan des Alaska-Gipfels – „Streben nach Frieden“? Giorgi Butikashvili: Alles, worüber „Georgian Dream“ spricht und die Gesellschaft anspricht, ist durchgehend Propaganda und der Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen. Der Kontext ist ein völlig anderer, und sie versuchen, die Realität durch Verwirrung der Fakten zu verdrehen. Mdinaradze versuchte, den Kontext so darzustellen, als ginge es um die Friedensstiftung, die Trump plane – und dass dies nicht nur die Ukraine betreffe. Genau wie wir es im Iran gesehen haben, bei den Gesprächen zwischen Aserbaidschan und Armenien, beim Beginn des Baus des Zangezur-Korridors. Das ist der Kontext – und nicht das, worüber Mdinaradze spricht. Trumps Ziel ist es, eine neue geopolitische Ordnung zu entwickeln, in der die USA die Hauptrolle spielen und die Spielregeln auf ihr eigenes Feld verlagern. In Alaska geschah genau das: Trump brachte Putin auf sein Feld. Trump versucht, Putin die Chance zu geben, selbst einem Waffenstillstand zuzustimmen und die Angriffe auf die Ukraine einzustellen – aber das bedeutet nicht, dass die Ukraine Territorien an Russland abtreten soll. Auf diplomatischer Ebene gibt er Putin eine Möglichkeit. Der US-Präsident möchte keine drastischen Schritte gegen Russland unternehmen, da er es auch als Faktor zur Eindämmung Chinas betrachtet. Deshalb soll der Krieg enden, die Ukraine befreit, das Töten von Menschen aufhören – aber gleichzeitig darf Russland nicht zerstört werden, da ein zerstörtes Russland China stärkt. Und das passt nicht in die geopolitische Ordnung, die Trump anstrebt. „Georgian Dream“ hat all dies so dargestellt, als ginge es um Frieden – doch dieser Frieden geschieht nicht auf Kosten der Souveränität, auch nicht der ukrainischen. Im Gegenteil: In Washington wurde deutlich, dass Trump mit den europäischen Staats- und Regierungschefs bereit ist, ein sicherheitspolitisches Konzept zu schaffen, ähnlich dem Artikel 5 der NATO, das die Ukraine schützt. „Also wollt ihr Krieg?“ – falsche Dilemma Der Mehrheitsführer behauptet, das Treffen Trump–Putin habe gezeigt, dass auch Georgien als Teil des Krieges vorgesehen war. Worauf stützt sich Mdinaradze? Vom Treffen in Alaska war überhaupt nichts dergleichen zu erkennen. Es gab keinerlei Hinweise, dass Georgien in den Krieg hineingezogen werden sollte. Moldau ist das beste Beispiel: Es hat eine prowestliche Regierung, die Verhandlungen mit der EU wurden eröffnet, der Integrationsprozess beschleunigt – weil Frieden herrscht. Doch niemand hat Moldau in den Krieg hineingezogen. Auch wir hätten die Möglichkeit gehabt, mit der Ukraine und Moldau im Paket des „Assoziationstrios“ zu bleiben, wie es einst war. Niemand hätte uns in den Krieg gezwungen. „Georgian Dream“ versucht jedes Mal, seine antidemokratischen Schritte in diesem Kontext zu rechtfertigen. Wenn morgen ein Treffen zwischen Trump und Xi Jinping stattfindet und Trump dort über Frieden spricht, wird „Georgian Dream“ auch dann behaupten: Wir haben Frieden bewahrt, weil man uns in den Krieg ziehen wollte. Sie hängen jedes beliebige Kontextstück an ihre Narrative, sobald irgendwo Trump das Wort „Frieden“ ausspricht. „Guter Trump – böser Trump“ Warum wurde Donald Trump für „Georgian Dream“ nach dem Alaska-Treffen plötzlich ein Vorbild, obwohl sie ihn zuvor oft beschuldigten, vom „Deep State“ kontrolliert zu werden? „Georgian Dream“ wählt immer den russischen Weg. Nach dem Alaska-Treffen schien es zunächst, als ob sich die Beziehungen zu Putin entspannten – und deshalb wurde Trump für „Georgian Dream“ plötzlich sympathisch. Ihnen gefallen Länder und Führer, die Putin ähneln oder über eine Normalisierung der Beziehungen zu ihm sprechen. „Georgian Dream“ selbst ist ein „Proxy“ von Putins Herrschaft. Wenn Trump Schritte unternimmt, die Putin zugutekommen, wie es nach diesem Treffen schien, beginnen sie sofort, ihn zu loben. Doch sobald die USA Sekundärsanktionen einführen würden, würde „Georgian Dream“ behaupten, Trump habe den „Deep State“ nicht besiegt und sei in dessen Kampf unterlegen. So jonglieren sie mit ihren Narrativen. Diese Narrative von „Georgian Dream“ orientieren sich ausschließlich an Russland und Putin – und nicht an unserer Souveränität oder echtem Frieden. Tsulukianis Status Was bedeutet für Sie Tsulukianis Statusmeldung? Warum verspottet eine Vertreterin von „Georgian Dream“ ein Land im Krieg? Dieser Status zeigt, warum „Georgian Dream“ auf Putins Seite steht. Mit ihrer Aussage degradierte Tsulukiani nicht nur Zelensky und die Ukraine, sondern auch die europäischen Staatschefs, die an seiner Seite standen. Zelenskys Stärke liegt darin, dass er mit starken Partnern zusammensteht. Die mögliche Gefahr, die nach dem Alaska-Treffen erkennbar wurde – nämlich Gebietsabtretungen – wurde vereitelt. Man erklärte: Wir stehen gemeinsam, die Souveränität muss gewahrt bleiben, über Sicherheit muss diskutiert werden. Damit scheiterte Putins Plan. Tsulukianis Aussage aber bedeutete, dass sie offen Putins Sieg in diesem Krieg unterstützt. Putins Sieg bedeutet, dass „Georgian Dream“ auch über die Gesellschaft und die europäische Zukunft triumphiert. Wie sehr haben sie sich an Putin angelehnt? Deutlicher geht es kaum. Sie sagen offen, dass sie Putins Sieg begrüßen. Genau das zeigt auch Tsulukianis Status. Sie kann nicht direkt sagen, dass sie Putin liebt und den russischen Weg gewählt haben – weil sie noch keine totale Autokratie etabliert haben. Deshalb sprechen sie in Andeutungen, kritisieren den Westen und machen deutlich: Putin ist ihnen geistig nahe. Tsulukiani war verärgert, dass Zelensky gemeinsam mit europäischen Staatschefs zu Trump ging – und dass in den USA nicht der Druck gegen Zelensky entstand, den sie erhofft hatte. Genau das konnten Tsulukiani und „Georgian Dream“ nicht ertragen. Trump–Putin Wie schätzt „Georgian Dream“ die Frage der georgischen Souveränität ein? Welche Perspektiven hat das Land unter dieser Regierung in den Beziehungen zu den USA? „Georgian Dream“ glaubt, dass, wenn Trump mit Putin die Beziehungen ordnet, dies automatisch auch bedeutet, dass sich die Beziehungen zu Georgien verbessern. Sie meinen, Russland sei der Durchgang, um mit den USA Beziehungen zu pflegen. Sie hoffen, dass Trump den georgischen Korridor für geopolitische Zwecke nutzt – ohne aber von „Georgian Dream“ Demokratie oder Menschenrechte zu verlangen. Doch J. D. Vance sagte in München, es gebe keine Partnerschaft mit den USA, solange Oppositionsführer und Journalisten im Gefängnis sitzen. Genau deshalb fehlt bis heute die Kommunikation mit Trumps Administration. „Georgian Dream“ sieht das Thema direkt: Wenn die Amerikaner sich mit Russland einigen, dann auch mit „Georgian Dream“. Jetzt warten sie darauf, dass die USA das Interesse an Georgien verlieren. Für „Georgian Dream“ existiert Souveränität nur im Kontext Putins. Sobald Trumps Haltung Putin gegenüber sehr kritisch wird, behaupten sie: Trump hat den „Deep State“ nicht besiegt. Sobald sie aber ein Szenario wie in Alaska sehen, drehen sie es und sagen: Trump hat eine kluge Entscheidung getroffen. Das zeigt: Sie freuen sich über jede Annäherung an Putin. Warum? Weil sie sich selbst als Teil davon betrachten. Chronologie der Fakten 15. August, Alaska-Gipfel , Slogan: „Streben nach Frieden“. Teilnehmer: US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin.Reuters berichtete, dass Putin bei dem Treffen forderte: Anerkennung der russischen Souveränität über das annektierte Krimgebiet, teilweise Aufhebung der gegen Russland verhängten Sanktionen, vollständigen Abzug ukrainischer Truppen aus den Regionen Donezk und Luhansk (im Gegenzug würde Russland die Frontlinie in den Regionen Cherson und Saporischschja einfrieren und eventuell kleinere Gebiete im Norden von Sumy und im Nordosten von Charkiw zurückgeben), offizielle Anerkennung der russischen Sprache in Teilen oder im gesamten Gebiet der Ukraine, freie Tätigkeit der russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine. 18. August, Washington-Treffen : Teilnehmer: US-Präsident Donald Trump, der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky und europäische Staats- und Regierungschefs.Botschaft Europas: Über territoriale Fragen nach Putins Szenario kann nicht entschieden werden. Die Ukraine ist Europa, und Europa wird nicht zulassen, dass Russland Grenzen festlegt. Es begann die Diskussion über Sicherheitsgarantien für die Ukraine, ähnlich Artikel 5 der NATO. Diskutiert wurden Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Rückführung ukrainischer Kinder sowie verschiedene Formate für ein persönliches Treffen zwischen Putin und Zelensky . Donald Trump erklärte, er habe begonnen, ein Treffen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky und Russlands Präsident Wladimir Putin zu organisieren. Das Treffen in Alaska zeigte einmal mehr, dass Putin die vollständige Missachtung der ukrainischen Souveränität anstrebt. Die Antwort aus Washington – mit der Betonung europäischer Geschlossenheit – hat dieses Szenario jedoch durchkreuzt. In Georgien dagegen bleibt das Narrativ von „Georgian Dream“ weiterhin im Einklang mit Putins Interessen.
- Katharina Blum in Tiflis: Wie man Kritik in Sabotage verwandelt
Wie eine Petition zur „Sabotage“ erklärt wird – und die Regierung ihre Kritiker aus dem Staatsdienst entfernt Am 9. August marschierten in Tiflis ehemalige Staatsbedienstete – viele von ihnen einst im georgischen Außenministerium beschäftigt – unter europäischer Flagge durch die Straßen. Ihr gemeinsamer Nenner: Sie hatten den Preis für ein politisches Bekenntnis gezahlt. In den vergangenen Monaten verloren zahlreiche Ministeriumsmitarbeiter, die an der EU-Integration arbeiteten, ihre Posten, nachdem sie eine Petition gegen die Ankündigung von Premier Irakli Kobachidse vom 28. November unterzeichnet hatten, die Beitrittsbemühungen bis 2028 auszusetzen. Eine Rede, die seither landesweit Proteste anheizt. Unter den Entlassenen: Giga Sopromadse , Gründer und Vorstandsmitglied der Berufsvereinigung „Verfassungsartikel 78“ sowie früherer Exekutivsekretär des Tiflisser Stadtrats für Behindertenfragen. Sein Rausschmiss, so Sopromadse, sei auf direkten Befehl von Bürgermeister Kacha Kaladze erfolgt – angeblich auf Betreiben des Leiters des Gesundheits- und Sozialdienstes der Stadt. Mehrere andere Ratsmitarbeiter mussten ebenfalls gehen. Sopromadse sieht einen klaren politischen Hintergrund. Öffentliche Stigmatisierung statt Argumente Der Grund war einfach: Wir hatten die Petition gegen Kobachidses Aussage unterschrieben und verbreitet. Natürlich haben wir protestiert – wie schon bei der ersten Lesung des sogenannten ‚russischen Gesetzes‘. Die Petitionen waren keine zentral koordinierte Aktion, sondern eine spontane Reaktion, sagt er. Nur wenige Tage später brandmarkte Kaladze die Petition öffentlich als „Sabotage“ und „versuchten Staatsstreich“ – mit der unmissverständlichen Zusage, dass dies Konsequenzen haben werde. Die öffentliche Stigmatisierung der Unterzeichner erinnert dabei unweigerlich an Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“: Auch dort wird das Leben eines Menschen durch die Mechanismen eines Macht- und Meinungskartells zerstört, weil eine private Entscheidung in einen öffentlichen Skandal verwandelt wird. In Tiflis sind es diesmal nicht Boulevardblätter, sondern offizielle Verlautbarungen, die kritische Beamte zu „Feinden“ der Stadt stilisieren. Bald folgten Berichte über Einschüchterungen gegen Unterzeichner. Einige zogen ihre Unterschrift unter Druck zurück. Mamuka Mdinaradze, Fraktionschef der Regierungspartei, erklärte spitz, es sei ohnehin bedeutungslos, ob jemand seine Unterschrift zurückziehe. Drohungen hinter verschlossenen Türen „Das war eine klare Drohung“ , erinnert sich Sopromadse. Zunächst habe es interne Anrufe gegeben: Man solle die Unterschrift zurückziehen, um den Arbeitsplatz zu behalten. Dann seien aus verschiedenen Behörden – darunter auch dem Tiflisser Stadtrat – Berichte aufgetaucht, wonach Abteilungsleiter angewiesen wurden, Proteste unter Angestellten zu unterdrücken. Ziel: so viele Rückzieher wie möglich. „Dutzende sagten uns, sie könnten dem Druck von oben nicht länger standhalten.“ Der Fall sei nur ein Mosaikstein in einem größeren Muster: Als kritischer Gegner des „russischen Gesetzes“ sei Sopromadse bereits vor der Petition ins Visier geraten – Boni wurden gestrichen, Aufgaben entzogen, Sitzungen ohne ihn abgehalten. Die von Mdinaradse im Dezember präsentierte Gesetzesänderung zur „Vereinfachung“ von Reorganisationen habe der Regierung schließlich den idealen Hebel gegeben: Seit Anfang 2025 folgten Entlassungen, Degradierungen und Umwandlungen unbefristeter in befristete Verträge. Eine weitere Änderung untersagte Gerichten, unrechtmäßig Entlassene nach Reorganisationen wieder einzusetzen. „Damit hat man den Gerichten faktisch verboten, Gerechtigkeit wiederherzustellen“, sagt Sopromadse. Die Schwächsten zuerst Der Druck habe sich sogar auf Familienmitglieder ausgedehnt: Wer in Behörden arbeitete oder juristisch angreifbar war, wurde gewarnt, dass Konsequenzen drohten, falls die Unterschrift nicht zurückgezogen werde. Besonders beschämend seien, so Sopromadse, die Angriffe auf die Verletzlichsten: Eine Gebärdensprachdolmetscherin, die elf Jahre lang Live-Sitzungen der Regierung übersetzt hatte, wurde entlassen – ohne fristgerechten Bescheid, sodass keine Klage möglich war. Monatelang gab es keine Übersetzung. Ein sehbehinderter Mitarbeiter wurde auf eine schlechter bezahlte Stelle gesetzt – faktisch eine Zwangskündigung. Auch Eltern mit vier Kindern, Frauen in Mutterschutz und Mütter mit Kleinkindern waren betroffen. Sopromadse wählte bewusst den Weg vor Gericht, nicht über den Ombudsmann: Das Verfahren beim öffentlichen Verteidiger verzögere Klagen, und sein Fall gehe über Diskriminierung hinaus. Dutzende andere hätten Beschwerden eingereicht; in einem Fall sei Diskriminierung bereits offiziell festgestellt worden. Warum Bleiben zählt „Als Nächstes bringen wir die Fälle vor Gericht. Parallel dazu arbeiten wir an der Öffentlichkeitsarbeit, wenden uns an internationale Organisationen und liefern Beweise, um Sanktionen gegen die Verantwortlichen durchzusetzen.“ Wie können regimekritische Beamte überleben? „Es ist entscheidend, dass integre Beamte in ihren Positionen bleiben. Wenn sie gehen, werden sie durch gehorsame Parteigänger ersetzt – nicht aufgrund von Qualifikation, sondern Loyalität.“ Als Beispiel nennt Sopromadse eine Mitarbeiterin mit 38 Jahren Erfahrung im Amt für internationale Beziehungen der Stadt, die ihre Unterschrift nicht zurückzog – woraufhin das gesamte Amt abgeschafft wurde. „Das sagt alles über die Prioritäten in der internationalen Arbeit.“ Die Botschaft an andere Ressorts sei klar: Wer widerspricht, wird abgewickelt – ob Gesundheit, Soziales oder Verkehr. „Ohne uns funktioniert nichts“ Sopromadse erinnert daran, dass die Verwaltung das Rückgrat des Staates ist: „Kein Befehl Kobachidses existiert, bevor nicht ein Beamter ihn schreibt, stempelt und verschickt. Ohne uns sind Minister, Bürgermeister und Abgeordnete handlungsunfähig.“ Die Strategie sei daher klar: organisieren, illegale Anweisungen verweigern, Souveränität verteidigen. „Wir haben Einkommen, Karrieren und Zukunft geopfert – aber nicht unsere Würde. Es gibt Linien, die man nicht überschreiten darf. Über Busfarben kann man streiten, über Programme auch – aber nicht über Unabhängigkeit, Souveränität und das Wohl der Bürger.“ Am Ende steht für ihn ein nüchternes Fazit: „Hätten mehr unterzeichnet, hätte die Regierung die Reorganisation nicht gewagt. Jetzt zählen Diskussion, Einheit und Solidarität.“
- Wie Georgian Dream Deutschland attackiert
In Georgien läuft aktuell eine gezielte politische Kampagne gegen Deutschland und insbesondere seinen Botschafter Peter Fischer. Offiziell geht es dabei um steuerliche Fragen rund um Mietzahlungen für ein Haus, das Fischer von der Familie des Oppositionspolitikers Mamuka Khazaradze angemietet hatte. Tatsächlich aber zeigt eine genauere Analyse, dass diese Steuerfrage nur ein Vorwand ist – die eigentliche Intention der Kampagne ist es, Deutschland und seine kritische Haltung gegenüber dem zunehmend autoritären Kurs der georgischen Regierung zu diskreditieren. Botschafter Fischer im Fadenkreuz georgischer Propaganda Die Affäre nahm ihren Anfang mit Vorwürfen des Parlamentspräsidenten Shalva Papuashvili, der öffentlich behauptete, Mamuka Khazaradze hätte steuerliche Verpflichtungen umgangen und wolle diese Schuld nun auf Botschafter Fischer abwälzen. Papuashvili bezeichnete Khazaradze dabei als „international anerkannten Betrüger“ und suggerierte indirekt, dass Fischer in diesen angeblichen Betrug involviert sei. Tatsächlich handelt es sich hierbei jedoch um den Versuch, Fischers diplomatisches Ansehen gezielt zu beschädigen. Grund dafür ist Fischers konsequent kritische Haltung gegenüber den repressiven Entwicklungen unter der Regierung von Bidzina Ivanishvili. Papuashvili ging sogar so weit, Fischer öffentlich als „Regisseur politischer Einschüchterung“ zu bezeichnen, nachdem dieser gemeinsam mit anderen Diplomaten und einer österreichischen Europaabgeordneten Gerichtsverhandlungen gegen regierungskritische Personen beobachtete – eine übliche diplomatische Praxis, die in Georgien jedoch offenbar als bedrohlich empfunden wird. Propaganda statt Fakten: Die Realität hinter den Vorwürfen Während staatliche Medien, allen voran der regierungsnahe Sender TV Imedi, die angeblichen steuerlichen Unregelmäßigkeiten mit großer Intensität verbreiteten, zeigt ein Blick auf die Faktenlage ein anderes Bild. Laut den Anwälten der Familie Khazaradze existiert ein rechtlich vollständig abgesicherter, notariell beglaubigter Mietvertrag zwischen Khazaradze und der deutschen Botschaft. Die staatliche Propaganda ignoriert diese Tatsache gezielt, um Deutschland öffentlich anzugreifen und international zu diskreditieren. DAAD finanziert Vertreter des Justizsystems Ivanishvilis Parallel zu dieser Anti-Deutschland-Kampagne wirft die Entscheidung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), Goga Kikilashvili ein Stipendium zu verleihen, ernste Fragen auf. Kikilashvili ist Mitglied im Hohen Rat der Justiz, einer Schlüsselinstitution in Georgien, die weithin für politische Einflussnahme und Manipulation der Justiz kritisiert wird. Pikant: Kikilashvili verschwieg diesen zentralen Aspekt in seiner DAAD-Bewerbung bewusst. Die Reaktion des DAAD auf die Enthüllungen bleibt erstaunlich passiv: Präsident Joybrato Mukherjee verweist auf „Neutralität“ und lehnte eine Rücknahme des Stipendiums ab. Diese Haltung bedeutet de facto, dass deutsche Steuergelder die Stützen eines autoritären Systems in Georgien unterstützen, während gleichzeitig Vertreter desselben Systems gezielte Attacken auf Deutschland und seinen Botschafter durchführen. Deutschlands klares Eintreten für Demokratie als wahre Ursache Der Grund, warum Georgian Dream Deutschland gezielt attackiert, ist offensichtlich: Deutschland und insbesondere Botschafter Fischer stehen für demokratische Werte und kritisieren offen die Entwicklungen in Georgien. Fischer unterstützte etwa durch seine Anwesenheit bei Gerichtsterminen öffentlich verfolgte Journalisten wie Mzia Amaghlobeli, deren Prozesse international als politisch motiviert bewertet werden. Amaghlobelis Prozess illustriert den Missbrauch der georgischen Justiz besonders deutlich: Obwohl objektive Beweise fehlen, droht ihr eine Haftstrafe von mehreren Jahren. Fischers Präsenz und Aufmerksamkeit stören offenbar das Narrativ der Regierung, weshalb Papuashvili und andere Regierungsvertreter versuchen, ihn und damit Deutschland selbst zu diskreditieren. Zeit für klare Positionierung Deutschlands Die Kontroverse um angebliche Steuerfragen ist nur ein Ablenkungsmanöver. Georgian Dreams eigentliche Strategie ist es, internationale Kritik zu diskreditieren und zum Schweigen zu bringen. Gleichzeitig erhält das georgische Regime paradoxerweise Unterstützung durch deutsche Steuergelder via DAAD. Deutschland steht jetzt vor einer entscheidenden Frage: Entweder beendet man diese Doppelmoral, stellt sich klar gegen antidemokratische Praktiken und stoppt indirekte Finanzierung dieser Strukturen, oder man riskiert, seine Glaubwürdigkeit und internationale Autorität nachhaltig zu beschädigen. Die Realität hinter dieser Kampagne zeigt deutlich: Nicht die Steuerfrage ist der eigentliche Skandal, sondern die politische Instrumentalisierung derselben durch Georgian Dream – und die ausbleibende entschlossene Antwort Deutschlands darauf.
- Ein Rückfall in dunkle Zeiten – der Fall Nino Datashvili
Es beginnt mit einer Auseinandersetzung im Foyer des Stadtgerichts von Tiflis. Am 9. Juni 2025 weigert sich die Aktivistin Nino Datashvili, einem absurden Platzverweis der Justizwache Folge zu leisten. Der Vorwurf: Sie habe sich dort aufgehalten, wo das Stehen – angeblich – verboten sei. Aus der verbalen Auseinandersetzung entwickelt sich ein Handgemenge, später folgt die offizielle Anklage: Angriff auf einen Beamten im Dienst. Ein Vorfall, der in einem funktionierenden Rechtsstaat kaum über eine Ordnungswidrigkeit hinausginge – in Georgien jedoch wird daraus eine kafkaeske Farce mit jahrelanger Haftdrohung. Doch die georgische Staatsanwaltschaft setzt noch einen drauf: Sie macht Datashvilis Gesundheit zum Thema. Genauer: Ihre Wirbelsäule – und deren angeblich psychische Nebenwirkungen. Ein von der NGO „Partnerschaft für Menschenrechte“ dokumentierter Gerichtsbeschluss erlaubt ihre Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik. Die georgische Justiz – oder das, was davon übrig ist – greift zu Methoden, wie man sie aus sowjetischen Zeiten kennt: Repression im weißen Kittel. Von Nino zu Nasi – Eine gefährliche Tradition lebt weiter Die Methoden mögen subtiler geworden sein – die Logik bleibt dieselbe. Wer unbequem ist, wird nicht widerlegt, sondern aussortiert. Die erschütternde Parallele zum Fall der Journalistin Nasi Shamanauri macht das besonders deutlich. Auch sie war eine Frau mit Rückgrat. Auch sie suchte die Wahrheit – und landete in der Psychiatrie. Geboren 1940 in Dusheti, war Shamanauri Journalistin, Französischlehrerin und gläubige Christin. In der Sowjetzeit schrieb sie über das Elend der Landbevölkerung – ein mutiger Akt unter brutaler Zensur. 1982 versuchte sie auf einer öffentlichen Veranstaltung, Missstände im Rayon Dusheti anzuprangern. Man ließ sie nicht zu Wort kommen. Sie rief ihre Kritik dennoch laut heraus – und wurde verhaftet, gemeinsam mit ihrer Mutter in die Psychiatrie eingeliefert. Was folgte, war Folter im medizinischen Gewand. Ihre Tagebücher – später unter dem Titel „Meine Wahrheit, mein Feind“ veröffentlicht – beschreiben Zwangsbehandlungen, Schläge, Medikamentenmissbrauch, Demütigungen und Isolation. Sie widerrief nicht. Doch sie überlebte nicht. Am 12. Januar 1983 wurde sie bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert – acht Tage später war sie tot. Die Sowjetpropaganda erklärte sie für geisteskrank. Heute wissen wir: Sie war nicht krank – sie war mutig. Und im Georgien des Jahres 2025 ist ihre Geschichte keine ferne Erinnerung – sondern eine brennende Warnung. Dasselbe System. Andere Sprache. Psychiatrie als politisches Werkzeug Datashvilis Anwältin Tamari Gabodze bringt es auf den Punkt: Es geht nicht um Medizin, sondern um politische Ausschaltung. Ziel sei die Stigmatisierung und Entmündigung einer Aktivistin. Dass diese Einschätzung berechtigt ist, zeigt ein Blick auf die georgische Gerichtspraxis: Keine der Beschwerden der Verteidigung wurde je ernsthaft geprüft. Und das ist kein Einzelfall: Es erinnert an den psychiatrischen Gutachter David Magradze, der bereits in den 2000er-Jahren durch fragwürdige Diagnosen auffiel. 2009 stellte er bei einem 20-Jährigen „organisch bedingte wahnhafte Störungen“ fest – aufgrund eines Kratzers am Hals und „nervösem Blickkontakt“. Der junge Mann wurde für drei Jahre in die berüchtigte Klinik in Khoni zwangseingewiesen. Heute, 16 Jahre später, wird genau diese Einrichtung gegen eine Aktivistin eingesetzt, deren einziges „Vergehen“ es war, öffentlich Widerspruch zu leisten. Diagnose als Disziplinierung Wenn man der medizinischen Argumentation im Fall Datashvili folgt, reicht künftig jedes emotionale Verhalten – Reizbarkeit, Wut, Trauer – aus, um als Sicherheitsrisiko zu gelten. Es ist eine gefährliche Verkehrung ärztlicher Ethik: Was früher Hilfe bedeutete, wird heute zur Waffe staatlicher Kontrolle. Nicht wegen Psychosen – sondern wegen Ungehorsam. Zur Begründung der Zwangseinweisung stützt sich die Justiz auf einen medizinischen Eintrag von 2019, der von „emotionaler Labilität“ infolge von Wirbelsäulenproblemen spricht. Ein psychiatrischer Befund ist das nicht. Doch in Georgien genügt so etwas offenbar – ein Instrumentarium, das einst die Sowjetunion perfektionierte und das nun ein beunruhigendes Comeback feiert. Schweigen schützt vor Krankheit? Die Botschaft an die Zivilgesellschaft ist klar: Wer redet, wird krankgeschrieben. Wer protestiert, wird pathologisiert. Wer unbequem ist, verliert seine Bürgerrechte – nicht auf dem Papier, sondern im Klinikflur. Die Fälle von Shamanauri, Meunargia und nun Datashvili zeigen, wie tief der Missbrauch psychiatrischer Institutionen in der autoritären Repressionslogik verwurzelt ist. Und Georgien – das sich als europäisch inszeniert – greift dabei auf sowjetische Werkzeuge zurück. Stigmatisierung als System Wer glaubt, Datashvilis Fall sei ein Ausrutscher, verkennt das Muster. Die gezielte Nutzung medizinischer Diagnosen zur Ausschaltung von Gegner:innen ist kein Einzelfall, sondern Methode. Wenn der Gerichtssaal zu heikel wird, verlegt man die Verhandlung ins Sanatorium – ohne Kameras, ohne Öffentlichkeit, ohne Widerworte. Und vor allem: ohne Rechtsstaat. Die Dämonisierung in Zeitlupe Datashvili war unbequem. Jung, konsequent, systemkritisch – und nicht vereinnahmbar. Sie hatte keine Parteibindung, keine PR-Strateg:innen, keine Angst vor Öffentlichkeit. Ihr Aktivismus war direkt, laut, kompromisslos. Und genau das machte sie gefährlich für ein Regime, das seine autoritäre Transformation lieber hinter PR-Floskeln versteckt. Die Strategie ist bekannt: Erst kriminalisieren, dann psychiatrisch abstempeln, schließlich isolieren. Danach ist sie „politisch erledigt“ – nicht wegen ihrer Aussagen, sondern wegen ihres angeblichen Zustands. fließend – und gefährlich. Europa muss mehr tun Während die baltischen Staaten – insbesondere Litauen, Lettland und Estland – gezielt mit Einreiseverboten auf die Repressionen reagieren, zeigen sich andere EU-Staaten bislang auffällig zurückhaltend. Gerade Deutschland und Frankreich sollten handeln – nicht mit General-Sanktionen gegen Georgien, sondern mit gezielten Konsequenzen gegen die Verantwortlichen. Richter, Gutachter, Beamte, die an politisch motivierter Verfolgung beteiligt sind, dürfen nicht weiter geduldet werden. Wer Repression sanktionsfrei lässt, macht sie möglich.
- Litauen muss handeln: Sanktionen gegen Georgiens Hohen Justizrat verhängen, um Demokratie und Pressefreiheit zu verteidigen
Dieser Artikel wurde in 15min (litauisch: Penkiolika minučių), einer der größten Nachrichten-Websites Litauens, veröffentlicht und von Giorgi Meladze verfasst. Da der Kommentar von größerem Interesse sein könnte, veröffentlichen wir ihn in einer leicht bearbeiteten maschinellen Übersetzung auf Deutsch. https://www.15min.lt/naujiena/aktualu/nuomones/giorgi-meladze-lietuva-privalo-veikti-del-sakartvelo-18-2498830 Das bevorstehende Urteil gegen Mzia Amaghlobeli, eine prominente georgische Journalistin und anerkannte „Gefangene aus Gewissensgründen“, markiert einen kritischen Moment für die Pressefreiheit und die Justiz in Georgien. Ihre mögliche Inhaftierung, die auf einen Vorfall zurückzuführen ist, der allgemein als von der Polizei provoziert gilt, ist ein deutliches Symbol für Georgiens besorgniserregenden demokratischen Rückschritt und ein direkter Angriff auf unabhängige Medien. Diese Situation erfordert eine eindeutige Reaktion. Litauen, ein Land, das durch seinen eigenen Kampf gegen die totalitäre Herrschaft Russlands geprägt ist und eine bewährte Vorreiterrolle im Kampf gegen autoritäre Aggression einnimmt, muss bereit sein, gezielte Sanktionen gegen alle Mitglieder des Hohen Justizrats Georgiens zu verhängen, sollte Amaghlobeli zu Unrecht inhaftiert werden. Ein Eingreifen wäre ein klares Signal dafür, dass Repressionen schnelle und sichere Konsequenzen nach sich ziehen können. Mzia Amaghlobeli drohen vier bis sieben Jahre Haft wegen „Körperverletzung eines Polizeibeamten“. Diese Anklage wird allgemein als „übertrieben und politisch motiviert“ verurteilt. In ihrer Aussage beschreibt sie eine „impulsive Reaktion auf die beleidigende, erniedrigende, arrogante und spöttische Behandlung“ durch die Polizei während einer gewaltsam niedergeschlagenen Demonstration. Ein Experte fand im Gesicht des geohrfeigten Polizeichefs „keine Anzeichen“ von Verletzungen, und der Oberste Gerichtshof Georgias wertet eine Ohrfeige nicht einmal als „Angriff“ mit minimalem Schaden. Die Anklagepunkte sind eklatant unverhältnismäßig: Eine andere Person, die einen Beamten wegen Verkehrsvergehen geohrfeigt hatte, erhielt lediglich eine Geldstrafe und drei Tage Haft, während Amaghlobeli mit einer möglichen siebenjährigen Haftstrafe rechnen muss. Es gibt zahlreiche Verfahrensunregelmäßigkeiten. Der Richter lehnte Anträge auf Vorladung wichtiger Zeugen ab, und die Transparenz wird durch Filmverbote in Gerichtssälen eingeschränkt. Diese Strafverfolgung ist Teil einer umfassenderen „autoritären Druckkampagne“ gegen unabhängige Medien. Wenige Tage vor ihrem Urteil wurden die Bankkonten von Amaghlobelis Medien Batumelebi und Netgazeti wegen angeblicher Steuerschulden beschlagnahmt, obwohl diese aktiv zurückgezahlt wurden. Internationale Gruppen für Pressefreiheit verurteilen dies als „Versuch, das Medienunternehmen zu schließen“ und „direkten Druck“ auf Amaghlobeli. Dieses Muster spiegelt eine „umfassendere Beschneidung demokratischer Freiheiten“ unter der Regierungspartei Georgischer Traum wider. Das McCain Institute erklärt, ihre Strafverfolgung diene als „Warnung an alle Demokratiekämpfer“. Die Reaktion Litauens muss diesem abschreckenden Effekt direkt entgegenwirken. Litauens Bekenntnis zur Demokratie ist tief verwurzelt. Viele Menschen erinnern sich aus erster Hand an den jahrzehntelangen Unabhängigkeitskampf gegen die sowjetische und russische Herrschaft. Dieser Kampf gegen die totalitäre Herrschaft untermauert Litauens Bekenntnis zu diesen Werten. Anders als viele postsowjetische Staaten, in denen die Rechtsstaatlichkeit ins Wanken geriet, baute Litauen eine dauerhafte Demokratie auf, die widerstandsfähiger gegen autoritären Druck war. Dies verleiht Litauen eine beispiellose moralische Autorität, wenn es sich gegen autoritäre Tendenzen ausspricht. Diese prinzipielle Haltung spiegelt sich in Litauens proaktiver Außenpolitik wider. Ein ab Mai 2023 geltendes Gesetz verbietet die Förderung totalitärer und autoritärer Regime und definiert ein „autoritäres Regime“ als ein System, das „verfassungsmäßige Rechte und Freiheiten“ ablehnt. Der Fall Amaghlobeli – mit seinen politisch motivierten Anschuldigungen und der Unterdrückung unabhängiger Medien – entspricht genau dieser Definition. Die Verhängung von Sanktionen wäre daher eine konsequente, prinzipielle Anwendung des antiautoritären Konzepts Litauens. Darüber hinaus ist Litauen ein anerkannter Vorreiter bei der Verhängung „rascher und sicherer Konsequenzen“ für autoritäre Aggressionen und verfügt über einen robusten Rahmen für internationale und autonome Sanktionen, darunter wirtschaftliche, finanzielle und politische Maßnahmen. Sanktionen gegen den Hohen Justizrat sind die angemessenste und zielgerichteteste Reaktion auf die Mitschuld der Justiz am demokratischen Rückschritt Georgiens. Der Hohe Rat spielt eine zentrale Rolle bei der Ernennung und Disziplinierung von Richtern und macht seine Mitglieder direkt dafür verantwortlich, die Unabhängigkeit Georgiens zu wahren oder zu untergraben und Verfolgung zu ermöglichen. Litauen verfügt über die Kapazitäten, solche Maßnahmen umzusetzen, da sein umfassender Sanktionsrahmen Einreiseverbote für bestimmte Personen ermöglicht. Bisher wurden 112 Personen, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen in Georgien in Verbindung gebracht werden, auf Litauens Sanktionsliste gesetzt. Diese gezielten Instrumente richten sich gegen Personen, die direkt für die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und die Unterdrückung von Freiheiten verantwortlich sind. Dies schafft zudem Unsicherheit darüber, ob sanktionierte Personen ( hier eine vollständige Liste der 15 Mitglieder) überhaupt in den Schengen-Raum einreisen dürfen. Dieser Ansatz setzt bestimmte Personen unter Druck und sendet die klare Botschaft, dass Mitschuld an politischer Verfolgung persönliche und berufliche Konsequenzen nach sich zieht. Mit solchen Maßnahmen ist Litauen wiederholt mit gutem Beispiel vorangegangen, was andere Länder im Baltikum und in der gesamten Europäischen Union angeht. Georgien befindet sich in einer schweren Krise, die auch die Entschlossenheit Europas auf die Probe stellt. Litauens gezielte Sanktionen gegen den Hohen Justizrat Georgiens stärken nicht nur seine Führungsrolle im prodemokratischen Lager, sondern senden auch eine unmissverständliche Botschaft an die Welt: Verstöße gegen die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz und grundlegende Menschenrechte werden rasche, sichere und spürbare Konsequenzen nach sich ziehen. Dieses entschlossene Handeln ist unerlässlich, um den demokratischen Raum in und um Europa zu verteidigen, in einer Zeit, in der diese Werte angegriffen werden.
- Verheiratet mit dem Deep State: Halloween bei Georgian Dream
Wenn westlicher Einfluss verteufelt wird – außer er sitzt beim Abendessen am Tisch In Georgien ist derzeit politisch gesehen jeden Tag Halloween. Zwar nicht im Kalender, aber ganz sicher im politischen Verhalten der Regierungspartei Georgian Dream , die es mittlerweile zur Kunstform erhoben hat, dem eigenen Volk eine Gruselgeschichte nach der anderen zu erzählen – mit dem Westen als dunklem Dämon, NGOs als Gespenstern der Unterwanderung und der US- sowie deutschen Botschaft als Spukschlössern der fremden Einflussnahme. Wie bei jeder guten Halloween-Inszenierung geht es dabei weniger um Realität als um Emotion. Die Bürgerinnen und Bürger sollen erschrecken, nicht nachfragen. Es geht um das große Spiel mit der Angst vor „ausländischem Einfluss“, um dämonisierte Begriffe wie „Agent“, „Globalisten“, „Soros-Finanzierung“ – alles in einen Topf geworfen, kräftig umgerührt und medienwirksam serviert. Doch so sorgfältig die Maskerade auch sein mag: Wer ein wenig genauer hinsieht, erkennt rasch, dass die gruseligsten Masken nicht auf der Straße getragen werden, sondern im Parlament. Und dass diejenigen, die tagsüber das Volk vor dem Westen warnen, abends denselben Westen zum Abendessen empfangen – ganz ohne Maske, ganz ohne Nebelmaschine. Der Widerspruch könnte nicht größer sein: Während NGOs sich registrieren müssen, weil sie Unterstützung aus Brüssel oder Berlin erhalten, während investigative Medien als Feinde der Nation dargestellt und Menschenrechtsorganisationen zur fünften Kolonne erklärt werden, zeigt ein kurzer Blick ins Privatleben mancher führender GD-Politiker eine ganz andere Geschichte – eine Geschichte, die weder schaurig noch verschwörerisch, sondern schlicht peinlich ist. So ist bekannt, dass die Ehefrau von Nikoloz Samkharadze , dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses im Parlament, in der deutschen Botschaft in Tbilisi arbeitet . Dasselbe gilt für die Ehefrau seines Stellvertreters Giorgi Khelashvili , die bei der US-Botschaft tätig ist . Beide Frauen sind nach allem, was bekannt ist, qualifizierte, professionelle Mitarbeiterinnen, die ihre Aufgaben mit Integrität und Kompetenz erfüllen. Sie sind Teil jener diplomatischen Infrastruktur, auf der westlich-georgische Beziehungen überhaupt erst basieren können. Und gerade deshalb verdienen sie Respekt. Doch was verdient man für eine Politik, die den Westen in der Öffentlichkeit zum Feind erklärt und ihn im privaten Raum akzeptiert – ja, sogar integriert? Eine Politik, die dem Volk Angst vor „westlichem Einfluss“ macht, während sie gleichzeitig auf Botschaftsempfängen lächelt, Fördergelder mitnimmt und sich in internationalen Gremien um Glaubwürdigkeit bemüht? Die Halloween-Metapher wirkt in diesem Kontext fast zu milde – denn Georgian Dream inszeniert nicht einfach eine jährliche Gruselshow, sondern hat das Spiel mit Masken, Täuschung und Angst längst zur permanenten Regierungsform erhoben. Die Öffentlichkeit sieht Minister, die lautstark Souveränität einfordern, aber hinter den Kulissen Familienmitglieder haben, die auf Gehaltslisten westlicher Botschaften stehen. Und das ist nicht illegitim – es ist nur bemerkenswert inkonsequent. Wäre das gleiche im Umfeld der Opposition passiert – man stelle sich vor, ein NGO-Aktivist wäre mit einer EU-Diplomatin verheiratet – die Empörung wäre programmiert: Verdächtigungen, TV-Kampagnen, Telegram-Leaks, vielleicht sogar gesetzliche Konsequenzen. Doch im eigenen Machtbereich gilt ein anderer Maßstab. Dort wird aus dem angeblich zerstörerischen „ausländischen Einfluss“ plötzlich ein ganz normaler Teil des Alltags. Der Deep State, vor dem man das Volk warnt, wohnt dann eben nicht im Ausland, sondern im Flur. So lässt sich das Prinzip dieser Regierung zusammenfassen: Für das Volk gibt es Trick-or-Treat, für die Familie Treat-only. Wer den Westen braucht, bekommt ihn – solange er nicht widerspricht. Wer aber von ihm profitiert und gleichzeitig kritisch bleibt, wird dämonisiert. Wer mit westlicher Finanzierung Demokratieförderung betreibt, ist verdächtig. Wer mit einer westlich diplomatischen Einrichtung verheiratet ist, bleibt unberührt. Diese Doppelmoral ist keine Anekdote, sie ist systemisch. Sie offenbart die innere Leere jener Antiwest-Rhetorik, die in Wahrheit nichts mit nationaler Selbstbestimmung zu tun hat, sondern alles mit Machttechnik. „Ausländischer Einfluss“ ist dabei kein klar definierter Begriff, sondern eine variable Chiffre – flexibel einsetzbar gegen politische Gegner, gegen Medien, gegen unliebsame Stimmen. Fürs eigene Umfeld gilt: keine Fragen, keine Registrierungspflicht, kein Theater. Das Tragische daran ist nicht nur die offensichtliche Heuchelei, sondern auch die politische Wirkung. Denn während sich die Partei in ihrer selbstgestrickten Halloween-Realität verliert, wird die internationale Glaubwürdigkeit Georgiens zerstört – Schritt für Schritt, Gesetz für Gesetz, Maske für Maske. Dabei gäbe es genug Beispiele innerhalb des eigenen Landes, wie konstruktive Beziehungen mit westlichen Institutionen aussehen könnten. Die Ehefrauen von Samkharadze und Khelashvili sind zwei solcher Beispiele – ob gewollt oder nicht, sie verkörpern das Georgien, das Georgian Dream zu fürchten vorgibt: ein Georgien, das vernetzt ist, kooperationsbereit, professionell. Vielleicht ist es Zeit, mit der Maskerade aufzuhören. Vielleicht ist es Zeit, zuzugeben, dass man die Welt braucht, die man verteufelt. Und vielleicht ist es Zeit, das Volk nicht länger mit Gruselgeschichten über westliche Unterwanderung zu traktieren – während man gleichzeitig mit dem Westen Geschäfte macht, Verträge unterschreibt und Familien gründet. Georgien hat mehr verdient als eine Regierung, die sich von Halloween zu Halloween hangelt, in der Hoffnung, dass niemand die Maske lüftet. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben Anspruch auf Wahrheit – und auf Politiker, die auch zu Hause das vertreten, was sie öffentlich sagen.
- Wahlboykott in Georgien: Warum die Opposition nicht länger Komplize spielen will
Aufstand gegen das autoritäre Spektakel – Tsutskiridze über Boykott, Demokratie und Deutschlands Rolle Am 19. Juli füllten sich die zentralen Alleen von Tiflis mit Hunderten Demonstrierenden, die einem klaren Aufruf folgten: Boykottiert die anstehenden Kommunalwahlen am 4. Oktober. Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Kundgebung wirkte, entpuppte sich rasch als machtvolle politische Inszenierung – nicht im Dienste des Regimes, sondern gegen es. Organisiert von einem Bündnis aus Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen, war der Protestmarsch Ausdruck einer Strategie, die viele als riskant, aber notwendig betrachten: den bewussten Entzug der Legitimation. Denn nach den umstrittenen Parlamentswahlen vom 26. Oktober 2024, die von internationalen Beobachtern wie dem Europäischen Parlament als weder frei noch fair bezeichnet wurden, scheint für viele in der Opposition klar: Wer jetzt noch mitspielt, spielt mit. „Ein russisches Theaterstück – ohne uns“ In einem Interview mit Tiflis24 erläuterte Levan Tsutskiridze, Vorsitzender der Oppositionspartei „Freedom Square“, warum seine Bewegung den Urnengang nicht als demokratischen Akt, sondern als institutionalisierte Täuschung betrachtet. „An den Kommunalwahlen teilzunehmen hieße, die gefälschten Ergebnisse vom 26. Oktober nachträglich zu legitimieren“, so Tsutskiridze. „Das ist keine bloß moralische Haltung – es ist ein Akt politischer Selbstverteidigung. Wir verweigern uns dem russisch inspirierten Theaterspiel.“ Wenig überraschend verweist er auf das Narrativ der „Show-Demokratie“, bei der Form und Verfahren intakt erscheinen mögen, der Inhalt aber längst von Machtmissbrauch und autoritärer Kontrolle ausgehöhlt ist. Verfassung contra Verstand? Rechtlich betrachtet sind die Kommunalwahlen von den Parlamentswahlen unabhängig – sie müssen laut Verfassung ohnehin stattfinden. Doch Tsutskiridze kontert: „Auch wir haben verfassungsmäßige Rechte – darunter das Recht, uns zu verweigern, wenn ein System missbraucht wird. Es geht nicht darum, sich zurückzuziehen, sondern darum, die Kampfzone zu verlagern: von den Wahlurnen auf die Straße.“ Gakharia, Khukhashvili und der Mythos der strategischen Teilnahme Nicht alle Oppositionsakteure teilen Tsutskiridzes Analyse. Vertreter der Partei von Ex-Premier Giorgi Gakharia etwa befürworten eine aktive Teilnahme an den Kommunalwahlen – als Bühne zur Propagandaabwehr. Tsutskiridze bleibt gelassen, aber bestimmt: „Der eigentliche Frontverlauf liegt nicht in den Wahllokalen, sondern in der öffentlichen Verweigerung. Wer sich auf die Showbühne der Regierung begibt, liefert ihr genau das, was sie will: den Anschein von Normalität.“ Auch Politologen wie Gia Khukhashvili argumentieren für eine „taktische Teilnahme“. Tsutskiridzes Antwort fällt höflich, aber eindeutig aus: „Sie dürfen das gern so sehen. Ich halte es für einen Fehler. Unser Ziel ist ein freies Land – dafür braucht es Klarheit, nicht Kompromissbereitschaft mit der Unfreiheit.“ Boykott als Auftakt – nicht als Rückzug Ein Missverständnis will Tsutskiridze gar nicht erst aufkommen lassen: Der Boykott ist nicht das Ende des politischen Engagements – er ist dessen Auftakt. Eine neue landesweite Kampagne sei bereits in Vorbereitung. Im Fokus: die ländlichen Regionen, wo „Georgian Dream“ seine letzten Bastionen hält. „Wir werden eine pluralistische, inklusive und zukunftsfähige politische Bewegung aufbauen. Eine, die nicht nur sagt, was falsch läuft, sondern auch zeigt, wie es besser geht.“ Mit dem Mittel direkter Demokratie und partizipativer Formate will die Bewegung Vertrauen zurückgewinnen – dort, wo es am nötigsten ist: außerhalb der Hauptstadt. Deutschland als Leuchtturm Angesprochen auf die internationale Dimension des georgischen Widerstands, betont Tsutskiridze vor allem die Rolle Deutschlands. „Deutschland ist für uns mehr als nur ein Partner. Es ist ein verlässlicher Anker in stürmischen Zeiten. Während Georgian Dream Nebelkerzen wirft und Desinformation verbreitet, bleibt Berlin klar – und dafür sind wir dankbar.“ Auf die Frage, ob eine intensivere Sanktionspolitik zu erwarten sei, blieb Tsutskiridze diplomatisch, aber zuversichtlich: „Ich glaube, dass Deutschland sehr genau beobachtet, was hier passiert – und die richtigen Schlüsse zieht. Die Freundschaft wird zurückkehren, stärker als je zuvor.“ Zwischen Hoffnung und Realität: Was kommt nach dem Boykott? Die große Frage bleibt: Kann ein Wahlboykott in einem ohnehin fragmentierten politischen System etwas bewirken? Für Tsutskiridze liegt die Antwort in der Glaubwürdigkeit. Eine Opposition, die sich nicht korrumpieren lässt – das ist seine Vision. „Demokratie fragt nicht um Erlaubnis. Sie fordert sich selbst ein. Und wir fordern einen Staat, der uns gehört – nicht Oligarchen, nicht fremden Mächten.“ Ob diese Strategie aufgeht, hängt nicht nur vom Durchhaltevermögen der Opposition ab, sondern auch von der Fähigkeit Europas, dem georgischen Demokratietheater endlich die Maske vom Gesicht zu reißen. Neue Frontlinien – altes System Der 19. Juli könnte als Wendepunkt in die politische Geschichte Georgiens eingehen – als Moment, in dem sich Teile der Opposition gegen den institutionellen Selbstbetrug entschieden. Nicht, weil sie keine Alternativen hätten, sondern weil sie die Farce nicht länger mittragen wollen. Ob dieser Widerstand Früchte trägt, wird sich zeigen. Klar ist jedoch: In den Straßen von Tiflis wird nicht nur gegen Wahlen protestiert. Es wird für ein anderes Georgien gekämpft.
- Wenn die Geschichte sich wiederholt: Justiz, Propaganda und öffentlicher Rundfunk in Georgien
Geschichte mag sich nicht exakt wiederholen, aber sie reimt sich bekanntlich oft. In Georgien spielt sich derzeit ein Schauspiel ab, das beunruhigende Parallelen zu einigen der dunkelsten Kapitel Europas aufweist – eine Justiz, die offensichtliches Unrecht sanktioniert, Medien, die Propaganda über die Wahrheit stellen, und eine Öffentlichkeit, die um ihre Stimme kämpft . Der Fall des 19-jährigen Studenten Saba Jikia ist zum Symbol dieser Entwicklung geworden. Jikia wurde im Juli 2025 von der Tbilisser Stadtgericht zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt – wegen eines angeblichen Tritts gegen einen Polizisten bei Protesten, obwohl der angeblich Geschädigte selbst aussagte, keine Verletzungen erlitten zu haben . Noch brisanter: Regierungsnahe Medien behaupteten kurzerhand, Jikia habe einen Polizisten mit einem Messer angegriffen , obwohl im gesamten Prozess kein Messer je erwähnt wurde . Während regimetreue Kanäle die Fakten verdrehen, herrscht auf dem offiziell öffentlich-rechtlichen Rundfunk Georgiens dröhnendes Schweigen . Ausgerechnet der aus Steuergeldern finanzierte Sender, der per Gesetz eigentlich die Bürger unabhängig und objektiv informieren soll, hat es versäumt, diese offensichtliche Desinformationskampagne richtigzustellen oder den Familien der politischen Gefangenen eine Plattform zu geben. Dieses Versagen hat empörte Proteste ausgelöst: Vor dem Gebäude des georgischen Public Broadcaster versammelten sich Demonstranten, um genau jene Unabhängigkeit einzufordern, die ein öffentlich-rechtlicher Sender haben muss. Ihre Forderung: Gebt der Wahrheit eine Stimme, bevor es zu spät ist. Mit bitterem Sarkasmus könnte man fragen: Ist das georgische Staatsfernsehen mittlerweile das, was einst der Volksempfänger für Göbbels’ Propagandaministerium war? Und betreibt die georgische Justiz eine „Rechtspflege“, die eher an Roland Freislers Volksgerichtshof erinnert als an ein modernes europäisches Gericht? Dieser Bericht beleuchtet – mit einem Augenzwinkern und doch auf Fakten gestützt – die erstaunlichen Analogien zwischen den Vorgängen im heutigen Georgien und historischen Lehren aus der Nazi-Zeit , insbesondere was die Rolle von Richtern und Medien in Zeiten des Unrechts betrifft. Justiz im Dienst des Unrechts: Lektionen aus Nürnberg In autoritären Systemen wird das Gericht zum Schwert der Herrschenden – oder wie im Fall der NS-Zeit sprichwörtlich zum Dolch unter der Robe . Die Verurteilung von Saba Jikia wirkt in ihrer Härte und Absurdität wie ein ferner, aber unheilvoller Widerhall der NS-Justiz . Damals, in den 1940er Jahren, erließen Nazi-Juristen ganze Kaskaden von Terrorgesetzen , um Regimegegner und unerwünschte Personen „legal“ auszuschalten. Verordnungen wie die berüchtigte „Volksschädlingsverordnung“ von 1939 oder der Nacht-und-Nebel-Erlass dienten als Vorwand, unliebsame Menschen – ob politische Gegner, Juden oder andere Minderheiten – mit dem Anschein von Legalität zu verfolgen. Sondergerichte verhängten auf dieser Grundlage zahllose Todesurteile und machten die Justiz zu einem willigen Vollstrecker des Unrechtsstaates. Heute fallen in Georgien zwar keine Todesurteile gegen Regierungsgegner, doch das Prinzip ist erschreckend ähnlich: Strafgesetze werden missbraucht, um Exemplen zu statuieren und Protest ersticken zu lassen . Saba Jikias angebliches Verbrechen – ein Tritt gegen einen gepanzerten Polizeibeamten inmitten einer chaotischen Protestsituation – wurde behandelt, als hätte er ein Kapitalverbrechen begangen. Vier Jahre und sechs Monate Haft für einen Teenager, der niemandem ernsthaften Schaden zufügte, muten absolut unverhältnismäßig an. Zum Vergleich: In Deutschland würde eine solche Tat – so sie denn überhaupt beweisbar wäre – wohl als einfache Körperverletzung oder Widerstand gewertet und kaum eine derartige Gefängnisstrafe nach sich ziehen. Die georgische Richterin Tamar Mchedlishvili jedoch setzte offenkundig ein Exempel im Sinne der Machthaber . Dabei ist Richterin Mchedlishvili kein unbeschriebenes Blatt. Ihr Name findet sich auf der Sanktionsliste gleich mehrerer westlicher Staaten, die jene Personen mit Einreiseverbot belegten, die in Georgien „repressive Maßnahmen im Namen der Regierungspartei Georgian Dream durchsetzen“ . Im März 2025 belegte beispielsweise Estland insgesamt 16 georgische Richter – darunter Tamar Mchedlishvili – mit Sanktionen, wegen ihrer Rolle bei der Verfolgung von Protestteilnehmern und Oppositionsvertretern . Die baltischen Staaten wollten damit ein Zeichen setzen, dass „Gewalt gegen Protestierende, Journalisten und Oppositionelle inakzeptabel und kriminell“ ist. Man könnte also sagen: Während Frau Mchedlishvili vielleicht glaubte, sie stünde mit ihrem harten Urteil auf der Seite von Gesetz und Ordnung, steht sie aus Sicht demokratischer Staaten längst am Pranger – ganz so, wie einst die willigen Helfer der NS-Justiz nach 1945 am Pranger der Weltgeschichte standen. Eine bittere historische Ironie drängt sich auf: In Nürnberg 1947 mussten sich deutsche Juristen dafür verantworten, dass sie „nur Gesetze vollzogen“ hatten, die zu ihrer Zeit gültig waren, aber offenkundig gegen Menschlichkeit und Gerechtigkeit verstießen . Ihre Verteidigung – man habe nichts Unrechtes getan, da man ja dem geltenden Recht folgte – wurde vom Gericht verächtlich verworfen. In der Urteilsbegründung des Nürnberger Juristenprozesses hieß es sinngemäß, dass allgemeingültige Prinzipien des Rechts stets über positivem Unrecht stehen und die zivilisierte Welt ein Urteil fällen müsse über ein „ drakonisches, korruptes und verderbtes Rechtssystem “ wie das der Nationalsozialisten. Mit anderen Worten: „Befehle“ oder „Gesetze“ sind keine Entschuldigung, wenn sie offenkundig gegen grundlegende Rechtsprinzipien verstoßen . Die Nazi-Richter konnten sich nicht damit herausreden, sie hätten ja nur die damals geltenden Verordnungen – wie z.B. die genannten Terrorgesetze – angewendet. Das Tribunal erkannte klar: Wer Unrecht im Gewand des Rechts exekutiert, macht sich schuldig. Man möchte den georgischen Richtern – und auch den Staatsanwälten – zurufen: „Habt ihr aus der Geschichte nichts gelernt?“ Wenn ein Justizsystem dazu benutzt wird, unbescholtene junge Menschen als “abschreckende Beispiel“ wegzusperren, dann begeht auch die Robenträger-Elite Verrat an ihrem eigentlichen Auftrag. Die Georgische Verfassung (ähnlich wie alle modernen Verfassungen) stellt die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit an oberste Stelle. In dem Moment, wo Richter beginnen, auf Geheiß der Mächtigen drakonische Strafen gegen politische Gegner zu verhängen, verwandelt sich die Justiz vom Schutzschild der Bürger in ein Schwert der Unterdrückung. Sarkasmus mag hier erlaubt sein: Vielleicht hat man in Tiflis Roland Freislers Handbuch für Schauprozesse wiederentdeckt? Freisler, berüchtigter Präsident des NS-„Volksgerichtshofs“, beschimpfte die Angeklagten – zumeist Widerstandskämpfer – in Schauprozessen und verhängte Todesurteile im Akkord. In Georgien erlebten Prozessbeobachter zwar kein vergleichbares Spektakel, aber ähnlich zweifelhafte Praktiken: So berichtet Jikias Anwalt Guja Avsajanishvili, dass die Richterin das Urteil offenbar schon vorgeschrieben hatte, bevor die Schlussplädoyers überhaupt beendet waren – ein Indiz dafür, dass das Urteil politisch vorbestimmt war. Damals wie heute wird also das Urteil zuerst festgelegt und die Verhandlung zur Farce . Vielleicht sind wir nur froh, dass heutige Unrechtsurteile „nur“ Gefängnis bedeuten und nicht den Strang – ein schwacher Trost angesichts zerstörter Jugendjahre unschuldiger Menschen. All diese Parallelen sollen keineswegs behaupten, die Lage in Georgien entspräche eins zu eins der Hitler-Diktatur – das wäre eine unzulässige Übertreibung. Doch die Warnsignale sind nicht zu übersehen. Selbst die Europäische Union beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Kaja Kallas , die Ministerpräsidentin Estlands, warnte jüngst, das georgische „Justizsystem scheint Teil dieser Repressionsmaschinerie zu sein“ , und die EU diskutiere gar darüber, ob man jene Richter sanktionieren solle, „die diese Dinge tun“ . Wenn höchstrangige EU-Politiker offen von der georgischen Justiz als Unterdrückungsinstrument sprechen, dann hat das Gewicht – es ist ein diplomatischer Warnschuss. In Deutschland würde man sagen: Spätestens jetzt müsste bei den Verantwortlichen in Tiflis die Alarmglocke schrillen. Denn die „zivilisierte Welt“ – um die Nürnberger Richter zu bemühen – schaut zu . Und die Geschichte hat ein langes Gedächtnis für diejenigen, die sich auf die falsche Seite stellen. Genau das hat Saba Jikia in seinem letzten Wort mit beeindruckender Klarheit erkannt: Er werde seinen Enkeln einst mit Stolz erzählen, dass er auf der richtigen Seite der Geschichte stand – ein Seitenhieb darauf, dass die Richterin und ihre Auftraggeber womöglich auf der falschen Seite stehen. Der schweigende Rundfunk: Öffentlich-rechtlich oder Regierungssprachrohr? Voices for truth: Protesters demand honest reporting from their broadcaster. Noch deutlicher treten die Parallelen zur finsteren Vergangenheit zutage, wenn man den Umgang der Medien – insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – betrachtet. In einer Demokratie hat ein öffentlich-rechtlicher Sender die wichtige Aufgabe, ausgewogen, unabhängig und im Interesse der Gesellschaft zu berichten. Er wird finanziert vom Volk und soll dem Volk gehören, nicht einer Partei. In Deutschland sind ARD und ZDF per Staatsvertrag der parteipolitischen Neutralität verpflichtet; in Georgien gibt es ein Gesetz über den Public Broadcaster mit ähnlichen Zielen. Tatsächlich schrieb das georgische Gesetz bis vor Kurzem sogar eine sehr handfeste Garantievorschrift vor: Der Public Broadcaster (GPB) sollte jährlich mindestens 0,14% des Bruttoinlandsprodukts an Budget erhalten . Zum Vergleich: 2021 waren das 69,6 Mio. Lari, bis 2024 stieg diese Summe dank Wirtschaftswachstum auf 110,3 Mio. Lari (rund 38 Mio. Euro). Eine hübsche Summe – aufgebracht von den georgischen Steuerzahlern , mit dem klaren gesellschaftlichen Auftrag, dafür auch entsprechende gemeinwohlorientierte Inhalte zu liefern. Doch was macht der Sender mit diesem Geld? Derzeit offenkundig: sehr wenig von dem, was er eigentlich tun sollte. Wichtige Prozesse politischer Gefangener, groteske Fehlurteile, offizielle Desinformation – all das findet im Programm des öffentlichen Rundfunks kaum oder gar nicht statt . Es ist, als hätte die Tagesschau beschlossen, keinen einzigen Beitrag über einen politischen Skandal zu senden, weil die Regierung das nicht möchte. Genau das aber werfen die georgischen Demonstranten ihrem Public Broadcaster vor: ‚Macht euren Job! Seid unabhängig, berichtet objektiv!‘ So schilderten es Aktivisten bei einer Protestkundgebung am 10. Juli vor dem Sitz des Senders. Davit Gunaschwili , einer der Organisatoren, formulierte es drastisch: Der georgische „Public Broadcaster ist zur Waffe der russischen Hybrid-Okkupation geworden“ , die Journalisten dort seien „Werkzeuge der Propaganda“ , welche die Bevölkerung gezielt desinformieren und wichtige Missstände verschweigen – eine “verräterische Tätigkeit“ nannte er das öffentlich (eine Wortwahl, die einem im Halse stecken bleibt, die aber den Frust der Bürger treffend wiedergibt). Schließlich, so Gunaschwili, finanziert das Volk diesen Sender , doch der Sender kehrt dem Volk im entscheidenden Moment den Rücken und verschließt die Augen vor der „unvorstellbaren Ungerechtigkeit, die in Georgien wütet“ . Man zahle als Bürger also zwangsweise für eine Informationsquelle, die einen dann verhungern lässt – informationelle Unterernährung sozusagen . Ein besonders empörender Aspekt ist die Rolle des Rundfunks bei Gerichtsprozessen . Nachdem die Regierungspartei Georgian Dream jüngst per Gesetz allen unabhängigen Medien das Filmen und Aufzeichnen von Gerichtsverhandlungen verboten hat, liegt die exklusive Erlaubnis zur Aufzeichnung nur noch beim Public Broadcaster. Nach alter Rechtslage durfte GPB in Gerichtssälen filmen und war verpflichtet, das Material mit anderen Medien zu teilen – tat er es nicht, durften andere einspringen. Die neue Gesetzesänderung hat all das abgeschafft. Das heißt: Wenn der öffentliche Sender nicht filmt, gibt es schlichtweg kein Bild- und Tonmaterial für die Öffentlichkeit. Und genau dieses Szenario trat beim Prozess von Saba Jikia ein. Die Urteilsverkündung am 10. Juli fand praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt , weil ja weder private Fernsehsender noch unabhängige Journalisten im Saal Kamera oder Mikrofon benutzen durften. Die einzige Kamera, die gedurft hätte – die des GPB – blieb kalt. Die Regierung begründete die Einschränkung zynischerweise damit, man wolle “geordnete Verfahren” sicherstellen und “Zirkus im Gerichtssaal” vermeiden. Orwell hätte seine helle Freude an dieser Verdrehung: Man schränkt Transparenz ein, um Transparenz zu gewährleisten. Das Ergebnis ist jedenfalls eindeutig: Die „offenen Verfahren“ finden nun im Dunkeln statt, es sei denn, es dringt über inoffizielle Kanäle etwas heraus. So war es auch bei Jikia: Sein handgeschriebenes Schlusswort wurde – da niemand filmen durfte – später von Unterstützern fotografiert und ins Netz gestellt. Darin erklärte der 19-Jährige mutig, er habe zwar Angst vor Niederlagen, „weil ich nicht will, dass künftige Generationen uns dafür verurteilen“ , aber er werde „bis zum Ende kämpfen“ und „nicht aufgeben“ . Eindrücke, die ein öffentlich-rechtlicher Sender in einer funktionierenden Demokratie selbstredend ausgestrahlt hätte , um allen Bürgern die Bedeutung und Tragweite dieser Vorgänge vor Augen zu führen. In Georgien hingegen schweigt der Sender – und überlässt das Feld den Verzerrungen der Propagandamedien. Mit brennender Sarkasmus könnte man formulieren: Der georgische Rundfunk hat die Neutralität so wörtlich genommen, dass er gleich ganz neutralisiert wurde – er sendet nichts Relevantes mehr, also kann man ihm auch keine Parteinahme vorwerfen. Eine schweigende Presse ist schließlich die perfekteste Form der Gleichschaltung: kein Widerspruch, kein Ärger – nur betretenes Schweigen im Walde. Leider bedeutet Schweigen im Angesicht von Lügen aber faktisch Zustimmung. Als Imedi TV die Unwahrheit über einen angeblichen Messerangriff verbreitete und selbst auf Social Media eine absurde, offenbar KI-generierte Karikatur kursierte, die Saba Jikia als bewaffneten Gewalttäter darstellte, hätte ein unabhängiger öffentlicher Sender umgehend Faktencheck und Richtigstellung senden müssen. Doch nichts dergleichen geschah. Man kann fast meinen, der georgische Public Broadcaster habe vom alten Goebbels den Lehrsatz verinnerlicht: „Am besten lügt man, indem man gar nichts sagt und die anderen Lügen nicht korrigiert.“ Dieses Versagen hat Konsequenzen: Das Vertrauen der Bevölkerung schwindet. Wenn das Staatsfernsehen – das doch allen Bürgern gehören sollte – zum verlängerten Arm der Regierung verkommt, verspielt es seine Legitimität. Georgische Bürger bezeichnen den Sender bereits spöttisch als „Kartuli Osdinareba“ – Georgischer Traum-TV (in Anspielung auf den Namen der Regierungspartei). Der öffentliche Rundfunk wird also als Staatsfunk wahrgenommen , ähnlich wie einst die Nachrichtenreels der Deutschen Wochenschau im Dritten Reich , die gleichgeschaltet nur Erfolgsmeldungen und Feindpropaganda ausstrahlten. Ein hartes, aber treffendes Urteil sprach Zurab Zezchladze , der Vater eines der politischen Gefangenen, auf der Protestkundgebung: Der Sender diene nicht dem Land, sondern einer Partei und letztlich einem einzigen Mann – Bidzina Iwanischwili (dem Oligarchen und inoffiziellen Strippenzieher der Regierung) – und habe die „schädliche Mission, Weiß als Schwarz und Schwarz als Weiß darzustellen“ , um dessen Machenschaften zu vertuschen. „Die Stimme des Volkes zu verbreiten wäre eigentlich seine Aufgabe – stattdessen produziert er selbst Desinformation“ , rief der Vater empört in die Menge (freie Übersetzung nach Augenzeugenberichten). Deutlicher kann man die Perversion eines öffentlichen Mediums kaum beschreiben. Propaganda 2.0: Wenn Fakten unerwünscht sind Autoritäre Regime haben im Laufe der Geschichte stets versucht, Information zu kontrollieren . Was wir in Georgien beobachten, ist in vielerlei Hinsicht Propaganda im modernen Gewand , die dennoch altbekannten Mustern folgt. Da wird ein Demonstrant, der gegen die Regierung aufbegehrt, kurzerhand zum “gewalttätigen Kriminellen” umgelogen. Es erinnert fatal an die Sprache der Nazis, die Widerständler als „Volksschädlinge“ und „Terroristen“ verleumdeten , um drakonische Strafen zu rechtfertigen. In Berlin 1933 brannte der Reichstag – sofort wurde ein Sündenbock präsentiert (der junge Marinus van der Lubbe) und ein Narrativ geschaffen, das die Machtergreifung legitimieren half. In Tiflis 2023/24 brannte zwar kein Parlament, aber die Regierung Georgian Dream verkündete im November 2024 plötzlich den Stopp des EU-Annäherungsprozesses, was Massenproteste auslöste. Die Protestierenden wurden umgehend als vom Ausland gesteuerte Chaoten dargestellt. Als im Juni 2023 Zehntausende gegen ein „Agentengesetz“ demonstrierten, sprach die Regierung gar von einem versuchten Staatsstreich und russische Narrative unterstellten westliche Drahtzieher . Nun, da Jugendliche wie Saba Jikia vor Gericht stehen, wird die Dämonisierung auf die Spitze getrieben : Ein regierungstreuer Sender (TV Imedi) fabuliert von einem Messer, das nie existierte , um den Delinquenten gefährlicher erscheinen zu lassen. Ein weiterer Kanal (POST TV) setzt noch eins drauf und illustriert diese Lüge mit einer Anime-Grafik, in der Jikia als Messerstecher stilisiert wird – als lebten wir in einem absurd schlechten Comic. Die Bildunterschrift zynisch: „Gewissensgefangener für die Opposition, gewalttätiger Verbrecher in Wirklichkeit.“ Das ist Propaganda 2.0 in Reinform: Man mische Realität und Fiktion, würze mit Künstlicher Intelligenz, um den Anschein moderner Kreativität zu erwecken, und serviere der Bevölkerung ein Zerrbild, das Emotionen schürt . Die Technik mag neu sein, doch das Prinzip ist altbekannt. Schon Joseph Goebbels wusste: Emotionalisierung und Feindbilder sind die Schlüssel. Damals wie heute werden Ängste geschürt – vor „gewalttätigen Jugendlichen“, vor „chaotischen Protesten“, vor „vom Ausland gesteuerten Unruhestiftern“. Und was eignet sich besser, als einen Demonstranten mit einem Messer in der Hand zu zeigen, der auf Polizisten losgeht? Die Tatsache, dass es nie passiert ist, stört die Propagandisten nicht im Geringsten. „Am Ende bleibt immer etwas hängen“, lautet ein zynisches Motto der Meinungsmacher. Im Nazi-Deutschland blieben nach Jahre langer Hetze gegen Juden, Kommunisten und andere Feindbilder auch all die Lügen als „gefühlte Wahrheit“ bei vielen hängen – mit verheerenden Folgen. Heute haben autoritäre Taktiker ein noch perfideres Werkzeug: Soziale Medien und KI-generierte Inhalte , die sich rasend schnell verbreiten. Ein hübsches Anime-Bildchen von Saba Jikia mit Messer mag auf den ersten Blick harmlos wirken – doch gepostet in reichweitenstarken Facebook-Gruppen oder im Fernsehen, erreicht es ein Millionenpublikum und verfestigt ein falsches Narrativ. So verwandelt sich ein unschuldiger Teenager in der öffentlichen Wahrnehmung in einen gemeingefährlichen Verbrecher , bevor er überhaupt eine Chance hatte, gehört zu werden. Und wiederum schweigt der öffentlich-rechtliche Sender dröhnend dazu. Kein Faktencheck, keine Richtigstellung – nichts, was die Giftzähne dieser Lüge zieht. In demokratischen Ländern springen in solchen Fällen oft unabhängige Journalisten oder NGOs ein. Tatsächlich berichteten oppositionelle Medien und Menschenrechtsgruppen in Georgien ausführlich über die Falschmeldung vom „Messerangriff“ und prangerten die infame Diffamierungskampagne an. Doch ihre Reichweite ist begrenzt, zumal viele dieser Kanäle ohnehin unter Druck stehen. Das macht das Versagen des Public Broadcaster umso gravierender. Man stelle sich vor, in Deutschland würde ein großer Privatsender eine solche Falschmeldung über einen Demonstranten verbreiten – die öffentlich-rechtlichen Sender würden höchstwahrscheinlich in den Nachrichten klarstellen, was wirklich geschehen ist, und damit ihrer Pflicht zur Objektivität nachkommen. Genau das passiert in Georgien nicht . Im Gegenteil: die staatlich dominierten Medien halten offenbar zusammen . „Wir haben gesehen, dass das Fernsehen, das vom Geld der Leute finanziert wird, selbst Desinformationsstücke schafft“ , beklagte Vater Z. Zetzchladze (wie oben erwähnt). Damit vergiftet der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Land anstatt es zu informieren, sagte er sinngemäß – eine treffende Beschreibung (denn giftig sind Fake News in einer Gesellschaft allemal). An diesem Punkt ist es angebracht, nochmals ins Geschichtsbuch zu blicken: Nach 1945 stellte sich ganz Deutschland die Frage, wie es sein konnte, dass eine zivilisierte Nation so verblendet und manipuliert werden konnte. Die Gleichschaltung der Medien war einer der Hauptgründe. Radio, Zeitungen, Nachrichtenwochenschauen – alles sprach mit einer Stimme , der Stimme der NSDAP. Kritische Journalisten waren entweder ins Exil getrieben oder mundtot gemacht worden. Im Bewusstsein dieser Erfahrung schuf man in der Bundesrepublik ab 1949 ein System der öffentlich-rechtlichen Medien , das unabhängig von staatlicher Kontrolle sein sollte – finanziert durch Gebühren, organisiert durch pluralistische Gremien. Das georgische System orientierte sich in Teilen an solchen Modellen: der GPB hat einen Aufsichtsrat, nominell pluralistisch besetzt, und war durch die GDP-Kopplung finanziell abgesichert. Doch Konstrukte auf dem Papier helfen nichts, wenn die politische Kultur sie unterwandert. Georgiens Public Broadcaster wurde, wie Kritiker sagen, durch politischen Einfluss zum Zahnrädchen des Regierungsapparats degradiert. Es ist exakt die Entwicklung, vor der die deutschen Alliierten 1945 warnten: Nie wieder dürfe der Staat die volle Kontrolle über den Rundfunk haben – sonst drohe Propaganda statt Pressefreiheit. Der aktuelle Zustand erinnert an jenen galligen Witz aus Sowjetzeiten: “Wir tun so, als ob wir arbeiten, und die tun so, als ob sie uns bezahlen.” Übertragen auf Georgien: Wir tun so, als ob wir unabhängigen Rundfunk hätten, und der Rundfunk tut so, als ob er das Volk informiert. In Wahrheit aber informiert er im entscheidenden Moment nicht , schon gar nicht unabhängig. Man darf sich daher nicht wundern, dass die Zivilgesellschaft Alarm schlägt. Es ist kein Zufall, dass die Proteste in Georgien sich neuerdings verstärkt gegen die Medienfront des Regimes richten . Aktionsgruppen rufen gezielt Demonstrationen vor den Sitzen der regimefreundlichen Sender aus, inklusive dem Public Broadcaster. „Das Epizentrum des Protests muss dort sein, wo diese Flut aus Desinformation und Bosheit herabströmt“, sagte Zetzchladze eindringlich und nannte explizit die Büros von Georgian Dream sowie jene Fernsehsender, die die Regierungslinie verbreiten, als Orte, an denen der öffentliche Druck erhöht werden müsse (frei nach seiner Rede, die von Aktivisten aufgezeichnet wurde). Die Menschen haben verstanden, dass ohne wahre Information kein wahrer Wandel möglich ist. Es geht hier also längst nicht mehr „nur“ um einzelne ungerechte Urteile – es geht um den Kampf um die Deutungshoheit , um nichts weniger als die Gedankenfreiheit einer Gesellschaft . Das effektivste Mittel der Unterdrücker ist nicht der Knüppel, sondern die Kontrolle darüber, was die Mehrheit für wahr hält . Und genau diese Kontrolle versuchen engagierte Georgier ihrem Regime zu entreißen. Die entscheidende Rolle einer unabhängigen Öffentlichkeit Angesichts dieser Lage ist es wichtig hervorzuheben, warum unabhängige Medien – insbesondere der öffentliche Rundfunk – so zentral für den Ausgang dieses Kampfes sind . In einer gefestigten Demokratie mag die Vorstellung, das Staatsfernsehen könnte komplett einseitig berichten, absurd erscheinen. Doch Georgien ist eine junge, „nicht konsolidierte“ Demokratie , wie Aktivist Gunaschwili es formulierte. Gerade in solchen Ländern ist ein starker, unabhängiger öffentlicher Rundfunk ein Garant dafür, dass es zumindest eine Informationsquelle gibt, die nicht von Oligarchen oder Parteien gelenkt wird . Private Sender können (und in Georgien tun es einige) großartige journalistische Arbeit leisten, aber sie sind immer anfällig für den Druck durch Eigentümer oder politische Einflussnahme. Ein echter Public Service Broadcaster hingegen hat den Auftrag, allen Stimmen Gehör zu verschaffen, Minderheiten wie Mehrheiten, Opposition wie Regierung, und dabei gemeinwohlorientiert zu agieren. Die Finanzierung über öffentliche Mittel rechtfertigt sich nur dadurch, dass der Nutzen auch öffentlich ist. Oder um es einfach zu sagen: Das Volk zahlt, also muss der Sender dem Volk dienen – nicht den Regierenden. Jede Abweichung von diesem Prinzip ist ein Betrug am Bürger. In Georgien hat dieser Betrug viele wütend gemacht. Die Forderungen der Protestierenden lesen sich wie das Einmaleins des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das man eigentlich für selbstverständlich halten sollte: Gebt Sendezeit den Familien der politischen Gefangenen! Berichtet objektiv über die Proteste und Gerichtsprozesse! Korrigiert Lügen, anstatt sie auszusitzen! Die Mütter und Väter der Inhaftierten betonen immer wieder, wie wichtig Öffentlichkeit für sie ist . „Was bedeuten für Sie Öffentlichkeit und Unterstützung der Gesellschaft?“ , wurden sie gefragt. „Alles“ , könnte man als Quintessenz der Antworten festhalten. Denn nur wenn die breite Gesellschaft erfährt, was mit ihren Söhnen und Töchtern geschieht, gibt es Hoffnung auf Gerechtigkeit. Diktaturen und autoritäre Regime agieren bevorzugt im Dunkeln – die sprichwörtliche „Nacht und Nebel“-Aktion (passenderweise der Name eines Nazi-Erlasses) bedeutet, Menschen verschwinden zu lassen, ohne dass jemand etwas erfährt . Öffentlichkeitsherstellung ist daher der erste Schritt zum Schutz der Opfer und zur Mobilisierung von Widerstand. Man hat fast den Eindruck, die georgische Regierung und ihre Helfer kennen diese Regel genau : Sie haben nach anfänglichem Zögern alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die mediale Beleuchtung der Prozesse zu dimmen. Die neuen Restriktionen für Journalisten in Gerichten treten genau dann in Kraft, als die Prozesse gegen Protestierende in ihre finale Phase gehen. Gleichzeitig belohnt man die Justiz mit Gehaltserhöhungen – der sprichwörtliche Silberling für die Diener des Systems, könnte man sarkastisch anmerken. Dieser Timing-Zufall dürfte keiner sein: Man erkaufte sich Loyalität und erschwerte es Kritikern, Missstände zu dokumentieren. Doch die Rechnung scheint nicht ganz aufzugehen. Je lauter das Schweigen des öffentlichen Senders, desto lauter werden die Stimmen auf der Straße. Die Proteste sind zwar (noch) vergleichsweise klein, aber sie tragen eine starke Symbolik. Am Tag von Jikias Urteil führten Aktivisten nach der Kundgebung vor dem Rundfunkgebäude einen Protestmarsch durch die Straßen und sogar durch die U-Bahn an – sie wollten buchstäblich Untergrund und Oberfläche mobilisieren, bevor sie sich dem Dauerprotest vor dem Parlament anschlossen. Diese Aktionen sind halb symbolisch, halb konkret : Einerseits will man der Regierung zeigen, dass man überall präsent ist und nicht aufgibt – “unser Protest wird niemals enden” , riefen sie. Andererseits hofft man natürlich auch auf konkrete Wirkung: Vielleicht ein Einlenken der Senderverantwortlichen, vielleicht Druck von internationalen Partnern, vielleicht ein Ruck in der Bevölkerung. Ist diese Hoffnung naiv? Die Geschichte lehrt uns: Manchmal ja, manchmal nein. In den 1980er Jahren fragten sich die Menschen in Osteuropa sicher auch, ob ihre kleinen Proteste gegen einen übermächtigen Staatsapparat jemals Wirkung zeigen würden – und 1989 sahen wir die Antwort. Wesentlich dabei war in vielen Fällen die Rolle unabhängiger Informationen: Samisdat-Schriften, westliche Radiosender, Kirchengemeinden – all das trug dazu bei, dass die Wahrheit die Lüge langsam unterwanderte . Heute haben die Menschen das Internet und soziale Medien, was Fluch und Segen zugleich ist. Fluch , weil auch Regierungen diese zur Überwachung und Propaganda nutzen; Segen , weil es schwieriger ist, alle Kanäle der Information zu schließen. In Georgien zeigt sich dies daran, dass obwohl der Public Broadcaster schweigt, unabhängige Newsportale wie Civil.ge , OC Media, Netgazeti, Publika und andere ausführlich berichten . Wer die Wahrheit wissen will, kann sie finden – aber der durchschnittliche Fernseh-Zuschauer wird sie nicht zufällig aufschnappen, denn im meistgesehenen Kanal bleibt sie ausgespart. Diese Diskrepanz ist gefährlich: Sie teilt die Gesellschaft in informierte und desinformierte Lager. Der Protest will genau diese Kluft überbrücken, indem er Aufmerksamkeit schafft. Jeder Mensch, der auf der Straße oder im U-Bahn-Waggon die Protestierenden sieht, wird neugierig: „Worum geht es da?“ Vielleicht recherchiert er danach selbst oder spricht mit anderen darüber. Insofern erzeugt der Protest Öffentlichkeit jenseits der kontrollierten Bildschirme . Die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks wäre hier der Schlüssel – so betonen es alle Kritiker. Würde GPB seiner gesetzlichen Mission folgen, müsste er sofort beginnen, objektiv über die Prozesse zu berichten, die Opposition und Zivilgesellschaft angemessen zu Wort kommen zu lassen und Desinformation offensiv entgegenzutreten . Das wäre ein Game-Changer in diesem friedlichen Kampf um die Seele der georgischen Demokratie. Es ist der Grund, warum viele sagen: Die Wiedererlangung eines freien öffentlichen Rundfunks ist ein entscheidender Schritt, um diesen Kampf zu gewinnen. Gunaschwili formulierte es so: Wenn wir den Public Broadcaster zurückerobern – sprich, ihn von politischer Einflussnahme befreien – dann können endlich die wirklich schmerzhaften Themen für die Gesellschaft auch über die großen Kanäle diskutiert werden. Dann würde man nicht mehr wegschauen können, wenn Jugendlichen Unrecht geschieht, dann müsste sich auch die Regierung der öffentlichen Debatte stellen. Noch ist es nicht so weit. Im Gegenteil, derzeit wirkt es, als habe der georgische Public Broadcaster eine vollkommene Realitätsverweigerungshaltung eingenommen. Während draußen vor dem Funkhaus Menschen rufen „Tut endlich eure Pflicht!“ , reagiert drinnen – nichts. Ein Versuch der Demonstranten, nach ihrer Kundgebung in das Gebäude zu gelangen und mit den Verantwortlichen zu sprechen, wurde brüsk abgewiesen. Daraufhin improvisierten die Protestierenden ein Straßentheater („Performance“) direkt vor dem Sender . Die Botschaft dieses kleinen Schauspiels: So bewerten wir euren aktuellen Zustand, liebes Staatsfernsehen – und wir lassen euch wissen, dass unser Protest niemals erlöschen wird, bis ihr eure Rolle erfüllt. Mit symbolischen Gesten versuchten sie klarzumachen, dass sie den Kampf um die Medienhoheit als Marathon verstehen, nicht als Sprint. Die Geschichte schaut zu – auf welcher Seite wirst Du stehen? Ein unbequemes Resümee drängt sich auf: Georgien steht an einer Weggabelung , was Rechtsstaat und Meinungsfreiheit betrifft. Richter wie Tamar Mchedlishvili haben einen Pfad gewählt, der – in historischen Maßstäben – in die Dunkelheit führt. Journalisten und Intendanten des Public Broadcaster haben (wohl unter Druck, aber letztlich doch eigenverantwortlich) entschieden, ihren Auftrag zu verraten und sich auf die Seite der Mächtigen zu schlagen. Doch noch ist die Zukunft nicht geschrieben. Die Geschichte ist voller Beispiele, in denen Individuen plötzlich erkannten, dass sie nicht länger Teil des Unrechts sein wollen . Manche Nazi-Richter zweifelten insgeheim, doch zu wenige hatten den Mut aufzubegehren. Nach dem Krieg bereuten nicht wenige ihre Feigheit – da war es freilich zu spät. Heute hätten georgische Richter und Journalisten die Chance, aus der Geschichte zu lernen . Sie könnten sich fragen: Wenn in einigen Jahren oder Jahrzehnten auf diese Zeit zurückgeblickt wird – wo stehe ich dann? Bin ich derjenige, der Unrecht mitgemacht oder weggesehen hat, oder habe ich mich auf die Seite der Gerechtigkeit gestellt, als es darauf ankam? Saba Jikia und viele seiner Mitstreiter haben diese Entscheidung bereits getroffen. „Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte“ , schrieb er aus dem Gefängnis. Er mag mit 19 Jahren sehr jung sein, aber er hat verstanden, was auf dem Spiel steht. Er fürchtet – wie er sagte – die Niederlage, weil er nicht will, dass künftige Kinder in einer Diktatur aufwachsen und man seiner Generation vorwirft, versagt zu haben . Diese Angst treibt ihn an, trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen. Die Gegenseite hingegen – die Richter, die Polizeioffiziere, die Propagandisten – wähnt sich vielleicht sicher. Noch haben sie die Machtmittel in der Hand. Noch können sie Protestierende wegsperren, Sender zum Schweigen bringen, Lügen in die Welt setzen. Aber sie täuschen sich, wenn sie glauben, dies bleibe ohne Konsequenzen. Schon jetzt sind einige von ihnen mit internationalen Sanktionen belegt; ihr Ansehen außerhalb der eigenen Blase ist ruiniert. Die EU hat die „demokratische Regression“ der Führung in Tiflis scharf verurteilt , und die erhoffte EU-Kandidatur Georgiens steht auf der Kippe, vor allem wegen der Unterdrückung von Medien und Opposition. Das heißt, selbst im politischen Kalkül schadet dieser Kurs letztlich dem Land – und vielleicht irgendwann auch den Karrieren der Beteiligten. Ein zynischer Spruch lautet: „Wer die Vergangenheit ignoriert, ist gezwungen, sie zu wiederholen.“ Georgiens Machthaber scheinen die Vergangenheit sehr selektiv zu betrachten – sie bedienen sich autoritärer Rezepte und hoffen auf ein anderes Resultat. Doch Autoritarismus endet fast immer in Krise, Isolation oder Aufstand . Die Stimmen des Widerstands verstummen nicht, im Gegenteil. Jeder ungerechte Richterspruch, jede verschleppte Berichterstattung facht ihren Zorn nur weiter an. Es ist paradox: Durch die absolute Verweigerung des Public Broadcaster, den Protest zu zeigen, mussten die Aktivisten kreativ werden und den Protest zu den Menschen bringen – in U-Bahnen, auf öffentlichen Plätzen. Dadurch erreichte ihre Botschaft vielleicht sogar Leute, die sie über den Fernseher nie erreicht hätten. Die Regierung hat also einen Pyrrhussieg errungen: Sie kontrolliert die offizielle Darstellung, hat damit aber die Entschlossenheit der Zivilgesellschaft nur gehärtet. Die entscheidende Frage lautet nun: Gibt es innerhalb des Systems genügend Menschen mit Gewissen, die das Ruder herumreißen? Werden sich Journalisten finden, die sagen „Jetzt ist Schluss, wir lassen uns nicht länger als Sprachrohr missbrauchen“? Werden Richter den Mut finden, einen politischen Befehl auch mal nicht auszuführen und stattdessen im Zweifel für die Freiheit zu entscheiden? Schwer zu sagen. Autoritäre Systeme funktionieren, bis plötzlich Risse entstehen – manchmal aus unerwarteten Richtungen. Eines aber ist gewiss: Die Welt schaut hin – und erinnert sich. Es mag heute einigen Akteuren in Georgien opportun erscheinen, auf Seiten der Macht zu stehen und unbequeme Tatsachen auszublenden. Doch die Macht kann wechseln; die öffentliche Meinung kann kippen. Was bleibt, ist am Ende der Nachruf der Geschichte . Und der dürfte für die aktuellen Wegbereiter des Unrechts wenig schmeichelhaft ausfallen. Zum Schluss sei erlaubt, noch einmal sarkastisch die Parallele zu bemühen : In einer fiktiven zukünftigen „Tiflis Trials“ – angelehnt an Nürnberg – müssen sich Verantwortliche erklären. Ein ehemaliger Nachrichtendirektor stammelt: „Wir haben doch nur gesendet, was man uns sagte…“ Ein ex-Richter rechtfertigt sich: „Das Gesetz sah doch diese Strafen vor…“ Was, glauben Sie, wird ein zukünftiges Tribunal darauf erwidern? Vermutlich etwas in der Art von: „Haben Sie denn kein eigenes Gewissen gehabt? Hätten Sie nicht wissen müssen, dass Sie Unrecht unterstützen?“ – Die Nazi-Juristen bekamen diese Fragen gestellt, und ihre Antworten überzeugten niemanden. Noch also gibt es Zeit, das Blatt zu wenden . Die georgische Gesellschaft steht vor einer Zerreißprobe, aber auch vor einer Chance. Wenn es gelingt, den öffentlichen Rundfunk wieder unabhängig zu machen und die Justiz aus den Klauen politischer Einflussnahme zu befreien, dann wäre das einer der wichtigsten Schritte zurück auf den demokratischen Weg. Es ist kein Zufall, dass die Protestierenden genau dies fordern – denn sie haben die Lehren der Geschichte verstanden . Sie wissen: Eine freie Presse und eine unabhängige Justiz sind die Grundpfeiler, die eine Demokratie immun gegen Tyrannei machen. Bleibt zu hoffen, dass diejenigen, die heute auf der falschen Seite stehen, ebenfalls einen Blick in die Geschichtsbücher werfen – und erkennen, dass dort kein Ruhm und keine Ehre auf sie warten, sondern bestenfalls Schande . Es wäre im Interesse aller Georgier, wenn sich das Ruder noch herumreißen ließe, bevor der Abgrund erreicht ist. Denn eines hat uns die Geschichte auch gelehrt: Je tiefer ein Land in Propaganda und Unrechtsjustiz versinkt, desto härter und schmerzhafter wird später der Aufprall der Realität. Georgien kann diesen Fall noch verhindern. Die Stimmen der Vernunft und der Freiheit sind da – man muss sie nur erklingen lassen , laut und unüberhörbar . Die Welt – und die Geschichte – schauen zu. Entscheiden wir weise, auf welcher Seite wir stehen.













