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  • 82.500 Euro für eine Straßenblockade: Der Fall Gota Tshanturia und der politische Preis des zivilen Protests

    Ein Urteil, das mehr über Georgien erzählt als jede Regierungsrede Es gibt Entscheidungen, die ein Land präziser beschreiben als jeder politische Bericht, und der Fall des georgischen Aktivisten und Lehrers Gota Tshanturia  gehört genau in diese Kategorie. Am 18. November verurteilte Richter Manuchar Tsatsua  ihn wegen neunundvierzig Fällen der Straßenblockade zu insgesamt 245.000 Lari , was umgerechnet etwa 82.500 Euro  entspricht. In einem europäischen Rechtsraum wäre dies eine Summe, die bei organisierten Wirtschaftsdelikten oder groß angelegtem Steuerbetrug denkbar wäre. In Georgien genügt offenbar das Stehen auf einer Straße, um in diese finanzielle Größenordnung vorzudringen. Dass der Staat Proteste zunehmend als Störung und nicht als Grundrecht behandelt, lässt die Strafe kaum als juristische Entscheidung erscheinen, sondern vielmehr als politische Ansage an alle, die sich trotz wachsender Repression im öffentlichen Raum zu Wort melden. Der ökonomische Kontext: Ein Land zwischen Mindestlohn und Maximalstrafen Die Härte des Urteils erschließt sich erst richtig im Verhältnis zu den Lebensrealitäten im Land. Der monatliche Mindestlohn in Georgien liegt heute faktisch bei rund 1.700 Lari , was etwa 570 Euro  entspricht. Selbst dieser Betrag bietet kaum Spielraum, da die Lebenshaltungskosten in den Städten kontinuierlich steigen und die soziale Sicherheit eines Schwellenlandes entsprechend fragil bleibt. Der durchschnittliche Männerlohn liegt bei 2.601 Lari , was etwa 875 Euro  monatlich sind. Selbst unter optimistischen Bedingungen müsste ein durchschnittlicher Arbeitnehmer über sieben Jahre und zehn Monate  ohne jede Ausgabe leben, um die Strafe zu begleichen. Realistisch betrachtet, also in einer Lebenswelt, in der Menschen essen, wohnen und Kinder versorgen müssen, müsste Tshanturia über fünfzehn Jahre  lang die Hälfte seines gesamten Einkommens ausschließlich für diese Strafe zurücklegen. Die Diskrepanz zwischen Einkommen und Sanktion ist derart massiv, dass sie nicht zufällig erscheinen kann. Ein Staat, der Einkommensrealitäten ignoriert und Bußgelder verhängt, die in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Existenz seiner Bürger stehen, setzt ein Zeichen, das weit über die betroffene Person hinausgeht. Das Urteil richtet sich nicht nur gegen Tshanturia, sondern gegen den Gedanken, dass Protest ein legitimes demokratisches Mittel ist. Es suggeriert, dass ziviles Engagement einen finanziellen Preis hat, den niemand über Jahre hinweg tragen kann, ohne politisch oder sozial zu zerbrechen. Ein Aktivist im Visier einer gereizten Staatsmacht Gota Tshanturia ist nicht irgendeine Figur der Zivilgesellschaft. Er ist Lehrer, Bildungsexperte, Vater dreier minderjähriger Kinder und eine der prägenden Stimmen der sogenannten Sazmau-Märsche, die in den vergangenen Jahren versucht haben, demokratische Werte in einem zunehmend autoritär werdenden politischen Umfeld sichtbar zu halten. Dass gerade er ins Zentrum der Sanktionen gerät, ist kaum verwunderlich. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren eine klare Linie verfolgt: Protest soll nicht verhindert, sondern verteuert werden. Die neunundvierzig Fälle, die nun zur Berechnung von Tsatsuas Urteil dienten, stammen aus einer Zeit, in der Straßenblockaden lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellten. Die spätere kriminalisierende Gesetzgebung, die das Blockieren einer Straße in die Nähe schwerwiegender Tatbestände rückte, galt damals noch nicht. Dass diese historische Unterscheidung für das Urteil offenbar keine Rolle spielt, ist ein bezeichnender Hinweis auf die Flexibilität des georgischen Rechts im Umgang mit politischer Opposition. Eine Justiz, die fragmentiert, wo sie bündeln müsste Besonders bemerkenswert ist die Entscheidung der Gerichte, die zahlreichen Fälle nicht zusammenzuführen. Insgesamt stehen gegen Tshanturia 73 Bußgelder  im Raum, verteilt auf vier Richter: Koba Tshagunava , Nino Enukidse , Manuchar Tsatsua  und Zviad Tsekvava . Die Idee, identische oder nahezu identische Sachverhalte in einem einheitlichen Verfahren zu prüfen, ist in rechtsstaatlichen Systemen nicht nur üblich, sondern notwendig, um widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden. In Georgien jedoch wurde der Antrag auf Zusammenlegung ohne jede Begründung abgelehnt. Die Fragmentierung wirkt wie ein strategisches Mittel der Zermürbung: Jeder Fall einzeln, jede Strafe separat, jede Entscheidung isoliert. Es ist ein methodisches Vorgehen, das den Eindruck vermittelt, dass Rechtsprechung nicht in erster Linie an der Wahrheit interessiert ist, sondern an der Herstellung eines möglichst hohen politischen und finanziellen Drucks. Der europäische Vergleich als Spiegel der Unverhältnismäßigkeit Die Strafe in Höhe von 82.500 Euro  wirkt im europäischen Vergleich noch drastischer. Während solche Summen in Deutschland bei komplexen Betrugsfällen oder schwerwiegenden Wirtschaftsdelikten anfallen, in Italien bei systematischen Steuervergehen und in Frankreich bei groß angelegten Umwelt- oder Arbeitsrechtsverstößen, genügt in Georgien eine Demonstration, um eine solche Sanktion auszulösen. Die Regierung spricht gerne von „Annäherung an europäische Standards“, doch in diesem Fall ist die Entfernung zu Europa sichtbarer als jeder diplomatische Fortschrittsbericht. Europäische Demokratien bestrafen Protest nicht in Höhe eines Familienjahresbudgets, sondern schützen ihn. Georgien hingegen setzt ihn auf eine finanzielle Ebene, die für einen durchschnittlichen Bürger ruinös ist. Das Ergebnis ist eine schleichende Abschaffung politischer Teilnahme – nicht durch Verbote, sondern durch Ökonomie. Das soziale Gewicht der Strafe Tshanturia ist dreifacher Vater. Die Strafe trifft nicht nur ihn, sondern seine gesamte Familie. Sie trifft zukünftige Ausbildungswege seiner Kinder, gesundheitliche Vorsorge, Wohnrealität, Berufsperspektiven und jede Form von finanzieller Stabilität. Es ist eine Strafe, die nicht einfach eine Vergangenheit sanktioniert, sondern eine Zukunft zerstört. Und damit wird deutlich, worum es in Wirklichkeit geht: nicht um Ordnung, sondern um Abschreckung.

  • „Die Zeit der symbolischen Handlungen ist abgelaufen“

    Strategische Botschaft der Koalition „Für Veränderungen“ an London, Brüssel und Washington – Welche internen Belege und welche externen Erwartungen bestehen? Kontext und die vier Forderungen der Koalition Die Koalition „Für Veränderungen“ hat sich mit einem offenen Brief an internationale Partner gewandt und vier Forderungen formuliert. Verhängung personalisierter Sanktionen gegen Mitglieder der „Georgian Dream“. Verabschiedung des MEGOBARI Acts. Beendigung jeglicher politischer und finanzieller Einbindung in das Regime. Öffentliche Anerkennung der demokratischen Opposition, der Zivilgesellschaft und von Präsidentin Salome Zurabishvili als die legitimen Vertreter des europäischen Willens des georgischen Volkes. Adressaten der Erklärung sind die Europäische Union, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten. Der offene Brief wird zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, in dem alle vier Anführer der Koalition zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Haft sitzen; bemerkenswert ist zudem, dass die Staatsanwaltschaft der „Georgian Dream“ nach den Festnahmen neue Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet hat. Diese vier Forderungen seien ein Wegweiser dafür, wie die politische Sicht des Westens auf Georgien aussehen müsse, sagt eines der Mitglieder der Koalition, Giga Lemonjava, in einem ausführlichen Interview mit tiflis24.de Um eine konkretere Sichtweise zu entwickeln, nennt Giga Lemonjava im Gespräch mit uns, neben dem Oligarchen Bidzina Iwanischwili und dessen Premierminister Kobakhidze, konkrete Namen jener Personen, zu denen die westlichen Partner aus Georgien Informationen über schwere Verstöße erhalten haben. Dies verschaffe dem Westen, so Lemonjavas Erläuterung, eine rechtliche und politische Grundlage, um diese Personen mit Sanktionen zu belegen. Im Interview benennt er außerdem, welche Belege, Daten und Fakten die Koalition gesammelt hat und was die strategischen Verbündeten Georgiens darüber bereits wissen. Ob die öffentliche Erklärung der Koalition lediglich eine weitere offene Ansprache bleibt, wie sie die georgische Gesellschaft schon mehrfach gehört hat, oder ob sie konkrete Reaktionen der westlichen Partner nach sich zieht - das wird die Zeit zeigen. Bis dahin haben wir jedoch versucht herauszufinden, womit diese neuen offenen Forderungen der Koalition „Für Veränderungen“ zusammenhängen könnten und was hinter ihnen steht. „Diese vier Punkte sind keine Episoden, sondern eine politische Gesamtvision“ Tiflis24:  Warum war es nötig, die internationalen Partner mit einem offenen Brief anzusprechen – und was erwarten Sie als Reaktion? Giga Lemonjava:  Diese vier Punkte, die wir im offenen Brief genannt haben, sind nicht einfach punktuelle Forderungen, sondern unser Verständnis davon, wie die politische Sicht der USA, Großbritanniens und der Europäischen Union in Bezug auf Georgien aussehen sollte. In den europäischen Hauptstädten und in den USA gibt es eine in etwa ähnliche Sichtweise, aber sie ist nicht umfassend. Daher führt sie nicht zu dem Ergebnis, das internationale Sanktionen üblicherweise erzielen sollen. Wenn Sanktionen nur episodisch verhängt werden, ist es natürlich schwierig, ein Resultat zu erreichen. Wenn diese Sanktionen jedoch Teil einer einheitlichen politischen Vision sind, werden sie zwangsläufig Wirkung zeigen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass der Druck auf das Regime so schnell wie möglich ausgeübt wird. Im Unterschied zum Regime von Lukaschenko ist das Regime Ivanishvilis gegenüber internationalen Sanktionen nach wie vor verwundbar. Ein Beleg dafür ist etwa die Statistik, dass Ivanishvili 78 % der sanktionierten Vertreter der Sicherheitsorgane entweder aus ihren Ämtern entfernt oder herabgestuft, also „versteckt“ hat. Das bedeutet, dass internationale Sanktionen Wirkung zeigen. Ein weiteres Beispiel dafür war die jüngste Absetzung des sanktionierten stellvertretenden Innenministers in den vergangenen Tagen. „Die bisherigen Sanktionen gegen Iwanischwili sind unzureichend“ Tiflis24:  Im offenen Appell fordern Sie, dass personalisierte Sanktionen gegen Iwanischwili, Kobakhidze und andere Amtsträger verhängt werden. Können Sie genauer erläutern, welche Personen Sie meinen und welche Art von Sanktionen Sie fordern? Giga Lemonjava:  Wir sind der Meinung, dass die gegen Bidzina Ivanishvili verhängten personalisierten Sanktionen unzureichend sind. Gegen Ivanishvili müssen schwere finanzielle Sanktionen verhängt werden und nicht lediglich Beschränkungen der Reisefreiheit in einige Länder, denn das, was ihn am meisten beschäftigt, ist Geld. Wichtig ist: Erstens: Die USA haben Ivanishvili bereits finanziellen Beschränkungen unterworfen. Wichtig ist, dass dasselbe auch im Vereinigten Königreich und in der Europäischen Union geschieht. Zweitens: Es geht um die Verhängung sekundärer Sanktionen – jede Art von Geschäftsbeziehung mit Unternehmen, die sich im Besitz Ivanishvilis befinden, sei es der Abschluss von Verträgen oder Transaktionen, muss Sanktionen unterliegen. Sekundäre Sanktionen machen Geschäftsaktivität unmöglich. Solche Sanktionen gibt es bislang weder in den USA noch in der Europäischen Union – etwa in Frankreich, wo Ivanishvili tatsächlich finanziellen Einfluss besitzt; dort existieren weder primäre noch sekundäre Sanktionen. Das Regime Ivanishvilis stützt sich auf drei Hauptsäulen: Schwarzgeld, Propaganda und eine gewaltsame Maschinerie in Gestalt des Innenministeriums. Die Sanktionierung der Eigentümer propagandistischer Medien ist von herausragender Bedeutung. In erster Linie handelt es sich um Irakli Rukhadze, der offen sagt, es drohten ihm keinerlei internationale Sanktionen. Aufgrund seiner geschäftlichen Tätigkeit ist er jedoch äußerst anfällig für finanzielle Sanktionsregime seitens der USA und des Vereinigten Königreichs. Die meisten Sanktionen wurden bislang gegen Vertreter des Innenministeriums verhängt, die Gewalt gegen friedliche Proteste ausüben, doch das ist nicht ausreichend; die Sanktionierung der Gewalttätigen muss fortgesetzt werden. Die Sanktionierung von Irakli Kobakhidze ist rechtlich stichhaltig und politisch korrekt. Personalisierte Sanktionen stützen sich auf folgende rechtliche Grundlagen: grobe Verletzung der Menschenrechte, Untergrabung der Demokratie und Schritte gegen die europäische und euroatlantische Zukunft Georgiens, die im Rahmen schädlicher Einflussoperationen Russlands erfolgen – das heißt Zusammenarbeit mit einem feindlichen Staat. Kobakhidze trägt in allen drei Bereichen persönliche Verantwortung. Es gibt Personen, die das Regime mit Mitteln unterstützen, die auf korruptem Weg erworben wurden. Mit diesen Geldern wird die gewaltsame Maschinerie Ivanishvilis gespeist. Informationen über diese Personen übermitteln wir seit 2022 unseren internationalen Partnern. Alles liegt in Form von Fakten vor, an denen qualifizierte Fachleute arbeiten. „Petrogaz, Chkhartishvili und die Umgehung der Russlandsanktionen“ Tiflis24:  Über welche Personen und welche Fakten informieren Sie die internationalen Partner konkret? Giga Lemonjava:  Zum Beispiel ist Ivane Chkhartishvili in mehrere Fälle verwickelt. Etwa in die Schaffung von Schemata zur Umgehung der gegen Russland verhängten Sanktionen und in die Nutzung des georgischen Territoriums, damit die gegen Russland wegen des Angriffskrieges in der Ukraine verhängten Sanktionen Russland möglichst wenig treffen. In diesem Zusammenhang gibt es konkrete Beweise für die Umgehung der Sanktionen gegen russisches Öl und dessen Absatz, wofür das Territorium Georgiens genutzt wird. Es gibt das Unternehmen „Petrogaz“, an dem Ivane Chkhartishvili   als einer der Teilhaber beteiligt ist und das für den Austausch solcher strategischer Produkte unter Umgehung internationaler Sanktionen verantwortlich ist. Es handelt sich um Hunderte von Seiten, die den internationalen Partnern vorgelegt wurden; es geht dabei nicht um politische Vorwürfe. Entsprechendes gilt etwa für Davit Khidasheli und Ucha Mamatsashvili , auf denen das Finanzsystem Iwanischwilis beruht. „Sanktionen sind eine politische Entscheidung – unsere Informationen sind ein zusätzlicher Hebel“ Tiflis24:  Wenn Sie seit 2022 mit den Partnern zusammenarbeiten und ihnen von Fachleuten erarbeitete Beweise zu schweren Verstößen liefern, warum sind bis heute keine umfassenden Sanktionen verhängt worden? Giga Lemonjava:  Obwohl wir seit 2022 an diesem Thema arbeiten, hängen Sanktionen nicht nur davon ab. Es gibt Länder, aus denen keinerlei Material geschickt wird und trotzdem werden viele Sanktionen verhängt. Es gibt Länder, in denen es überhaupt keine Opposition mehr gibt oder in denen die Opposition bereits aus dem Land geflohen ist – und dennoch untersuchen die internationalen Partner die Angelegenheiten selbst. Was wir tun, ist daher ein zusätzlicher Hebel, damit die Partner so viele Informationen wie möglich erhalten. Die Verhängung von Sanktionen ist eine höchst politische Entscheidung. Es kann eine rechtliche Grundlage geben, aber dennoch kann ein bestimmter Staat oder eine internationale Organisation der Auffassung sein, dass die Anwendung von Sanktionen nicht sinnvoll ist. Wenn unsere Partner sehen, dass es in Georgien eine starke Front gibt, die für die Freiheit kämpft und Widerstand leistet, wird die Wahrscheinlichkeit der Verhängung von Sanktionen natürlich deutlich höher sein. Unser offener Brief dient dazu zu erklären, dass das Regime Ivanishvilis durch internationale Sanktionen beunruhigt wird. Auf internationaler Ebene gibt es Menschen – sie sind zwar in der Minderheit, existieren aber dennoch, die Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben und der Meinung sind, Sanktionen seien nicht entscheidend. Für sie ist es wichtig zu erläutern, dass Ivanishvili anders als das Regime Lukaschenkos – sehr empfindlich auf Sanktionen reagiert, da seine politische Existenz auf Geld beruht: zum einen auf seinem eigenen Geld, zum anderen auf jenen Mitteln, die er aus dem Staatshaushalt abzieht. Mit diesem Brief wollen wir unseren Partnern erklären, dass die Zeit entscheidend ist und dass wir diese Sanktionen jetzt brauchen, damit der Zusammenbruch des Regimes nicht gestoppt, sondern vertieft wird. „Die Zeit der symbolischen Handlungen ist vorbei“ Tiflis24:  Im Appell schreiben Sie, „die Zeit der symbolischen Handlungen ist abgelaufen“. Kann man darin eine gewisse Enttäuschung in Ihrer Erklärung erkennen? Giga Lemonjava:  Nein, diese Stimmung steckt nicht in diesem Text. Seine Aussage ist, dass die Zeit, in der man sich nur mit Erklärungen und niedrigschwelligen personalisierten Sanktionen begnügt etwa mit der Verhängung von Reisebeschränkungen in einzelne Länder, vorbei ist. Jetzt ist die Zeit gekommen, schwere finanzielle Sanktionen zu verhängen, gegenüber denen das Regime verwundbar ist. Sekundäre finanzielle Sanktionen zum Beispiel würden die finanziellen Möglichkeiten Ivanishvilis ersticken, sodass er gegen weniger Menschen in Georgien Gewalt ausüben könnte. Kommunikation mit westlichen Partnern Tiflis24:  Auf welcher Ebene findet Ihre Kommunikation mit den USA und unseren westlichen Partnern statt? Giga Lemonjava:  Die Kommunikation findet sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich und in den EU-Mitgliedstaaten auf legislativer und auf Exekutivebene statt. Darüber hinaus habe ich persönlich mit jenen Fachorganisationen zu tun gehabt, die zu Georgien und zu Sanktionen arbeiten; ihre Dokumente werden zu Leitdokumenten. Wer genau mit unseren westlichen Partnern spricht, kann ich nicht sagen. „Wir sollten zusätzliche Sanktionen aus Großbritannien und der EU erwarten“ Tiflis24:  Welche Antworten erhalten Sie bei individueller Kommunikation und in vertraulichen Treffen mit den Partnern, wenn es um die Verhängung internationaler Sanktionen geht? Giga Lemonjava:  Was die individuelle Kommunikation mit internationalen Partnern angeht, denke ich, dass wir in naher Zukunft aus dem Vereinigten Königreich und aus EU-Mitgliedstaaten zusätzliche Sanktionen erwarten sollten. Meiner Ansicht nach ist es möglich, dass Sanktionen sowohl gegen Propagandisten als auch gegen jene Personen verhängt werden, die für die Usurpation des Staates verantwortlich sind. Über genauere Details zu sprechen oder etwas Konkretes zu sagen, ist leider nicht möglich.

  • Merab Turava: Verlust jeglicher Unterstützung durch ehemalige deutsche Kollegen

    Merab Turava möchte die Menschen glauben machen, dass er im Ausland weiterhin hohes akademisches Ansehen genießt und dass der einzige Grund für seine Aufforderung zum Rücktritt aus der Fachzeitschrift KriPoz  (im Oktober) seine Ernennung zum stellvertretenden Justizminister (im April) gewesen sei. Das ist jedoch falsch. Hunderte von Menschen reagierten auf diesen und andere Beiträge, die auf Turavas Entfernung aus dem Herausgeberkreis der KriPoz  hinwiesen. Tatsächlich haben sich deutsche Wissenschaftler bereits vor mehr als einem Jahr von Merab Turava distanziert – zu einer Zeit, als er noch Präsident des Verfassungsgerichts war. Der Beweis dafür ist öffentlich zugänglich: Es handelt sich um die Festschrift für Merab Turava , eine Sonderausgabe der Deutsch-Georgischen Strafrechtszeitschrift , die im Dezember des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Mehrere deutsche Professoren wurden gebeten, Beiträge zu verfassen – und lehnten ab. Darunter befanden sich langjährige Freunde und Kollegen wie Professor Martin Heger  von der Humboldt-Universität zu Berlin, Professor Bernd Heinrich  von der Universität Tübingen und Professor Eduard Schramm  von der Universität Jena und Bernd Hecker von Universität Tübingen. Diese Professoren, die über viele Jahre regelmäßig mit Merab Turava zusammengearbeitet hatten, verweigerten damit, was in der deutschen Wissenschaft als elementare Form kollegialer Höflichkeit gilt. Die Sonderausgabe für Prof. Dr. Merab Turava  erwies sich somit als eine recht einsame Angelegenheit – kaum ein renommierter deutscher Kollege oder Freund nahm an diesem akademischen Pendant zu einer Geburtstagsfeier teil. Ein emeritierter deutscher Professor steuerte immerhin einen Artikel bei – gewissermaßen als Trostpreis. Doch auch Professor Heiner Alwart  formulierte darin eine deutliche Warnung. Er äußerte den Wunsch, Turava möge „jede politisch unrechtmäßige Einflussnahme auf eine unparteiische Rechtspflege fernzuhalten vermögen“. Wie sich herausstellte, war Turava dazu selbstverständlich nicht imstande – im Gegenteil: Er entschied sich, diese „politische Rechtswidrigkeit“ aktiv zu verkörpern, indem er im April 2024 direkt vom Verfassungsgericht in die Exekutive wechselte – in das berüchtigte Justizministerium. Nach internationalen Maßstäben gilt ein solcher Schritt für einen ranghohen Richter als ausgesprochen schlechter Stil. Noch gravierender ist, dass das aktuelle Justizministerium durch seine Vorgehensweise immer wieder internationale Kritik und Verurteilung hervorruft. Es gibt weitere Belege dafür, dass sich Turava und sein Umfeld zunehmend von der internationalen Wissenschaft isolieren. Dazu gehört unter anderem, dass die Deutsch-Georgische Strafrechtszeitschrift  keine Unterstützung mehr von ihren bisherigen deutschen Partnern erhält – insbesondere nicht mehr von der IRZ , der Bonner Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, die das Projekt ursprünglich mitfinanziert hatte. Und noch ein weiteres Indiz: Die Zeitschrift hat seit Dezember 2024  praktisch keine neuen Ausgaben mehr veröffentlicht – zuvor erschienen regelmäßig drei Hefte pro Jahr. Heute finden sich kaum noch ernstzunehmende Wissenschaftler, die bereit wären, Beiträge einzureichen. Merab Turava sitzt weiterhin im Herausgeberkreis dieser Zeitschrift. So tot wie die deutsche Zusammenarbeit mit den Juristen des Regimes: die Deutsch-Georgische Strafrechtszeitschrift . Zurück zur KriPoz -Angelegenheit. In zahlreichen Facebook-Kommentaren behauptet Merab Turava, sein Ausscheiden aus der Zeitschrift sei lediglich „technischer Natur“ gewesen. Sollte das tatsächlich so sein, so forderte ein treffender Kommentar, solle er die vollständigen Belege dafür vorlegen. Das Gesamtbild ist jedoch eindeutig: Deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen zunehmend Abstand von Merab Turava und anderen Juristen des Georgian-Dream-Regimes . Nicht alle tun dies öffentlich, doch nach Jahren enger Kontakte zu deutschen Institutionen ist Turava inzwischen ein sehr einsamer Mann.

  • Merab Turava: Folgenrichtige Absetzung aus Wissenschaftlicher Redaktion

    Vertreter des „Georgischen Traums“ beanspruchen oft internationale Legitimation und betrachten sich als respektable Juristen mit hohem internationalem Ansehen. Daher legen sie großen Wert darauf, in internationalen Foren präsent zu sein. Dies ermöglicht es ihnen, sich in Georgien als legitime Fachexperten darzustellen. Tatsächlich bröckelt diese Legitimation jedoch in den letzten Monaten, selbst in Kreisen, in denen diese Akteure über viele Jahre hinweg Netzwerke aufgebaut hatten. Der Richter Merab Turava, Quelle: Wikimedia @NobodyUser Merab Turava, der amtierende stellvertretende Justizminister, wurde kürzlich von der Liste der Internationalen Redakteure der KriPoz (Kriminalpolitische Zeitschrift) gestrichen. Die Streichung Turavas aus der Redakteursliste erfolgte ohne offizielle Stellungnahme der Zeitschrift. Dennoch vermittelt sie eine klare Botschaft. Wer aktiv an Repressionen beteiligt ist, kann sich nicht länger durch vermeintliche Wissenschaftlichkeit legitimieren. Turavas Tätigkeit bei der KriPoz und seine Entfernung senden ein wichtiges Signal an viele Juristen in Georgien: Sie müssen sich entscheiden zwischen Loyalität zum Regime und einer künftigen wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Eine Beteiligung an der Repression des georgischen Regimes muss jede wissenschaftliche Würdigung ausschließen. Absetzung von Merab Turava Merab Turava, der davor jahrelang problematisch als Präsident des Georgischen Verfassungsgerichts fungierte, ist ein prominenter Fall. Seine Absetzung und das konsequente Vorgehen der Herausgeber der KriPoz unter der Leitung von Professor Gunnar Duttge von der Universität Göttingen sind zu begrüßen. Die genauen Gründe für diese Entscheidung sind nicht bekannt. Nach einer Anfrage von Mitarbeitern von Tiflis24 bei der KriPoz im August 2025, die damals noch keine klare Stellungnahme erbrachte, scheint nun mit Verzögerung dieser wichtige und richtige Schritt erfolgt zu sein, möglicherweise auch als Reaktion auf die anhaltenden Angriffe auf die georgische Rechtsstaatlichkeit, die unlängst auch zum Rückruf des deutschen Botschafters nach Berlin führte. Für georgische Juristen ist die Absetzung von Turava als klare Aufforderung zu verstehen, sich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen, und eben nicht für das Regime.

  • Georgiens müde Demokratie und die Frau, die sie wachhält

    Quelle: IPN.ge In Georgien kann man dieser Tage, wenn man die Augen offen hält, etwas erleben, das an längst vergangene Zeiten erinnert. Auf der Rustaweli-Allee, mitten in Tiflis, steht eine Frau, klein, alt, mit festem Blick und georgischer Flagge in der Hand. Ihr Name ist Aza Chilachava , 71 Jahre alt, aus Gagra (Abchasien)  vertrieben, heute Symbol einer moralischen Hartnäckigkeit, die man in diesem Land immer seltener findet. Während sie auf dem Asphalt steht, den Polizisten gegenüber, wirkt sie unwillkürlich, wie eine Figur aus einer anderen Epoche. Keine Heilige, keine Visionärin, einfach eine Bürgerin, die ihr Land nicht aufgibt. Eine Frau mit Pflichtgefühl Aza Chilachava glaubt an etwas Irdisches, aber kaum weniger Heiliges: an ihr Land, an dessen Würde und an die Freiheit, nicht im Schatten von Moskau zu leben. Als man sie am 2. November 2025  in Tiflis festnahm angeblich, weil sie „auf der Fahrbahn stand“ und „eine Gesichtsmaske trug“, lächelte sie. Vor Gericht sagte sie, sie werde wiederkommen. „Ich gehe wieder auf die Straße, ich werde die Erste sein.“ Eine alte Frau, die weiß, dass sie dafür erneut in Haft kommen kann. Und dennoch sie sagt es, als würde sie von einer Pflicht sprechen, nicht von einer Entscheidung. Ein Staat, der Mut bestraft Diese Pflicht, könnte man sagen, ist das, was Georgiens Regierung nicht versteht oder nicht mehr verstehen will. Der Richter Tornike Kochkiani  verurteilte Chilachava zu einem Tag Arrest , so, als ginge es um eine bürokratische Routine, nicht um ein politisches Symbol. Das Innenministerium hatte zuvor beantragt, man möge „die Haft als die angemessenste Maßnahme“ anwenden. Als wäre ziviler Ungehorsam ein Störgeräusch, das man kurz ausschalten kann. Doch nichts an dieser Szene ist banal. Eine Siebzigjährige, die für ihr Land protestiert, wird abgeführt, während auf der anderen Seite der Staat seine Repressionsgesetze verfeinert, um die Kontrolle über genau solche Körper zu behalten. Gesetze gegen Bürger Denn während Europa über Georgiens Beitrittskandidatur diskutiert, verabschiedet Tiflis in Windeseile Gesetze, die das Gegenteil von europäischen Werten darstellen. Das neue Gesetz über öffentliche Versammlungen , das im Oktober 2025  verabschiedet wurde, sieht nun Haftstrafen von bis zu zwei Jahren  für Demonstranten vor, die eine Straße blockieren oder ihr Gesicht bedecken. Damit wird der Protest selbst kriminalisiert. Die Polizei entscheidet, wer ein Bürger ist und wer ein Delinquent. Die Justiz nickt. Die Regierung applaudiert. Die Demokratie schweigt. Eine Gesellschaft im Stillstand Man erinnert sich unweigerlich an die Geschichten von Menschen, die sich allein der Macht entgegenstellten – ohne Waffen, ohne Partei, ohne Schutz. Georgiens Regierung reagiert darauf mit Paragrafen, Haft und Zynismus. Aza Chilachava ist keine Heldin im mythischen Sinn, sie ist eine Zumutung: für eine Gesellschaft, die sich an Angst gewöhnt hat, und für eine Macht, die nur Stärke kennt, nie Scham. Wenn Zivilcourage gefährlich wird Ironischerweise verleiht gerade diese Banalität – der Papierschimmer einer Verwaltungsstrafe, die achtlose Geste eines Polizisten – ihrer Geschichte jene Wucht, die sie so gefährlich macht. Heldinnen entstehen nicht durch Pathos, sondern durch die Unfähigkeit der Macht, Menschlichkeit zu ertragen. Aza Chilachava wird noch nur eingesperrt. Doch auch das ist ein Brandmal: für ein Land, das seine ältesten Bürgerinnen kriminalisiert, weil sie das sagen, was die Jüngeren längst zu denken aufgehört haben. Der Preis der Würde Seit fast einem Jahr dauern die proeuropäischen Demonstrationen in Georgien an. Sie fordern Neuwahlen, faire Gerichte, die Freilassung politischer Gefangener. Die Regierung antwortet mit Tränengas, Paragrafen und Propaganda. Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili , der Mann, der eigentlich Garant der Verfassung sein sollte, hat es kürzlich auf den Punkt gebracht – wenn auch unbeabsichtigt. Auf die Frage nach Aza Chilachava sagte er, man solle sich „an den EU-Botschafter wenden“, der diese Menschen „opfert“, um politische Punkte zu sammeln. Das ist das offizielle Narrativ: Der Westen manipuliere, die Opposition verhetze, die Polizei beschütze. Und wenn dabei eine 71-Jährige in Haft landet – nun ja, Kollateralschaden im Namen der Ordnung. Ein Land, das seine Bürger fürchtet Es ist diese rhetorische Verschiebung, die Georgien gefährlich macht. Nicht der einzelne Fall, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der die Regierung die eigenen Bürger als Feinde behandelt. Institutionen, die ihre Legitimation aus Angst ziehen, verlieren ihre Seele. Aza Chilachava trägt keine Rüstung und hört keine Engel, aber sie ist der Beweis, dass Mut ansteckend sein kann – und dass selbst ein alter Körper zum Spiegel einer Nation werden kann. Ein stilles Symbol Auf der Rustaweli-Allee, wo jeden Abend Kerzen flackern, steht sie wieder. Vielleicht wird sie morgen wieder festgenommen, vielleicht übermorgen. Vielleicht wird sie krank. Aber für einen Moment, einen einzigen Moment, wird Georgien – dieses müde, erschöpfte, manipulierte Georgien – durch sie wieder erkennbar als das, was es sein könnte: ein Land, das seine mutigsten Bürger noch nicht vergessen hat.

  • Wie Wolfgang Herrmann dem georgischen Autoritarismus einen deutschen Glanz verpasst

    Es ist ein altbekanntes Schauspiel: Wenn ein autoritäres Regime in der eigenen Bevölkerung jede Glaubwürdigkeit verloren hat, sucht es sich Gesichter aus dem Ausland – Professoren, Experten, „Freunde Georgiens“ – die den schönen Schein der Normalität bewahren sollen. In Georgien trägt dieses Gesicht heute den Namen Wolfgang Herrmann , ein deutscher Akademiker, der sich offenbar mit sichtbarer Freude vor die Kameras der regierungsnahen Sender stellt, um das Oligarchensystem Bidzina Iwanischwilis zu legitimieren. Herrmann spielt die Rolle perfekt: Er spricht ruhig, gebildet, mit deutschem Akzent und dem Nimbus westlicher Objektivität. Doch seine Worte sind nichts anderes als parfümierte Propaganda , verpackt in Professorentitel. Während draußen Studenten festgenommen werden, weil sie auf der Straße stehen, schwärmt Herrmann drinnen in Fernsehstudios von „Stabilität“, „Fortschritt“ und „geordneter Entwicklung“. Der Kontext: Ein Land, das Kritiker zum Schweigen bringt Nur wenige Tage bevor Herrmann seine jüngste Medienrunde absolvierte, kam es zu einem diplomatischen Eklat: Der deutsche Botschafter Peter Fischer  wurde vom georgischen Außenministerium einbestellt – offiziell, um ihn an die Wiener Konvention zu erinnern, in Wahrheit, um ihn einzuschüchtern. Die Regierung unter Iwanischwili versucht systematisch, westliche Stimmen zu diskreditieren, die auf Korruption, Machtmissbrauch und Rechtsstaatsdefizite hinweisen. Fischer war dabei nicht Ziel einer Debatte, sondern Opfer einer Machtdemonstration. Doch während die demokratischen Diplomaten gemaßregelt werden, lässt man Herrn Herrmann hofieren. Der Professor darf reden, weil er genau das sagt, was das Regime hören will. Das Netzwerk der gekauften Autorität Herrmanns enge Verbindung zur Kutaisi International University (KIU) , die maßgeblich durch die Cartu-Stiftung Iwanischwilis  finanziert wird, ist kein Zufall. Die Universität wurde 2019 per Sondergesetz gegründet, ohne normales Akkreditierungsverfahren, und dient seither als prestigeträchtiges Aushängeschild des Oligarchen. Herrmann, ehemals Präsident der Technischen Universität München, wurde dort als „Ehrenpräsident“ eingeführt – eine symbolische Position, die aber enorme politische Wirkung entfaltet: Sie gibt dem Regime den Anschein, von deutschen Universitäten und europäischen Experten legitimiert zu sein. Wer die jüngere Geschichte kennt, weiß: Dies ist nicht der erste Fall solcher deutsch-oligarchischen Liaisonen . Bereits der frühere deutsche Botschafter Hubert Knirsch  geriet 2021 in die Schlagzeilen, als die „BILD“ seine Nähe zur Regierung und die Tätigkeit seiner Ehefrau an derselben Universität aufdeckte. Transparency International sprach von „deutlichen Anzeichen eines Interessenkonflikts“. Herrmann ist also kein Einzelfall – er ist die Wiederholung desselben Skripts mit neuem Schauspieler . Wenn ein Professor hilft, den Rechtsstaat zu begraben Während Herrmann öffentlich von „Innovation“ und „deutsch-georgischer Freundschaft“ spricht, vollzieht sich in Georgien der vielleicht massivste Angriff auf die Demokratie seit den 1990er Jahren. Das berüchtigte Gesetz über Transparenz ausländischer Einflussnahme , das von der Venedig-Kommission  scharf kritisiert wurde, verpflichtet NGOs und Medien, die ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, sich als „Agenten“ zu registrieren – ein Gesetz, das direkt aus Moskaus Handbuch stammt. Gleichzeitig hat das Parlament das Versammlungsrecht faktisch abgeschafft : Wer an einer nicht genehmigten Demonstration teilnimmt, kann bereits nach dem ersten „Verstoß“ mit Arrest und nach dem zweiten mit Haftstrafen von bis zu ein Jahr  bestraft werden. Es reicht, auf der Straße zu stehen , um kriminalisiert zu werden. Und als wäre das nicht genug, liegt ein Gesetzesentwurf vor, der politische Parteien verbieten oder Kandidaten disqualifizieren  kann, wenn sie „die öffentliche Ordnung gefährden“ oder „ausländischen Einfluss fördern“. Mit anderen Worten: Jede Opposition ist künftig potenziell illegal. Das sind keine Nebensächlichkeiten. Das ist der systematische Umbau Georgiens zu einem legalistischen Autoritarismus , in dem jede Unterdrückung durch Paragrafen gedeckt wird. Herrmanns Schweigen – ein lautes Einverständnis Hat Wolfgang Herrmann jemals diese Entwicklungen kritisiert? Nein. Hat er die Zerstörung der Pressefreiheit, die Gewalt gegen Demonstranten oder die Kriminalisierung der Zivilgesellschaft öffentlich benannt? Auch nicht. Er hat nichts gesagt , und genau deshalb wird er eingeladen. Er redet, um zu verschweigen. Sein Schweigen ist nützlich, weil es Vertrauen schafft – das Vertrauen der Zuschauer, dass, wenn ein deutscher Professor nichts Kritisches sagt, es wohl nichts Kritisches gibt. Er ist das Feigenblatt der Macht , die gepflegte Stimme, die den Gestank der Unterdrückung überdeckt. Zwischen Diplomatie und Propaganda Der Unterschied zwischen Peter Fischer und Wolfgang Herrmann ist der Unterschied zwischen Integrität und Opportunismus. Der eine steht für demokratische Werte, auch wenn er dafür Ärger riskiert. Der andere verkauft sie für mediale Aufmerksamkeit. Wenn Herrmann im staatlichen Fernsehen über „Entwicklung“ spricht, während draußen Studenten für ihre Meinung verhaftet werden, dann steht er nicht für Dialog, sondern für Verblendung . Seine bloße Anwesenheit in dieser Propagandamaschinerie legitimiert ein System, das jeden Tag ein Stück Freiheit erstickt. Ein Mann mit Titel, aber ohne Haltung Wolfgang Herrmann mag glauben, er diene der „Wissenschaft“, der „Zusammenarbeit“ oder gar der „Zukunft Georgiens“. In Wahrheit dient er einem Oligarchen, der Demokratie als Dekoration versteht. Sein Lächeln in der Kamera ist kein Ausdruck von Freundschaft – es ist das Lächeln eines Mannes, der weiß, dass er benutzt wird, und der sich damit abgefunden hat. Wenn eines Tages Bilanz gezogen wird über den autoritären Umbau Georgiens, wird man sich an zwei Arten von Deutschen erinnern: an jene, die widersprachen – und an jene, die mitmachten. Wolfgang Herrmann wird in der zweiten Kategorie stehen.

  • Offener Brief an die Regierungen und Parlamente Europas

    „Europa darf nicht wieder zusehen“ An die Regierungen und Parlamente von: Österreich, Belgien, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Zypern, Dänemark, Estland, die Europäische Union, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich. Freunde Europas, wir wenden uns an euch Bürgerinnen und Bürger Georgiens, Teilnehmer der friedlichen Protestbewegung auf der Rustaweli-Allee in Tiflis. Unsere Worte sind keine politischen Parolen, sondern ein Hilferuf. Denn Georgien steht heute dort, wo Europa schon einmal stand am Abgrund einer neuen Dunkelheit. In den vergangenen Monaten hat sich die Repression durch die georgische Regierung dramatisch verschärft. Oppositionelle Politiker sitzen im Gefängnis, Journalisten werden verfolgt, Demonstranten geschlagen und inhaftiert. Die Justiz dient längst nicht mehr der Gerechtigkeit, sondern der Angst. Die Regierung „Georgian Dream“ agiert nicht mehr als demokratische Kraft, sondern als verlängerte Hand der russischen Sicherheitsstrukturen. Das Regime unter Kontrolle des Oligarchen Bidzina Iwanischwili  hat sich vollständig von den europäischen Werten entfernt während es sie rhetorisch weiter im Munde führt. Eine Parallele, die Europa kennen sollte Wenn wir heute auf die Straßen von Tiflis gehen, erinnern wir uns an ein anderes Europa an das Jahr 1938. Auch damals glaubten viele westliche Regierungen, man könne die Aggression eines Diktators eindämmen, wenn man nur geduldig sei. Auch damals schwieg Europa zu Unrecht in der Hoffnung, der Sturm würde vorüberziehen. Doch die Geschichte lehrt uns: Schweigen nährt die Gewalt. Die Passivität gegenüber dem russischen Angriff auf Georgien im Jahr 2008 war – so schmerzhaft es ist, dies zu sagen der Beginn des Weges, der über die Krim bis nach Butscha führte. Heute erleben wir in Georgien eine ähnliche Dynamik eine stille Okkupation durch Angst, Desinformation und politische Unterdrückung. Wir befinden uns in einem hybriden Krieg mit Russland, geführt nicht an den Grenzen, sondern in den Institutionen, Medien und Gerichtssälen unseres Landes. Georgien ist nicht verloren – noch nicht Was in Tiflis geschieht, entscheidet nicht nur über unser Schicksal, sondern über das moralische Fundament Europas.Wenn die georgische Demokratie fällt, dann fällt ein weiterer Stein aus dem europäischen Haus der Freiheit. Wir haben keine Opposition mehr sie sitzt im Gefängnis.Wir haben keine unabhängigen Gerichte mehr sie sind Werkzeuge des Regimes. Was uns bleibt, ist das Volk.Das Volk, das auf den Straßen steht friedlich, mutig, ohne Waffen, aber mit Hoffnung. Am 4. Oktober  hat das Regime eine gezielte Provokation organisiert, um diese Bewegung zu zerschlagen. Seitdem werden täglich Dutzende friedliche Demonstranten festgenommen, darunter Studierende, Journalisten, Lehrer, Ärztinnen. Die Zahl der politischen Gefangenen in Georgien ist gemessen an der Bevölkerungszahl inzwischen höher als in Russland. Und doch schweigt Europa. Europa darf nicht wieder zusehen Eure Parlamente, eure Regierungen, eure diplomatischen Vertretungen wissen, was in Georgien geschieht. Doch Wissen ohne Handeln ist Mitschuld.Die Welt hat schon einmal zugesehen, wie Demokratien von innen zerfielen in den 1930er Jahren, als rechtliche Formalitäten die Gewalt verdeckten. Heute trägt die Repression in Georgien denselben Anzug, nur das Etikett ist ein anderes: „nationale Souveränität“, „Transparenzgesetz“, „traditionelle Werte“. Es ist die Sprache der Tyrannei, die gelernt hat, europäische Rhetorik zu imitieren. Wir bitten nicht um Mitleid – wir fordern Solidarität Ihr habt heute die Werkzeuge, die ihr damals nicht hattet.Individuelle Sanktionen. Finanzielle Sperren. Politische Isolation.Bitte nutzt sie. Wir bitten euch: Verhängt gezielte Sanktionen  gegen jene Richter, die politische Urteile fällen. Friert Vermögenswerte jener Geschäftsleute ein, die das Regime finanzieren. Und richtet eure Maßnahmen direkt gegen den Oligarchen Bidzina Iwanischwili , der das Land aus dem Schatten heraus kontrolliert. Denn solange sein Einfluss ungebrochen bleibt, wird kein Reformversprechen, kein Dialog, keine Vermittlung etwas ändern.

  • Die Inszenierung der Gewalt – wie Georgian Dream das eigene Volk als Statisten benutzt

    Ein Land im Dauerzustand der Provokation Was am 4. Oktober in Tiflis geschah, war kein Zufall. Es war ein sorgfältig geplantes Schauspiel, bei dem die georgische Regierungspartei Georgian Dream  einmal mehr bewies, dass sie politische Realität nicht gestaltet, sondern inszeniert. Ein Staat, der seine Bürger nur noch als Statisten für eigene Fernsehbilder benutzt – das ist das Georgien des Jahres 2025. Seit Monaten warnen Beobachter, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen vor der wachsenden Gewaltbereitschaft staatlicher Strukturen. Und doch gelingt es der Regierung, jede Eskalation als „notwendige Ordnungspolitik“ zu verkaufen. Der 4. Oktober sollte – wenn man den Erzählungen von Teilnehmer:innen glaubt – zu einem Tag der Hoffnung werden. Doch am Ende blieb nur der bittere Nachgeschmack einer staatlich orchestrierten Provokation, die an sowjetische Drehbücher erinnerte: gleiche Methoden, gleiche Regie, nur bessere Kameras. „Für uns, die seit über 300 Tagen auf den Straßen stehen…“ Ein Aktivist, der an jenem Tag an der Demonstration teilnahm, schilderte im Gespräch mit tiflis24.de , was viele spürten, aber nur wenige öffentlich auszusprechen wagen: „Für uns alle, die seit über 300 Tagen an diesen Protesten teilnehmen, war das Hauptziel selbstverständlich der Regierungswechsel – und die Rückkehr Georgiens auf den europäischen Integrationsweg. Am 4. Oktober entstand die Hoffnung, dass die Regierung tatsächlich gestürzt werden könnte. Diese Hoffnung speiste sich aus den klaren Aussagen der Organisatoren, die versicherten, dass an diesem Tag der Wechsel stattfinden würde.“ Es ist eine bittere Ironie, dass genau diese Hoffnung von der Regierung zur Waffe gemacht wurde. Während die Menschen glaubten, ein Kapitel der Geschichte aufzuschlagen, schrieb Georgian Dream  bereits das Drehbuch für die nächste Episode ihrer Opferinszenierung. Hoffnung als Falle Die Regierung weiß, wie sie Emotionen manipulieren muss. Sie hat aus den Protesten der letzten Jahre gelernt – oder besser gesagt: gelernt, wie man sie nutzt. Während im Westen über „Zivilgesellschaft“ gesprochen wird, versteht Georgian Dream  darunter lediglich eine Bühne, auf der sie ihre Gegner diskreditiert. Dass sich die Demonstranten am 4. Oktober von den Organisatoren mobilisieren ließen, war keine Schwäche – es war der Beweis dafür, dass in Georgien noch immer Menschen an politische Veränderung glauben. Und genau dieses Vertrauen wurde von der Regierung gezielt missbraucht. „Ich weiß nicht, was die Organisatoren zu dieser Behauptung bewogen hat“, sagt der Demonstrant. „Vielleicht hätte das niemand geglaubt, wenn es nicht von Levan Khabeishvili selbst gekommen wäre.“ Die Erwähnung des Oppositionsführers ist entscheidend. Denn was am 4. Oktober passierte, war nicht nur eine staatliche Provokation, sondern ein Versuch, die Opposition endgültig zu diskreditieren. Ein Drehbuch der Eskalation In den Stunden vor der Demonstration wurde die Atmosphäre in Tiflis immer angespannter. Augenzeugen berichten von ungewöhnlich vielen uniformierten Kräften in Zivil, von aufgestellten Kameras an neuralgischen Punkten und von Männern, die offenbar „zufällig“ am Rande der Kundgebung standen aber alle denselben Funkempfänger trugen. Wer das georgische Innenministerium kennt, weiß: Zufälle gibt es dort nicht. Die Regierung brauchte Bilder nicht vom friedlichen Protest, sondern von „gewalttätigen Radikalen“. Also musste Gewalt entstehen. Und wenn sie nicht von allein kam, dann wurde sie eben produziert. „Sie wollten die Gewalt filmen“ Der Aktivist beschreibt die Situation so: „Als wir vor dem Parlament standen, war von Anfang an spürbar, dass etwas nicht stimmt. Polizisten ohne Abzeichen, Männer in Zivil, Kameras, die auf uns gerichtet waren. Es war, als warteten sie nur darauf, dass jemand einen Stein wirft. Später erfuhren wir, dass genau das der Plan war: sie wollten die Gewalt filmen, um sie den Demonstranten anzuhängen.“ Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern georgische Alltagspraxis. In einem Land, in dem die Regierung ihre Macht nicht mehr über Legitimität, sondern über Angst stabilisiert, ist jede Kamera ein potenzielles Repressionsinstrument. Man braucht keine Fantasie, um sich vorzustellen, wie im Regierungsgebäude noch in derselben Nacht die Ausschnitte sortiert wurden: „Da, seht der Junge mit der Flagge, das kann man als Angriff zeigen. Und da eine Frau schreit, das nehmen wir für den Ton.“ Gewalt als Staatsraison Dass Gewalt in Georgien längst zur Kommunikationsstrategie der Regierung geworden ist, zeigt sich nicht nur in der Polizeipraxis. Es ist eine politische Ästhetik eine Form, in der Macht sichtbar gemacht werden soll. Wer schreit, wer blutet, wer weint, erinnert das Publikum daran, dass Georgian Dream  der Regisseur bleibt. Während Premier Irakli Kobachidze in seinen monothematischen Pressekonferenzen von „Sicherheitsinteressen“ spricht, agiert sein Apparat nach einer einfachen Logik: Wer protestiert, verliert seine Rechte. Die Frage ist nicht mehr, ob die Regierung Gewalt einsetzt, sondern wie kunstvoll sie sie choreografiert. Die Produktion der Angst Die Szenen vom 4. Oktober sind dafür exemplarisch. Tränengas, Wasserwerfer, Schlagstöcke und dazwischen die obligatorische Fernsehkamera. Später am Abend liefen die Bilder in den staatlichen Sendern: „Chaotische Szenen im Zentrum von Tiflis – die Polizei verhindert gewaltsamen Umsturzversuch.“ So einfach lässt sich Geschichte in Georgien schreiben, wenn man die Medien besitzt. Dabei war es kein Umsturzversuch, sondern ein Versuch der Bürger, überhaupt gehört zu werden. Ein Ruf nach Europa, nach Würde, nach dem Ende der Lüge. Aber in der Welt von Georgian Dream  ist Würde nur ein westliches Exportprodukt, das man nach Belieben importiert oder boykottiert je nach politischer Wetterlage. Zwischen Demokratieattrappe und Polizeistaat Die Regierung von Georgian Dream  versteht sich selbst als Verteidigerin der Stabilität. Tatsächlich verteidigt sie nur ihr Monopol auf Instabilität. Wer Stabilität sagt, meint Kontrolle. Wer Kontrolle sagt, meint Angst. Und wer Angst verbreitet, nennt das in Tiflis „Patriotismus“. Die Proteste am 4. Oktober waren die Folge einer jahrelangen politischen Ermüdung – einer Gesellschaft, die gelernt hat, dass Reformversprechen nur noch PR-Übungen sind. Doch diesmal glaubten viele, es könnte anders sein. Die Bühne Europa „Wir wollten zeigen, dass Georgien zu Europa gehört“, sagt der Demonstrant. „Dass wir keine Angst mehr haben. Aber am Ende sah es im Fernsehen so aus, als wären wir die Aggressoren.“ Es ist das alte Spiel der georgischen Propaganda: Europa als Feindbild und Ziel zugleich. Wenn es passt, wird die EU zitiert. Wenn nicht, wird sie beschuldigt, „geopolitisch voreingenommen“ zu sein. Während Brüssel noch diplomatisch formuliert, wie „besorgt“ man sei, lacht man in Tiflis über diese Wortwahl. Denn Georgian Dream  weiß längst, dass die EU keine roten Linien zieht – zumindest nicht für sie. Die innere Logik der Lüge Die Regierung agiert nach einem einfachen Prinzip: Wenn die Realität nicht in die Erzählung passt, wird sie eben neu gedreht. Am 4. Oktober zeigte sich das in Reinform. Die Menschenmenge, die friedlich protestierte, wurde in den Nachrichtensendungen zu einer anonymen Bedrohung stilisiert. Und aus den Prügelnden in Uniform wurden Helden der Ordnung. „Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, wenn das Mikrofon immer nur den Lügnern gehört“, sagt der Demonstrant leise. „Aber wir wissen, was passiert ist.“ In dieser einen Aussage steckt die Tragödie des Landes. Vom Opfer zum Schuldigen Wer in Georgien auf die Straße geht, riskiert nicht nur Schläge, sondern auch seinen Ruf. Die Regierung hat gelernt, dass Repression nicht nur körperlich, sondern auch psychologisch funktionieren kann. So wurde aus der Demonstration ein Symbol für die Perversion der politischen Kommunikation: das Opfer als Täter, der Täter als Retter. Und während die Regierung ihre Version der Geschichte in allen Kanälen verbreitete, begannen die westlichen Botschaften – höflich wie immer – zu „beobachten“. Ein Lehrstück in politischer Manipulation Der 4. Oktober wird in Erinnerung bleiben – nicht wegen der Gewalt, sondern wegen der Perfektion, mit der sie vorbereitet war. Es war eine Inszenierung mit klarer Dramaturgie: Erwartung, Hoffnung, Eskalation, Rechtfertigung. Und am Ende die moralische Auflösung: Georgian Dream  als angeblich „verantwortungsbewusste Kraft“, die „den Frieden gewahrt“ habe. Das Problem ist: Viele glauben es. Denn wer seit Jahren in einer medialen Filterblase lebt, in der jede Kritik als Verrat gilt, hat längst verlernt, zwischen Propaganda und Realität zu unterscheiden. Die Stille danach Nach der Auflösung der Demonstration blieb Tiflis still. Nicht das Schweigen der Erschöpfung, sondern das Schweigen der Ernüchterung. „Wir sind nach Hause gegangen, aber nicht, weil wir aufgeben wollten“, sagt der Demonstrant. „Sondern weil wir verstanden haben, dass sie auf Gewalt aus waren. Und wir wollten ihnen dieses Bild nicht geben.“ Diese Entscheidung nicht mitzuspielen im Theater der Macht ist vielleicht die stillste, aber mutigste Form des Widerstands. Das wahre Ziel: Einschüchterung Die Ereignisse vom 4. Oktober hatten nur ein Ziel: den Menschen beizubringen, dass Widerstand zwecklos sei. Dass man nicht nur Angst vor Knüppeln haben sollte, sondern auch vor der Bedeutungslosigkeit. Die Regierung braucht keine Massenverhaftungen mehr, um ihre Macht zu demonstrieren. Es reicht, wenn sie den Menschen das Gefühl gibt, dass niemand zuhört. Das ist die wahre Gewalt – die der Gleichgültigkeit. Die Wiederholung ist programmiert Wer glaubt, der 4. Oktober sei ein Einzelfall, hat nichts verstanden. Jede neue Protestwelle wird nach demselben Muster ablaufen: Hoffnung, Mobilisierung, Provokation, Gewalt, Schuldumkehr. Solange die Strukturen der Straflosigkeit intakt bleiben, solange Staatsanwälte mehr Angst vor der Wahrheit als vor dem Gesetz haben, wird sich nichts ändern. Und während Europa weiterhin diplomatisch formuliert, wächst in Georgien die Erkenntnis, dass Demokratie ohne Konsequenzen nur eine Dekoration ist. Ein Staat gegen seine Bürger Georgian Dream  hat es geschafft, den Begriff „Volk“ zu monopolisieren. Jeder, der nicht in ihre Definition passt, wird zum Feind erklärt. Diese Regierung braucht keine Ideologie, sie braucht nur Feindbilder. Und wenn keine da sind, schafft sie welche – aus Journalisten, Aktivisten, Studenten. Was am 4. Oktober geschah, war kein Unfall. Es war ein Staat, der seine Bürger zu Requisiten degradierte. Und Europa schaut zu Die EU wird wieder „besorgt“ sein. Der Europarat wird „die Lage beobachten“. Und Washington wird „alle Seiten zur Zurückhaltung aufrufen“. In Tiflis lacht man darüber – und macht weiter. Doch irgendwann, vielleicht schon bald, wird Europa verstehen, dass Schweigen keine Stabilität schafft. Bis dahin bleibt Georgien ein Land, das sich in Zeitlupe selbst demontiert – mit einem Lächeln für die Kamera.

  • Die stummen Juristen – Verrat am Rechtsstaat

    Es gab eine Zeit in Georgien, da wagten Juristen, Anwälte und Menschenrechtsverteidiger ihre Stimme zu erheben. Unter Präsident Mikheil Saakashvili  wurden Menschenrechtsverletzungen öffentlich angeprangert, Folterskandale angeheizt, Anwälte gingen mit Transparenten auf die Straße. Wer damals schwieg, galt als Mitläufer. Heute jedoch erleben wir eine groteske Umkehrung: Gerade die lautesten Kritiker von einst sind verstummt , obwohl die Menschenrechtslage ungleich dramatischer ist. Vom Gefängnisskandal 2012 zum Schweigen heute Erinnern wir uns an den September 2012: Schockierende Videos zeigten die Misshandlung, Erniedrigung und Folter von Gefangenen in Tiflis. Tagelang protestierten Menschen, darunter viele Juristen, gegen das System Saakashvili . Rücktritte, Reformversprechen, internationale Empörung – der Druck war enorm. Damals war klar: Rechtsstaat bedeutet, Missbrauch nicht stillschweigend hinzunehmen. Schnitt ins Heute: Unter der Herrschaft des Oligarchen Bidzina Iwanischwili  ist die Menschenrechtslage nicht besser, sondern katastrophaler geworden. Besonders deutlich zeigte sich dies im November und Dezember 2024 , als die Regierung mit brutaler Härte gegen pro-europäische Demonstrationen vorging. Die Polizei setzte Tränengas, Schlagstöcke und Wasserwerfer ein, hunderte friedliche Demonstranten wurden festgenommen. Der georgische Ombudsmann berichtete von systematischen Schlägen gegen Kopf und Gesicht  – absichtlich zugefügt, um die Inhaftierten zu bestrafen. Amnesty International  dokumentierte in diesen Wochen Folter, Misshandlungen, Knochenbrüche, Blutergüsse, vorenthaltene medizinische Hilfe und erzwungene Geständnisse . Ein Inhaftierter schilderte, dass viele Festgenommene „ über und über mit Blut bedeckt “ gewesen seien; mehrere erlitten schwere Kopfverletzungen. Bis heute wurde kein einziger Polizist für diese Verbrechen belangt . Und was sagt die Anwaltschaft dazu? Nichts. Absolut nichts. David Asatiani – vom Präsidenten der Anwaltskammer zum „Schoßhund“ Eigentlich müsste die georgische Anwaltskammer die erste Institution sein, die Menschenrechtsverletzungen beim Namen nennt. Doch ihr Vorsitzender David Asatiani  schweigt. Kein Wort zu den Polizeiexzessen von 2024, kein Wort zu politischer Verfolgung. Stattdessen Karriere auf internationalem Parkett: Präsident der Europäischen Anwaltsvereinigung. In Brüssel spielt er den unabhängigen Juristen – in Tiflis liefert er dem Regime das Feigenblatt, das es so dringend braucht. Besonders aufschlussreich war sein Umgang mit einem Skandal im Jahr 2018 , als ein heimlich aufgenommenes Tonband öffentlich wurde. Darin soll Asatiani dem Oligarchen-freundlichen Omega-Group -Chef Zaza Okuashvili vorgeschlagen haben, kritische Aussagen gegen Bidzina Iwanischwili zurückzuziehen und stattdessen Mikheil Saakashvili und Nika Gvaramia ins Visier zu nehmen . Als Gegenleistung, so die Vorwürfe, sollten die enormen Schulden des Unternehmens gestrichen und staatliche Beschlagnahmungen aufgehoben werden. Asatiani wies dies natürlich zurück und erklärte auf Facebook, er könne „keinen Kommentar zu illegalen, manipulierten Mitschnitten professioneller Gespräche“ abgeben. Gleichzeitig betonte er seine „lebenslange Pflicht zur Wahrung von Berufsgeheimnissen“ – eine elegante Art, sich nicht zu äußern. Er stellte heraus, dass er seit 17 Jahren als Anwalt für die Omega Group tätig sei und stets „im besten Interesse des Klienten“ gehandelt habe. Doch dieser Verweis auf „Vertraulichkeit“ wirkt eher wie eine Nebelkerze: Fakt bleibt, dass ein Präsident der Anwaltskammer, der in Skandale um Oligarchenfreundschaften und politische Deals  verwickelt ist, kaum glaubwürdig für Rechtsstaatlichkeit eintreten kann. Sein Schweigen zu Folter und Repressionen wirkt vor diesem Hintergrund weniger wie ein Zufall, sondern wie ein systematischer Bestandteil seiner Rolle – ein Schoßhund Iwanischwilis, der das Schweigen zur höchsten Tugend erhebt . Irakli Kandashvili – der nächste Lakai? Und nun betritt Irakli Kandashvili  die Bühne, Vorsitzender der Mediatorenvereinigung und Aspirant auf Asatianis Posten. Wer erwartet hätte, dass Kandashvili als „Reformer“ frischen Wind bringt, irrt. Auch von ihm: kein einziges Wort zu Folter, Misshandlungen oder der Aushöhlung des Rechtsstaats. Ein Mann, der sich lieber als seriöser Europäer inszeniert, während er zu Hause das Leid seines eigenen Volkes ignoriert. Die logische Fortsetzung des Systems Asatiani – nur mit neuem Gesicht. Parallelen zu den Nazi-Juristen – Schweigen als Komplizenschaft Wer glaubt, Schweigen sei harmlos oder neutral, irrt. Die Geschichte lehrt uns das Gegenteil. Im nationalsozialistischen Deutschland war es nicht allein die Gestapo, die den Rechtsstaat zerstörte. Es waren ebenso die zahllosen Richter, Anwälte und Professoren, die schwiegen, wegsahen oder bereitwillig dem Regime dienten . Sie verliehen der Diktatur einen Anschein von Legalität und machten sich damit zu Komplizen. Genau dieses Muster wiederholt sich heute in Georgien: David Asatiani und Irakli Kandashvili  sind keine Folterknechte, aber sie sind die stillen Juristen , die durch ihr Schweigen und ihre Karrieren im Ausland den Eindruck erwecken, als funktioniere die Rechtsstaatlichkeit in Georgien noch. In Wahrheit stützen sie damit ein autoritäres System. So wie die Nazi-Juristen sich später mit der Ausrede „Befehl und Gehorsam“ herausreden wollten, wählen Asatiani und Kandashvili heute bewusst den Weg der Karriere statt Courage . Sie lassen sich von einem Oligarchen einspannen, um die Fassade eines Rechtsstaats aufrechtzuerhalten , während hinter den Kulissen Folter, Einschüchterung und autoritäre Macht herrschen. Die stummen Juristen – Verrat am Rechtsstaat Die eigentlichen Verräter an der georgischen Demokratie sind nicht nur jene, die Befehle zur Gewalt erteilen. Es sind auch jene, die durch Schweigen Beihilfe leisten . Juristen, die sich einst als moralische Instanz verstanden, machen sich heute zu Komplizen des Oligarchen. Der Preis? Posten, Titel, internationale Einladungen. Botschaft an unsere internationalen Partner Dieser Text ist ein Warnruf an die EU, den Europarat, internationale Anwaltsvereinigungen : Lassen Sie sich nicht täuschen von Iwanischwilis „Juristen“. Hinter Anzügen und Titeln verbergen sich stumme Diener eines autoritären Systems , das Demokratie, Rechtsstaat und europäische Werte zerstört. Jede Zusammenarbeit mit diesen Figuren bedeutet nichts anderes als Kollaboration mit dem Oligarchen und seiner russischen Agenda . Die georgische Gesellschaft verlangt Klarheit: Keine Bühne für die Schoßhunde des Oligarchen. Keine Legitimierung ihrer Karriere durch westliche Partner. Unsere Redaktion wird weiterhin jeden Fall dokumentieren, in dem internationale Institutionen mit diesen Lakai­en  kollaborieren. Wir werden Namen nennen, Strukturen offenlegen und den Schleier der Scheinheiligkeit zerreißen. Denn: Wer heute zu Folter schweigt, macht sich morgen mitschuldig.

  • Ein „Papst der Korruption”? Alexander Kartozia als neuer georgischer Botschafter in Berlin

    Die Ernennung von Alexander Kartozia  zum neuen georgischen Botschafter in Berlin muss als eine schmerzhafte Missachtung jener Zehntausenden georgischen Bürger verstanden werden, die unter der im Bildungswesen grassierenden Korruption in den späten 90er und frühen 2000er Jahren litten. Kartozia mag sich heute als Philologe und Gelehrter präsentieren, doch seine politische Vita trägt die dunklen Flecken seiner Amtszeit als Bildungsminister von 1998 bis Ende 2003 . Dies war keine Ära kleiner Vergehen. Es war eine Zeit „grassierender Korruption“ , die das Bildungssystem Georgiens von Grund auf aushöhlte. Die Korruption raubte Familien ihr Geld und, weit schlimmer, Studierenden ihre Bildung. Anstatt akademischer Leistung entschied Schmiergeld über den Zugang zu prestigeträchtigen Fakultäten. Ein besonderes Zentrum der Korruption war die Juristische Fakultät der Tifliser Staatsuniversität, darin sind sich praktisch alle Beobachter einig. Es waren keine kleinen Beträge – teils mussten Familien Tausende von Dollars zahlen, um ihren Kindern einen Studienplatz oder einen ordentlichen Abschluss zu sichern.  In der Zeit von Kartozia wurden ehrliche, brillante Akademiker gemobbt und verdrängt, während eine Generation heranwuchs, die sich Noten erkaufen konnte, ohne jemals eine Universität von innen gesehen zu haben. Die tiefgreifenden, negativen Auswirkungen dieser systemischen Zerstörung sind in Georgien bis heute spürbar . Einige der besonders wüsten Figuren des Georgischen Traumes sind Graduierte aus diesen Korruptionszeiten.  Kann man Kartozia als „Papst der Korruption” bezeichnen?  Kritiker in den sozialen Medien in Georgien argumentieren, dass Kartozia der Plünderung des Bildungssystems jahrelang vorstand. Man könnte Kartozia zugestehen, dass er ein schwacher Papst war, der vielleicht sein Ressort gerne reformiert hätte. Eine solche umfassende Reform hat aber nie stattgefunden. Ein wirkliches Ringen darum war bei Kartozia auch nicht zu erkennen.  Kartozia, gegen den nach seinem Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 2004 ermittelt wurde und der dann das Land verließ , um eine Tätigkeit an der Europa-Universität Viadrina  in Frankfurt (Oder) aufzunehmen, hat bis heute jede politische Verantwortung  für das desolate Erbe seiner fünfjährigen Amtszeit vermissen lassen.  Eine öffentliche Aufarbeitung oder gar eine Entschuldigung für den massiven Bildungsraub und den nachhaltigen Schaden, den er der georgischen Jugend und Gesellschaft zugefügt hat, oder zumindest hat geschehen lassen, ist nicht zu finden. Stattdessen scheint Kartozia seine Unfehlbarkeit weiter zu behaupten. Er und seine Frau sind primär für ihren aggressiven Angriffe auf nachfolgende Reformer bekannt, die dann die Korruption aus dem Bildungswesen eliminiert hatten.  Ende 2024 ist auch Rusudan Gorgiladze, die Ehefrau von Kartozia, einmal mehr unangenehm aufgefallen . Angesichts der handfesten Polizeigewalt gegen Demonstranten hatte Gorgiladze auf dem Propagandasender Imedi die damalige Präsidentin Salome Zourabichwili polemisch angegriffen , weil diese – zu Recht – die ungebremste Härte des Vorgehens kritisiert hatte. Gorgiladze ist weiterhin aktiv  in der Propaganda für das georgische Regime. (Ein weiteres Indiz des unentschuldigten Nepotismus? Rusudan Kartozia war von 2000 bis Ende 2003 Vizeministerin der Bildung , direkt unter ihrem Ehemann.)  Die deutsche Hauptstadt sollte diese Besetzung nicht unreflektiert hinnehmen, so sehr sich Gorgiladze auch gerne als Gastgeberin zu inszenieren  versucht. Er ist nun in Deutschland akkreditiert, aber Kartozias Vergangenheit bleibt ein politisches Problem . Alexander Kartozia sollte in Berlin nicht nur als formaler Vertreter eines Landes, sondern vor allem als Figur mit unbewältigter Vergangenheit wahrgenommen und von der deutschen Presse mit kritischen Fragen zu seinem fragwürdigen Wirken und dem angerichteten Schaden in Georgien konfrontiert werden.

  • Die furchtbaren Juristen: Warum Georgiens Justiz ihr eigenes Grab schaufelt

    Marika Arevadze – Mitglied des Politischen Rates der Partei ‚Akhali‘ Tiflis24  setzt die Berichterstattung über die Vertrauenskrise der Justiz fort – darüber, wie und warum das georgische Gerichtssystem an Vertrauen verliert.In der „List of Terrible Lawyers“ sind jene Richter:innen gemeint, die ihre Entscheidungen nicht nach Gesetz und Gewissen, sondern aus politischen Motiven treffen. Diesmal haben wir ein Interview geführt mit Marika Arevadze , Juristin und Mitglied des Politischen Rates der Partei ‚Akhali‘ “ , die anhand konkreter Rechtsfälle über Richter:innen sprach, die sich mit politisch motivierten Entscheidungen im Gedächtnis der Öffentlichkeit einprägen werden. „Gewissensgefangene“, „Geiseln des Regimes“ Tiflis24:  Die Begriffe „Gewissensgefangene“, „Geiseln des Regimes“ haben sich bereits in weiten Teilen der Gesellschaft etabliert; man denkt an jene Personen, die bei den proeuropäischen Demonstrationen im November–Dezember und in der Zeit danach festgenommen wurden. Welche gemeinsamen Merkmale haben ihre Rechtsfälle? Marika Arevadze:  In den Fällen der Regime-Gefangenen zeichnet sich dieselbe Handschrift ab – in diesen Verfahren existieren Beweise praktisch nicht. Selbst in den Erklärungen der politischen Amtsträger von „Georgian Dream“ ist deutlich zu erkennen, dass es in diesen Fällen nicht um Straftaten, sondern um präventive Festnahmen geht. Wie der Premierminister von „Georgian Dream“ erklärt hat, wurden Menschen präventiv  festgenommen, und entsprechend ist klar, warum die Fälle nicht vorbereitet sind und warum keine Beweise vorliegen. Es geschah Folgendes: Man verhaftete präventiv, um auf andere einzuwirken, mehrere Dutzend Menschen, und erst danach begann man, die Fälle vorzubereiten. Wenn Sie hinsehen, wurden die Verfahren auf einige wenige konkrete Richter verteilt. Ich möchte die Richterin Nino Sakhelashvili  am Stadtgericht Batumi hervorheben, die die absolut unschuldige Journalistin Mzia Amaglobeli  zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilte, die im Rahmen des Schutzes ihrer eigenen Person und ihrer Würde gehandelt hatte. Hervorzuheben ist, dass diese Richterin überhaupt keine Spezialisierung im Strafrecht  besitzt – und das ist bereits ein wesentlicher Verstoß. Der allgemeine Standard ist folgender: Die im Verfahren vorhandenen Beweise und Materialien müssen die Möglichkeit bieten, dass die Anklage bewiesen  wird. Wenn die Anklage nicht bewiesen wird, wenn die Gesamtheit der Beweise dafür keine Grundlage bietet und auch nur der geringste Zweifel besteht, dass die Straftat nicht von der Person begangen wurde, dann muss dieser Zweifel zugunsten der angeklagten Person  entschieden werden, das heißt, es muss ein freisprechendes Urteil  ergehen. Zum Fall Mzia Amaglobeli : Der Polizist, der Mzia beleidigte, erhielt auf die Beleidigung Protest und eine Antwort. Dieser Polizist hatte überhaupt keine gesundheitliche Beeinträchtigung  erlitten. Damit ein Verhalten als Straftat gilt, muss es bestimmte Kriterien erfüllen. Im Fall von Mzia Amaglobeli lag so etwas nicht vor. Es gab keine gesundheitliche Beeinträchtigung, keinen Angriff und keinen Angriff aufgrund der Erfüllung dienstlicher Pflichten. Folglich hätte man Mzia bei Mangel an Beweisen freisprechen müssen. Was sehen wir? Man qualifizierte den Tatbestand um  und versuchte es mit einer sogenannten kleinen Strafe , um keinen Rückzieher zu machen, sie nicht freizusprechen und zugleich für eine völlig unschuldige Person vergleichsweise weniger Jahre  zu verhängen. Politischer Fokus auf „Entschuldigung“ Tiflis24:  Von den Führungskräften der „Georgian Dream“ hörten wir, dass man eine Entschuldigung von der Journalistin verlangte, und diese Entschuldigung wurde gewissermaßen zur Grundlage einer „Vereinbarung“, um sie zu entlassen. Was meinen Sie, warum legten die Partei und ihre Führer den Akzent auf die „Entschuldigung“? Marika Arevadze:  Unter Bedingungen, in denen das Land auf den Autoritarismus zusteuert und die Menschenrechte nicht mehr existieren, in denen die Herrschaft des Rechts nicht mehr existiert, müssen neben den rechtlichen auch die politischen Aspekte  bewertet werden. Politische Erklärungen wurden in praktisch allen Fällen zum Leitfaden  für die Führung des jeweiligen Verfahrens. Die Entschuldigung von Mzia Amaglobeli war für das Regime notwendig, um die Gewissensgefangenen zu brechen  und der Gesellschaft zu zeigen, dass ihr Einsatz keinen Sinn  hat und kein Ergebnis  bringen wird. „Dream“ erhielt jedoch das Gegenteil . Die Regime-Gefangenen sind zu Unrecht inhaftierte  Menschen, und das wurde zur Achillesferse  von „Dream“. Denn die Existenz von Gewissensgefangenen ist schmerzhaft nicht nur für die oppositionell eingestellte Gesellschaft, sondern sogar  für die Anhänger von „Dream“. Weitere Strafrichter in politisch motivierten Verfahren Tiflis24:  Welche Strafrichter waren noch an der Verhandlung politisch motivierter Fälle beteiligt? Marika Arevadze:  Der Richter im Fall Saba Skhvitaridze  ist Jvebe Nachkebia . Nach verbreiteten Informationen handelt es sich um einen Richter, gegen den ein Strafverfahren  eingeleitet wurde und der auch zur Verantwortung gezogen  wurde. Bemerkenswert ist, dass er selbst  diese Information nie  bestritten hat. Hinweis *: Nach der Aufzeichnung dieses Interviews verurteilte Richter Jvebe Nachkebia  den wegen Drogendelikten festgenommenen Chechin  zu 8 Jahren und 6 Monaten  Haft. Fall Anton Chechin Chechin wird der Erwerb und Besitz einer besonders großen Menge  an Betäubungsmitteln vorgeworfen. Anton Chechin  wurde am 3. Dezember 2024  vor seinem Wohnhaus festgenommen – am Tag der Festnahme sagte er, dass er wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen  festgenommen worden sei. Im Verfahren gibt es kein Videomaterial , das seine Durchsuchung zeigt – Chechin selbst sagt, die Drogen seien ihm von Polizisten untergeschoben  worden. Chechin ist russischer Staatsbürger; nach Georgien kam er nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine . Er hat eine georgische Ehefrau , mit der er an den in Tiflis stattfindenden proeuropäischen Demonstrationen  teilnahm. Anton Chechin wurde wegen seiner Teilnahme an Protesten gegen das „Agentengesetz“  mit einer Geldstrafe belegt. Vor der Urteilsverkündung wandte sich Chechin mit folgenden Worten an das Gericht:„Für den Fall, dass gegen mich ein Schuldspruch ergeht, werde ich den Kampf mit Hilfe anderer Organisationen fortsetzen, weil meine Rechte im Gefängnis verletzt  werden; beim Sonderermittlungsdienst  wurden mehrere Beschwerden eingereicht, deren Untersuchung nicht  erfolgt, weil er von der Staatsanwaltschaft  geleitet wird, die mir gegenüber voreingenommen  ist – nicht nur, weil ich Angeklagter bin, sondern auch, weil ich gegen die prorussische Regierung  aufgetreten bin.“ Auf die Entscheidung von Richter Jvebe Nachkebia  reagierte die fünfte Präsidentin Georgiens, Salome Zurabischwili , wie folgt:„Das ist keine Gerechtigkeit  – das ist ein grausamer Akt politischen Terrors  seitens eines Regimes, das darauf aus ist, die europäische Zukunft unseres Landes zu ersticken.“ Fall Anri Kvaratskhelia In den Fällen der Gewissensgefangenen sprach Richter Jvebe Nachkebia  auch das Urteil über den 26-jährigen Anri Kvaratskhelia , geboren in einer Binnenvertriebenenfamilie aus Abchasien , und verurteilte ihn zu 4 Jahren und 6 Monaten  Haft. Kvaratskhelia wurde am 5. Dezember  in den frühen Morgenstunden zu Hause  festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, am 1. Dezember  bei einer Demonstration in Richtung von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes (GDD)  Molotowcocktails geworfen zu haben, wodurch „ ihre Gesundheit gefährdet “ worden sei. Es gibt keinen  durch Kvaratskhelia Geschädigten  oder gesundheitlich Beeinträchtigten  unter den Spezialkräften. Auf dem Video, das Staatsanwalt Roin Khintibidze  als Beweis vorlegte, soll Anri Kvaratskhelia  einen Molotowcocktail werfen; im Rahmen eines von der Verteidigung durchgeführten alternativen Gutachtens  erklärte ein Sachverständiger des Samkharauli-Büros , dass die Identität der Person  nicht feststellbar sei. Zwei Mitarbeiter des GDD , die in diesem Verfahren den Status von Geschädigten  haben, sagten vor Gericht aus, dass sie nicht  von einem Molotowcocktail getroffen  worden seien und lediglich das auf dem Asphalt entstandene Feuer gelöscht  hätten. Gemäß dem Vernehmungsprotokoll hat Anri Kvaratskhelia  nach der Festnahme gestanden , einen Molotowcocktail geworfen zu haben. Laut seinem Anwalt war er Opfer psychologischen Drucks , und während der Abgabe des Geständnisses  war kein Anwalt  anwesend. Vor der Urteilsverkündung sagte Kvarazkhelia:„Ich bin heute stolz , dass ich an der Seite meines Landes stand. Mein Fall ist zusammengenäht  – ich habe weder Anfang noch Ende  verstanden, was  man mir vorwirft und warum .“ Fall Nino Datashvili – Tendenzen in der Justiz Tiflis24:  Ein weiterer viel beachteter Fall ist der der zivilgesellschaftlichen Aktivistin und Lehrerin Nino Datashvili , der vorgeworfen wird, einen Mitarbeiter des Gerichtsvollzugsdienstes  angegriffen zu haben. Welche Tendenz zeigte dieser Fall im Justizsystem? Marika Arevadze:  Die Richterin Fikria Sikturashvili  war nicht einmal einen Monat  im Amt, als sie im Fall Nino Datashvili  eine schockierende Entscheidung  traf und eine zwangsweise psychiatrische Begutachtung unter stationären Bedingungen  anordnete. Und das so, dass Nino Datashvili selbst nicht die Möglichkeit erhielt , der Verhandlung beizuwohnen, und den Anwälten nicht  die Möglichkeit gegeben wurde, einzutreten und mit Nino zu sprechen. Faktisch hat sie den Antrag der Staatsanwaltschaft  vollständig übernommen und das Trauma der Sowjetunion  zurückgebracht, das unsere Bevölkerung, die Generation unserer Eltern, nur zu gut kennt. Später ruderte das Regime auch in diesem Teil zurück , und die Sachverständigen aus dem Samkharauli-Büro  gingen ins Gefängnis  und führten die Begutachtung ambulant  durch. Der Fall Nino Datashvili: Am 9. Juni  geschah es im Stadtgericht Tiflis . An diesem Tag fand eine weitere Gerichtsverhandlung von Mitgliedern der Oppositionspartei und der bei den proeuropäischen Protesten festgenommenen Aktivist:innen  statt. Nino Datashvili  wollte an dieser Verhandlung teilnehmen . Nach Angaben der Staatsanwaltschaft teilten ihr die Mitarbeiter des Gerichtsvollzugsdienstes  mit, dass die Verhandlung bereits laufe, im Saal kein Platz  mehr sei und sie nicht  teilnehmen könne. In dem Video, das als Beweis im Verfahren dient, ist zu sehen, was im Gericht geschieht, wie Datashvili Widerstand  leistet, als sie gewaltsam  aus dem Gericht gebracht wird. Die 43-jährige Aktivistin Nino Datashvili  wurde am 20. Juni  festgenommen. Am 21. Juni  ordnete Richterin Eka Barbakadze  als Sicherungsmaßnahme Untersuchungshaft  an. Der Aktivistin und Pädagogin wird Angriff auf einen öffentlichen Bediensteten  vorgeworfen. Am 4. August  wurde bekannt, dass die festgenommene Aktivistin zwangsweise  zu einer psychiatrischen Begutachtung  überstellt wurde. Datashvili  ist der Ansicht, dass dies der Versuch einer Diskreditierung  und die Fortsetzung  der Verfolgung sei. Hinweis:  Nach der Aufzeichnung dieses Interviews wurde bekannt, dass eben Fikria Sikturashvili  jene Richterin ist, die auf Grundlage eines Ersuchens des Sicherheitsdienstes (SUS)  die Anordnung zur Festnahme  des Oppositionsführers, des Vorsitzenden des politischen Rates der „ Vereinigten Nationalen Bewegung “, Levan Khabeishvili , erließ. Levan Khabeishvili  wird vorgeworfen, „einem Beamten zur Begehung einer rechtswidrigen Handlung Bestechung  in Aussicht gestellt und öffentlich zum Sturz  der Staatsgewalt aufgerufen“ zu haben. Am 13. September  erklärte der UNM-Führer Irakli Nadiradze  in der Livesendung des Fernsehsenders „Erste“  in Bezug auf den Mann der Richterin Fikria Sikturashvili , dass Sikturashvilis Ehemann, Zurab Berianidze , aktiver Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes  sei und er vor Jahren den organisierten Angriff  auf Levan Khabeishvili  in Kaspi  organisiert habe. Richter in Verwaltungssachen Tiflis24:  Was geschieht, wenn es um Richter geht, die Ordnungswidrigkeiten  (Verwaltungsdelikte) verhandeln? Wie fällen sie ihre Entscheidungen, und wirken hier ebenfalls politische Einflüsse? Marika Arevadze:  Ich kann mich an den Fall von Ani Kavtaradze , Mitglied des politischen Rates der Partei „ Akhali “, und von Tornike Skhvitaridze , dem Bruder des Regime-Gefangenen Saba Skhvitaridze , erinnern. Man warf ihnen vor, Mirian Kavtaradze  „Sklave“ genannt zu haben. Mirian Kavtaradze  ist ein Polizist, auf den – so der Vorwurf – Saba Skhvitaridze  einen Angriff verübt habe; in der Nacht des 4. Dezember  griff er in Titushki -Montur Politiker an, und in dessen Dienststelle wurde Saba Skhvitaridze  nach der Festnahme zweimal gefoltert . Obwohl im Verfahren kein einziger neutraler Zeuge  vorgelegt wurde, obwohl es an jenem Tag im Gericht zahlreiche Zeug:innen  gab. Als Zeugen wurden drei Polizisten  präsentiert, alle drei direkt Mirian Kavtaradze unterstellt ; weitere Beweise existierten nicht . Richterin Nino Enukidze  am Stadtgericht Tiflis verhängte gegen Ani Kavtaradze  eine Geldstrafe von 5.000 Lari , während Tornike Skhvitaridze  zu 5 Tagen Arrest  verurteilt wurde. Ich verteidigte außerdem den Aktivisten Giorgi Dumbadze , als in der Tvalchrelidze-Straße  den ganzen Tag über Menschen gewaltsam aus ihren Wohnungen  geräumt wurden. Zusammen mit den dort Wohnenden wurden auch Aktivist:innen  festgenommen. Giorgi Dumbadze wurde die Blockierung der Straße vorgeworfen, doch keinerlei Beweise  lagen gegen ihn vor. Richter Zviad Tsekvava  verhängte dennoch völlig unbegründet eine Geldstrafe von 5.000 Lari . Ich legte in den Medien verbreitetes Videomaterial vor, das zeigte, dass Giorgi Dumbadze die Straße nicht blockierte und keine der Handlungen beging, die ihm vom Innenministerium vorgeworfen wurden. Ein weiterer Fall: Giorgi Chkheidze  wurde aus dem Hof des Gerichts verschleppt ; man beschuldigte ihn, einen Polizisten „Sklave“ und einen „falschen Zeugen-Polizisten“ genannt zu haben. Giorgi Chkheidze   bestreitet  das. Wir baten Richter Davit Tetrauli , Chkheidzes Telefon  als Beweis  sicherzustellen. Das Mobiltelefon befand sich beim Innenministerium , und in der Verhandlung erfuhren wir, wo es war. Chkheidze  filmte zum Zeitpunkt der Festnahme  ein Video, und zweifelsfrei wäre zu sehen gewesen, ob er Beleidigungen  gegenüber den Ordnungskräften äußerte, denn so etwas hatte er nicht  gesagt. Der Richter entschied, weder  unserem Antrag stattzugeben noch  den Beweis sicherzustellen. Die Entscheidung wurde auf Grundlage der Aussagen der Polizisten  getroffen, und Chkheidze  wurde ungerecht und unbegründet zu 4.000 Lari  verurteilt. Wir legten Berufung  beim Appellationsgericht ein; der Richter ließ die Entscheidung des Stadtgerichts in Kraft , und jetzt bereiten wir die Beschwerde für Straßburg  vor. Zuteilung der „Regime-Gefangenen“-Fälle an bestimmte Richter Tiflis24:  Wie erfolgt in den Gerichten die Zuteilung der Fälle der „Regime-Gefangenen“ an Richter? Es gibt im Gericht redliche Richter:innen , aber die Fälle der Regime-Gefangenen werden nur einem bestimmten Kreis  zugeteilt. Diese Richter sprechen nicht  auf Grundlage des Gesetzes Recht, sondern fällen Schuldsprüche unter Umgehung  prozessualer Fragen. Als Beispiel ist eine dieser Richterinnen Nino Galustashvili , die – das ist eine Tatsache – die im Verfahren vorhandenen Gegebenheiten ignoriert  und Schuldsprüche  fällt. Es ist offensichtlich, dass die Fälle der Regime-Gefangenen nicht zufällig  auf die Richter verteilt wurden, und das liefert bereits konkrete Informationen  über bestimmte Richter:innen. Diese Richter:innen sollten sehr gut verstehen, dass sie heute nicht  die Urteile über diese Jungen und Frauen verkünden, sondern dass sie das Urteil über ihre eigene Zukunft  fällen. Genau entsprechend ihren Entscheidungen  und – selbstverständlich – entsprechend den im Verfahren vorhandenen Beweisen  wird ihre Bewertung nicht nur historisch , sondern auch in rechtlicher Hinsicht  erfolgen. Wenn der Wandel  eintritt und die Justizreform  beginnt, werden alle diese Fälle erneut  von redlichen Expert:innen  überprüft, die dieses Standardmaß  unbedingt bewerten werden – und alles wird seine Folgen haben .

  • Gewalt vor Kaladzes Wahlkampfstab: Ein weiterer Abgrund der georgischen „Demokratie“

    Ein Abend, der Georgien entlarvte Am 8. September 2025 verwandelte sich die Melikishvili Allee in Tiflis in ein Sinnbild dafür, was aus der georgischen Demokratie geworden ist: ein chaotischer Schauplatz, an dem Gewalt, Einschüchterung und staatliche Untätigkeit regieren. Vor dem Wahlkampfhauptquartier von Kakha Kaladze, dem Bürgermeister von Tiflis und Aushängeschild der Regierungspartei „Georgian Dream“, wurden Demonstrant:innen und Journalist:innen tätlich angegriffen. Mehrere Protestierende wurden verletzt, Reporter:innen geschlagen und ihrer Telefone beraubt. Währenddessen stand die Polizei daneben, wie man es von einem Sicherheitsapparat erwartet, der längst vergessen hat, wessen Sicherheit er eigentlich zu gewährleisten hat. Gewalt gegen Journalist:innen und Demonstrant:innen Besonders schockierend ist der Angriff auf die Journalistin Keto Mikadze vom Portal Publika . Sie wurde bei der Ausübung ihrer Arbeit attackiert und ihres Mobiltelefons beraubt. Bis heute wurde das Gerät nicht zurückgegeben ein Detail, das wie eine Randnotiz wirkt, in Wahrheit aber zeigt, wie tief die Missachtung der Pressefreiheit reicht. Auch andere Reporter:innen wurden Opfer von Gewalt: Telefone wurden entrissen, Beschimpfungen und Drohungen hallten über die Straße, und Demonstrant:innen mussten blutend abtransportiert werden. Frauen wurden angespuckt, einzelne Personen von Gruppen zusammengeschlagen. Unter den Angreifern stach besonders ein Mann hervor: Giorgi Shukvani, von den Protestierenden längst als einer der Haupttitushki bekannt. Dass solche Figuren unbehelligt operieren dürfen, ist kein Zufall, sondern System. Die Polizei als Zuschauerin im eigenen Theater Die Polizei war vor Ort. Doch statt einzuschreiten, verharrten die Einsatzkräfte in einer schockierenden Passivität. Sie standen, sie beobachteten, sie wirkten beinahe so, als sei die Gewalt Teil eines Drehbuchs, in dem ihre Rolle klar definiert ist: nicht die der Ordnungshüter, sondern die der Komparsen. Man muss sich das vor Augen führen: Bürger:innen werden vor laufender Kamera verprügelt, Journalist:innen beraubt, Frauen bespuckt und der Staat, der sich gern als Garant von Stabilität darstellt, bleibt reglos. Dieselbe Polizei, die keine Sekunde zögert, wenn es darum geht, friedliche Aktivist:innen wie Mzia Amaglobeli mit fadenscheinigen Vorwürfen ins Gefängnis zu bringen, übt sich plötzlich in Zurückhaltung, sobald es um Schlägertrupps im Umfeld der Regierungspartei geht. Das ist kein Versagen. Das ist kalkulierte Untätigkeit. Shalva Papuashvili: Schuld sind immer die anderen Anstatt die Gewalt zu verurteilen, entschied sich Parlamentspräsident Shalva Papuashvili für ein Schauspiel der Absurdität. Er machte den deutschen Botschafter verantwortlich, sprach von einer „Unterstützung extremistischer Gruppen“ und fabulierte von einem „groben Eingriff in die Wahlen“ im Sinne der Wiener Konvention. Man muss sich diese Verdrehung vorstellen: Die Demonstrant:innen, die gestern zusammengeschlagen wurden, sind in Papuashvilis Erzählung die Aggressoren. Die Titushki, die auf Journalist:innen losgingen, werden als Opfer ausländischer Manipulation stilisiert. Und die eigentliche Frage warum die Regierungspartei Gewalt als politisches Werkzeug duldet wird geschickt verdrängt. Es ist ein altbekanntes Muster: Schuld sind immer die anderen. Mal die Opposition, mal NGOs, mal westliche Diplomaten. Nie die eigene Partei, nie die eigenen Strukturen, nie der eigene Wille zur Macht um jeden Preis. Kakha Kaladze: Zwischen „Lover“-Tattoo und „Hater“-Realität Kaladze selbst, der Mann mit dem angeblich romantischen „Lover“ Tattoo, zeigt sich in solchen Momenten als das, was er politisch längst ist: ein „Hater“. Einer, der keine Hemmungen hat, Gewalt in Kauf zu nehmen, solange sie seinem politischen Überleben dient. Statt Verantwortung zu übernehmen, versteckt er sich hinter Floskeln von Respekt und Ordnung. Doch die Realität vor seinem Wahlkampfhauptquartier spricht eine andere Sprache. Wenn die eigene Anhängerschaft spuckt, schlägt und raubt, während die Polizei untätig zusieht, dann trägt der Hausherr mindestens moralische Verantwortung. Wer schweigt, stimmt zu – und Kaladze schweigt lauter als jede Parole. Verletzte Demonstrant:innen und die Stille danach Mehrere Demonstrant:innen mussten medizinisch versorgt werden. Doch die Regierung tat alles, um das Thema herunterzuspielen. Keine klare Verurteilung, keine Ankündigung von Ermittlungen, keine Festnahmen. Nur die gewohnte Sprachlosigkeit, die längst zum Markenzeichen des „Georgian Dream“ geworden ist. Es ist dieselbe Sprachlosigkeit, die wir kennen, wenn es um politische Gefangene geht. Dieselbe Sprachlosigkeit, wenn Medien unter Druck geraten. Dieselbe Sprachlosigkeit, die letztlich lauter ist als jeder Polizeiknüppel – weil sie zeigt, dass Gewalt nicht Ausnahme, sondern Regel ist. Demokratie oder Farce? Die Ereignisse vom 8. September sind mehr als nur eine Straßenschlägerei. Sie sind ein Spiegelbild einer Demokratie, die nur noch den Namen trägt, aber längst in autoritären Mustern gefangen ist. Gewalt gegen Protestierende, Einschüchterung von Journalist:innen, die Instrumentalisierung der Polizei und die Absurditäten eines Parlamentspräsidenten, der Botschafter beschuldigt all das zeigt, dass die georgische Regierung ihr eigenes Volk längst als Gegner betrachtet. Der Ruf nach internationalen Konsequenzen Die Frage, die sich stellt: Wann reagiert die internationale Gemeinschaft? Wie viele Übergriffe müssen noch dokumentiert, wie viele Demonstrant:innen noch verletzt, wie viele Journalist:innen noch angegriffen werden, bevor klar wird, dass Georgien nicht auf dem Weg nach Europa ist, sondern im freien Fall Richtung Moskau? Die georgische Zivilgesellschaft ruft nach Sanktionen, nach politischem Druck, nach einer klaren Haltung. Denn solange die Regierung spürt, dass sie ungestraft Gewalt einsetzen darf, wird sie es auch tun. Ein Wahlkampf der Gewalt Der 8. September wird in Erinnerung bleiben als ein Tag, an dem sich erneut zeigte, dass in Georgien nicht die Bürger:innen im Mittelpunkt stehen, sondern die Machtsicherung einer Partei, die längst jedes Maß verloren hat. Kaladze, Papuashvili und die Polizei haben gestern eindrücklich bewiesen, dass sie nicht Hüter, sondern Totengräber der Demokratie sind. Die Demonstrant:innen wurden verletzt, Journalist:innen attackiert, und die Täter gehen unbehelligt davon. Es ist ein Lehrstück darüber, wie man Demokratie demontiert: Schritt für Schritt, Schlag für Schlag, Schweigen für Schweigen.

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