Wie Georgien Schweden für Propaganda missbraucht – jetzt mit offizieller Antwort aus Stockholm
- Goga Machavariani
- vor 4 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Die neue Lieblingslüge der Regierung
Es war ein vertrautes Muster: Der georgische Staatssender TV Imedi, treu ergeben der Regierungslinie, veröffentlichte einen Beitrag, der eine angebliche Enthüllung zum Inhalt hatte: Schweden, das europäische Vorbild, so hieß es, habe nun ebenfalls ein Gesetz gegen ausländische Einflussnahme beschlossen – ähnlich dem in Georgien umstrittenen FARA-Gesetz. Die Botschaft war ebenso simpel wie manipulativ: Wenn sogar die moralisch überlegenen Europäer unsere Methoden übernehmen, warum regen sich dann alle über uns auf?
Noch absurder wurde es, als der Parlamentspräsident Shalva Papuashvili persönlich nachlegte. Auf Social Media fragte er rhetorisch:
„Ist das nicht alles beschämend? Aber keiner schämt sich…“
Eine typische Strategie des georgischen Regierungsdiskurses: Den moralischen Spieß umdrehen, sich zum Opfer westlicher „Doppelmoral“ stilisieren – und gleichzeitig die eigenen Repressionsmechanismen salonfähig machen.

Faktencheck: Was Schweden wirklich plant
Um dieser Propagandabotschaft auf den Grund zu gehen, hat Tiflis24 direkt bei der schwedischen Regierung nachgefragt. Die Antwort kam prompt vom Justizministerium Schwedens – sachlich, unmissverständlich und entlarvend.
Offizielle Antwort des schwedischen Justizministeriums (übersetzt aus dem Englischen):
„Die schwedische Regierung hat einen Sonderermittlerin beauftragt, zu prüfen, ob ausländische Finanzierungen von Aktivitäten in Schweden, die mit Extremismus und anderen antidemokratischen Zielsetzungen in Verbindung stehen, verboten werden sollten. Ziel ist es, Aktivitäten entgegenzuwirken, die die Demokratie Schwedens bedrohen – darunter die Verherrlichung von Terrorakten, gewalttätigem Extremismus oder die Förderung gewaltsamer Handlungen und Sabotage. Der/die Ermittler*in hat den Auftrag, sicherzustellen, dass die Vorschläge mit den Anforderungen der schwedischen Verfassung, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und anderen menschenrechtlichen Verpflichtungen in Einklang stehen. Wie verschiedene Begriffe definiert werden und welche Schutzmechanismen für die Zivilgesellschaft vorgesehen sind, sind Fragen, die die Untersuchung analysieren und bewerten muss. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Ermittlerinnen während ihrer Arbeit Treffen mit Expertinnen und Organisationen durchführen, um Informationen und Perspektiven auszutauschen, die die Ausarbeitung der Vorschläge beeinflussen können. Nachdem die Regierung die Vorschläge der Ermittlerinnen erhalten hat, wird ein Konsultationsverfahren stattfinden, an dem unterschiedliche Vertreterinnen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsexpert*innen beteiligt sind. Erst danach entscheidet die Regierung, ob sie einem der Gesetzesvorschläge folgen wird. Der schwedische Weg unterscheidet sich grundlegend vom georgischen Gesetz zur Registrierung ausländischer Agenten, das jegliche ausländische Finanzierung unabhängig von ihrem Zweck ins Visier nimmt und in einem überstürzten Verfahren ohne ausreichende öffentliche Konsultation verabschiedet wurde. Die Venedig-Kommission hat festgestellt, dass die im georgischen Gesetz vorgesehenen Einschränkungen nicht den Anforderungen an Rechtsstaatlichkeit, Legitimität und Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft entsprechen. Sie hat den georgischen Behörden nachdrücklich empfohlen, das Gesetz zurückzunehmen. Die Unterstützung einer pluralistischen und friedlichen Zivilgesellschaft ist ein zentraler Bestandteil der langfristigen Reformkooperation Schwedens in Georgien. Ziel ist es, zur demokratischen Entwicklung und zur Achtung der Menschenrechte beizutragen. - Justizministerium Schweden“
Was bedeutet das im Klartext?
Die schwedische Regierung prüft ein klar begrenztes Gesetz, das sich ausschließlich gegen gefährliche Extremismusfinanzierung richtet – nicht gegen gemeinnützige oder politische Organisationen an sich. Es geht nicht um NGO-Kontrolle, sondern um Terrorabwehr. Und selbst dieser eng begrenzte Schritt erfolgt nach einem umfassenden rechtstaatlichen Verfahren:
mit Verfassungsprüfung
mit EMRK-Abgleich
mit Beteiligung der Zivilgesellschaft
mit parlamentarischer und öffentlicher Debatte
Im Gegensatz dazu wurde das georgische FARA-Gesetz…
ohne ernsthafte Konsultation beschlossen
von der Regierung durchgepeitscht
mit vagen Begriffen wie „ausländischer Einfluss“ gespickt
mit massiver Strafandrohung und Registrierungszwang versehen
und mit voller Absicht gegen zivilgesellschaftliche Akteure gerichtet
Das georgische FARA: Kontrolle statt Schutz
Seit April 2025 ist das sogenannte „Transparenzgesetz über ausländischen Einfluss“ in Kraft – von der Regierung freundlich „FARA“ genannt, in Anlehnung an das US-amerikanische Foreign Agents Registration Act. Doch die Parallele hinkt nicht nur – sie ist eine gezielte Irreführung.
Denn während das US-FARA nur auf direkte Lobbyarbeit im Auftrag fremder Staaten abzielt, gilt in Georgien bereits ein einfacher Zuschuss einer europäischen Stiftung als Grund für eine öffentliche Stigmatisierung als „Agent“. NGOs, Medienhäuser, Bildungseinrichtungen, Menschenrechtsorganisationen – alle, die mit ausländischen Partnern arbeiten, sind betroffen.
Einige zentrale Punkte des georgischen Gesetzes:
Wer mehr als 20 % seiner Finanzierung aus dem Ausland erhält, muss sich registrieren
Der Begriff „politische Tätigkeit“ ist extrem weit gefasst
Verstöße können mit Bußgeldern bis zu 25.000 Lari geahndet werden
Die Kontrolle erfolgt durch das sogenannte „Anti-Korruptionsbüro“
Hinweise von Privatpersonen („Denunziationen“) werden ausdrücklich ermutigt
Mit „Transparenz“ hat das alles wenig zu tun. Es geht um Kontrolle. Um Einschüchterung. Und um ein Framing, das EU-finanzierte Arbeit als Gefahr darstellt.
Die Reaktion Europas: Klar und einstimmig
Die Venedig-Kommission urteilte bereits im März 2024 eindeutig:
„Das georgische Gesetz verletzt sowohl die Prinzipien der Rechtssicherheit als auch die Grundrechte auf Vereinigungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Datenschutz. Die vorgeschlagene Regelung stellt keine verhältnismäßige Antwort auf eine legitime Sorge dar.“
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte machte in seinem Urteil „Ecodefense v. Russia“ klar, dass Pauschalgesetze zur Agentenkennzeichnung gegen die EMRK verstoßen. Die Übertragung dieser Mechanismen nach Georgien bedeutet nichts anderes als eine russifizierte Neuauflage repressiver NGO-Gesetze. Die EU, das Europäische Parlament, zahlreiche Mitgliedstaaten sowie internationale Organisationen äußerten sich wiederholt kritisch. Die schwedische Botschaft in Tiflis erklärte unmissverständlich:
„Das schwedische Prüfverfahren kann nicht mit dem georgischen Gesetz gleichgesetzt werden. Der Unterschied ist grundlegend.“
Warum die Propaganda trotzdem funktioniert
Die georgische Regierung weiß, wie man Zweifel sät. Mit gezielten Verdrehungen, scheinbaren Analogien und medialer Verstärkung wird ein Narrativ geschaffen: „Alle machen es so. Warum also wir nicht?“
Diese Argumentation…
delegitimiert internationale Kritik
diffamiert ausländische Partner
stützt das Bild eines feindseligen Westens
und rechtfertigt innenpolitische Repressionen
In der Öffentlichkeit entfaltet diese Strategie Wirkung. Nicht weil sie glaubwürdig wäre – sondern weil sie emotional aufgeladen ist und sich an die ohnehin zunehmende Polarisierung der Gesellschaft richtet.
Georgien zwischen Verfassungsauftrag und autoritärem Rückschritt
Der Artikel 78 der georgischen Verfassung verpflichtet den Staat klar:
„Die Organe der Staatsgewalt sind verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um die vollständige Integration Georgiens in die Europäische Union zu gewährleisten.“
Das FARA-Gesetz steht im Widerspruch zu diesem Verfassungsauftrag. Es verstößt gegen die Standards der EU, gegen die Prinzipien der EMRK, gegen rechtsstaatliche Mindeststandards – und damit gegen die strategische Richtung des Landes selbst.
Der schwedische Spiegel
Was die georgische Regierung mit ihrer Schweden-Propaganda betreibt, ist kein Missverständnis. Es ist ein gezielter Versuch, internationale Standards umzudeuten – und die eigene autoritäre Agenda zu normalisieren.
Doch Schweden hält Georgien unbeabsichtigt den Spiegel vor: Dort wird Rechtstaatlichkeit gelebt, Beteiligung ermöglicht, Menschenrechte geschützt. In Tiflis hingegen wird Kontrolle institutionalisiert, Kritik kriminalisiert und die Demokratie zurückgebaut.
Ein Kommentator brachte es kürzlich auf den Punkt:
„Georgien wird nicht durch ausländische Gelder destabilisiert. Es wird durch den Missbrauch staatlicher Macht destabilisiert.“
Hat Schweden ein Gesetz wie Georgiens FARA verabschiedet?Nein. Schweden prüft lediglich gezielt, ob extremistische Finanzierungen künftig verboten werden sollen – nach klaren rechtlichen Standards und unter Einhaltung der EMRK.
Warum behaupten georgische Regierungsvertreter das Gegenteil?Um internationale Kritik zu delegitimieren. Es handelt sich um bewusste staatliche Desinformation.
Was unterscheidet die schwedische Initiative vom georgischen Gesetz?Die schwedische Initiative richtet sich ausschließlich gegen extremistische Aktivitäten und wird unter breiter Beteiligung diskutiert. Georgien zielt auf pauschale Kontrolle der gesamten Zivilgesellschaft ab.
Was sagt Europa?Die Venedig-Kommission und der EGMR lehnen das georgische Gesetz klar ab. Die EU sieht darin ein Hindernis für die Integration.
Ist das georgische Gesetz verfassungskonform?Nein – es widerspricht Artikel 78 der Verfassung, der die EU-Integration als verpflichtendes Ziel definiert.
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