Papuashvili nennt Botschafter Fischer „Regisseur politischer Einschüchterung“
- Redaktion| Tiflis24
- 20. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Mai
In einem Land, in dem Gerichte zunehmend zu Bühnen politischer Machtinszenierung werden, scheint der größte Skandal nicht mehr die fehlende Unabhängigkeit der Justiz zu sein – sondern ein Botschafter, der zuschaut. Shalva Papuashvili, Parlamentspräsident von Georgien, hat es wieder einmal geschafft, die Realität auf den Kopf zu stellen: Der deutsche Botschafter Peter Fischer wird zum Problem erklärt – nicht etwa jene Richter, die Urteile im Sinne der Regierung fällen.
Ausgangspunkt der neuerlichen Polemik war Fischers Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung gegen Mzia Amaghlobeli, Journalistin und Gründerin der regierungskritischen Portale Batumelebi und Netgazeti. Gemeinsam mit seinen schwedischen und estnischen Kolleg:innen sowie der österreichischen Europaabgeordneten Lena Schilling verfolgte Fischer den Prozess – ein Akt diplomatischer Beobachtung, wie er in demokratischen Staaten üblich ist.
Nicht so in Georgien.
„Künstlerische Methoden“ und große Brüder
Papuashvili nahm Fischers bloße Anwesenheit zum Anlass für eine wüste Anklage auf Facebook:
„Auffällig ist, dass der deutsche Botschafter in letzter Zeit künstlerische Methoden nutzt, um bestimmte Botschaften zu übermitteln und uns über den gewählten Hintergrund mitteilt, was er eigentlich sagen will.“
Was meint er damit? Fischer wurde gefilmt, wie er ein Interview vor einem Transparent mit der Aufschrift „Freiheit für Mzia“ gab. Für Papuashvili ein klarer Fall von politischer Einmischung:
„Dies war keine Beobachtung des Prozesses, sondern eine gezielte Demonstration gegenüber der Richterin – um ihr zu zeigen, dass ‚der große Bruder‘ zuschaut und eine bestimmte Entscheidung erwartet.“
Und weiter:
„Dass ein Botschafter, der die Landessprache nicht versteht und keine Übersetzung bekommt, einen Prozess beobachtet, zeigt, dass es ihm nicht um die Verfahrensdetails geht, sondern um psychologischen Druck.“
Eine groteske Verdrehung diplomatischer Praxis. Nicht etwa die Regierung, die Richter:innen nach Loyalität auswählt, übt Druck aus – sondern westliche Beobachter, die Präsenz zeigen.
Mzia Amaghlobeli: Journalistin auf der Anklagebank
Der eigentliche Skandal liegt jedoch nicht bei Fischer, sondern im Gerichtssaal von Batumi. Dort steht Mzia Amaghlobeli vor Gericht – angeblich, weil sie dem Polizeichef eine Ohrfeige verpasst haben soll. Ein Vorfall, für den sie laut Anklage bis zu sieben Jahre Haft erhalten könnte. Die Beweislage? Nicht existent. Der medizinische Sachverständige erklärte klar:
„Es gibt keine objektiven Anzeichen einer Verletzung beim angeblich Geschädigten.“
Keine Blutergüsse, keine Kratzer – nur subjektiver Schmerz. Auf Nachfragen der Verteidigung, ob es sein könne, dass der Polizeichef simuliere, antwortete der Gutachter ausweichend. Rötungen seien „kein objektives Anzeichen für eine Verletzung“ und somit „nicht im Bereich der medizinischen Bewertungskompetenz“.
Gleichzeitig wurden bei Amaghlobeli selbst Blutergüsse an der Schulter festgestellt. Der Polizeiangestellte hingegen war äußerlich unverletzt.
Lena Schilling: „Politische Verfolgung, kein Rechtsstaat“
Die österreichische Europaabgeordnete Lena Schilling, eigens angereist, zeigte sich nach der Verhandlung entsetzt:
„Was ich heute im Gerichtssaal gesehen habe, war keine Rechtsstaatlichkeit. Mzia Amaghlobeli wird nicht angeklagt, weil sie das Gesetz gebrochen hat – sondern weil sie eine Stimme der gesamten Protestbewegung ist.“
Für Schilling ist der Fall eine Bewährungsprobe für Georgiens europäischen Weg. Bereits im Februar hatte das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der die sofortige Freilassung Amaghlobelis gefordert und Sanktionen gegen mit „Georgian Dream“ verbundene Eliten verlangt wurden.
Die „Sklaven“-Kontroverse: Analyse oder Beleidigung?
Besonders empört zeigte sich Papuashvili über Fischers Auftritt vor einem Banner mit der Aufschrift „მონა“ – Sklave. Für ihn ist dies eine „Verleugnung der menschlichen Würde“ und ein Beweis für die Verrohung der Sprache oppositioneller Gruppen:
„Wenn der Vertreter der Regierung als ‚Sklave‘ bezeichnet wird, wird er seiner Menschenwürde beraubt und dadurch entmenschlicht. So wird Hass legitimiert.“
Doch hier irrt Papuashvili fundamental – oder tut zumindest so. Die Bezeichnung „Sklaven der Justiz“ ist keine persönliche Herabwürdigung, sondern ein politischer Befund. Wenn Richter:innen Urteile im Sinne der Regierung sprechen, wenn der sogenannte „Richterclan“ – bestehend aus Figuren wie Murusidze, Chinchaladze und Shengelia – das Gerichtswesen kontrolliert, dann beschreibt „Sklave“ nicht eine Identität, sondern ein strukturelles Verhältnis: Machtlosigkeit gegenüber dem System, Unterordnung unter Parteiinteressen.
Laut Transparency International Georgia glauben 53 % der Bevölkerung, dass die Justiz politisch kontrolliert ist. 94 % derjenigen, die an die Existenz eines „Richterclans“ glauben, fordern, dass diese Gruppe entfernt werden muss. Und die USA? Sie haben längst Sanktionen gegen georgische Richter verhängt. Wer hier also von Menschenwürde redet, sollte zuerst bei denjenigen anfangen, deren Rechte durch politisierte Urteile verletzt werden.
Vetting: Das Wort, das Papuashvili fürchtet
In Moldau und der Ukraine wurde das sogenannte Vetting eingeführt – eine Integritätsprüfung für Richter:innen, bei der Korruption, Vermögen und Loyalitäten überprüft werden. Die EU-Kommission fordert ein solches Verfahren auch in Georgien. Die georgische Regierung blockt. Warum wohl?
Maia Bakradze, ehemalige Richterin am Berufungsgericht Tbilisi, erklärte kürzlich, dass Vetting derzeit die „einzige realistische Lösung“ sei, um die Justiz von innen zu reformieren. Doch Vetting braucht politischen Willen – und der fehlt. Denn eine abhängige Justiz sichert Machterhalt. Eine unabhängige Justiz hingegen könnte eines Tages auch über Shalva Papuashvili urteilen.
Fischer ist nicht das Problem – er ist das Symptom
Nicht Peter Fischer beschädigt die georgische Justiz – sondern ein System, das jede Form von Kontrolle als Einmischung diffamiert. Dass Papuashvili nun zur moralischen Entrüstung ansetzt, zeigt nur eines: Wie sehr ihn die bloße Anwesenheit eines Zeugen stört.
Der wahre Angriff auf die Würde findet im Inneren des Systems statt – dort, wo Urteile gefällt werden, nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach politischer Opportunität.
Fischer hat kein Urteil gesprochen. Er hat nur zugehört. Und das ist offenbar bereits zu viel für jene, die sich an Schweigen gewöhnt haben.
Photo credit: Radiotavisupleba
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