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Lavly Perling im Gespräch: Wie Moldau mit internationalem Vetting die Justiz neu aufstellt

Von der Redaktion Tiflis24

Georgien streitet, Moldau reformiert. Während in Tiflis das Schlagwort "Vetting" als angebliche Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit verteufelt wird, zeigt Moldau, wie es geht: konkret, gesetzlich legitimiert und mit internationaler Beteiligung. Und vor allem mit greifbaren Ergebnissen.

Tiflis24 hat mit Lavly Perling gesprochen – einst Generalstaatsanwältin Estlands, heute internationales Mitglied der moldauischen Vetting-Kommission und Expertin für Justizreformen in der Ukraine. Ihre Antworten zeigen: Wer sauber ist, hat nichts zu befürchten. Wer Angst hat, sollte vielleicht über seine Finanzen nachdenken. Das vollständige Interview folgt im Wortlaut.

Interview – Auszüge aus dem Gespräch mit Lavly Perling

Tiflis24: Frau Perling, Sie sind Mitglied der zweiten Vetting-Kommission in Moldau. Was motiviert Sie?

Lavly Perling: Ich komme aus Estland und habe die meiste Zeit meines Berufslebens als Staatsanwältin gearbeitet – von 1994 bis 2019. Danach ging ich in die Ukraine, wo ich ebenfalls am Vetting-Prozess beteiligt war. Zudem bin ich Teil der Justizreform-Initiativen des Europarats. Ich unterstütze Länder, die ernsthaft den Rechtsstaat stärken wollen. Jedes Land braucht sein eigenes Modell. Moldau ist ganz anders als Estland oder die Ukraine – andere Bedingungen, andere Systeme. Ich kann keine absolute Wahrheit sagen, aber ich teile meine Erfahrungen gern.

Tiflis24: Wie werden internationale Mitglieder der Kommission ausgewählt?

Perling: Das ist eine gute Frage. Ich weiß nicht genau, wie es bei anderen lief – bei mir kam die Einladung von einem EU-Vertreter. Internationale Expert:innen sind völlig unabhängig. Wir vertreten keine politischen Interessen und sind nicht mit unseren Herkunftsländern verbunden. Wir wurden einfach gefragt, ob wir bereit wären – und ich habe zugesagt. Nach meinem Wissen besteht die Kommission aus drei internationalen und drei lokalen Mitgliedern. Die moldauischen Behörden treffen die endgültige Entscheidung, meist mit Input der internationalen Partner. Es zählt Erfahrung mit Justizreform und Integrität.

Tiflis24: Wie wird innerhalb der Kommission entschieden?

Perling: Die lokalen Mitglieder wurden im moldauischen Parlament interviewt. In der Ukraine waren alle lokale Mitglieder Richter:innen, in Moldau ist es diverser: eine Person aus der Verteidigung, jemand aus dem Vollzug, eine aus einer Integritätsinstitution. Das ist wichtig. Für wirksames Vetting braucht man drei Dinge: politischen Willen, einen klaren gesetzlichen Rahmen und motivierte Fachleute. Ohne politischen Willen ist alles andere bedeutungslos.

Tiflis24: Was passiert nach Ablauf Ihres Mandats?

Perling: Unser Mandat endet im Dezember dieses Jahres. Danach übernimmt der Oberste Magistratsrat (SCM), vergleichbar mit dem High Council of Justice in der Ukraine. Diese Institutionen müssen bereit sein, unsere Arbeit fortzusetzen. Es wäre ein Fehler zu glauben, Vetting allein könne alles lösen. Wir sind nur der Anfang. Entscheidend ist, wie das System unsere Maßstäbe übernimmt und fortführt.

Tiflis24: Gab es mediale oder politische Angriffe auf Ihre Arbeit?

Perling: Ich kann nicht viel zur moldauischen Medienlandschaft sagen, aber ja – solche Angriffe gibt es überall. In der Ukraine war es genauso. Es hieß, internationale Experten seien verfassungswidrig. Aber unser Mandat ist klar: Es kommt aus dem moldauischen Gesetz, verabschiedet vom Parlament. Unsere Berufungen erfolgen durch staatliche Institutionen. Vetting ist ein Notfallinstrument. In einem sauberen System wäre es überflüssig. Aber in einem von Korruption durchdrungenen System ist es unerlässlich.

Tiflis24: Gibt es Zusammenarbeit mit Antikorruptionsbehörden?

Perling: Nicht direkt. Wir fordern Informationen von etwa 50 öffentlichen und privaten Stellen an. Wenn wir Daten bekommen, werten wir sie aus. Wenn nicht, können wir sie nicht nutzen. Es ist ein sehr demokratischer Prozess. Wir prüfen ethische und finanzielle Integrität. Dazu gehört: Einkommen, Ausgaben – ist das gerechtfertigt? Wenn wir Hinweise auf Straftaten erhalten, geben wir sie weiter. Wir selbst ermitteln aber nicht.

Tiflis24: In Georgien sagen Richter oft: „Das war ein Geschenk.“ Wie reagieren Sie auf solche Erklärungen?

Perling: Diese Ausrede ist klassisch – und weit verbreitet. Aber wir bewerten keine Gefühle, sondern Fakten. Ist das Geschenk plausibel? Wenn nicht, melden wir berechtigte Zweifel. Alles, was wir tun, ist evidenzbasiert. In Moldau und der Ukraine ist Transparenz entscheidend. Öffentliche Anhörungen gehören dazu. Ich habe viele sehr „kreative“ Geschichten gehört. Aber am Ende zählen Mathematik und Logik.

Tiflis24: Wie steht es mit politischem Einfluss?

Perling: Die Kommission trifft keine endgültigen Entscheidungen. Wir legen Berichte vor – nationale Stellen treffen die Entscheidungen. Unsere Empfehlungen können angefochten werden. Ich sage mit voller Überzeugung: Es gibt keinen politischen Druck. Alles basiert auf Recht. Natürlich gibt es skurrile Erklärungen – aber genau deshalb existiert Vetting. In der Ukraine gab es z. B. öffentliche Anhörungen – manche Kandidaten erklärten ihre Finanzen auf erstaunliche Weise…

Tiflis24: Wie messen Sie Erfolg?

Perling: Wir haben 89 Berichte abgeschlossen – das ist ein Erfolg, wenn man bedenkt, dass wir vor zwei Jahren ohne Personal, Verfahren oder Büro gestartet sind. Aber der echte Erfolg zeigt sich später: Wird das System weitermachen? Werden unsere Standards verinnerlicht? Drei Elemente entscheiden: politischer Wille, rechtliche Instrumente, engagierte Menschen. Wenn das bleibt, bleibt auch die Reform. Wenn nicht – war es nur eine Episode.

Fragen und Antworten zur Vetting-Kommission Moldaus

  1. Wie ist die Vetting-Kommission in Moldau strukturiert, wer hat sie ernannt und wie wird ihre Unabhängigkeit gesichert?

Die Judicial Vetting Commission wurde als einmalige, externe Prüfstelle für die ethische und finanzielle Integrität von Richter:innen eingerichtet, insbesondere am Obersten Gerichtshof. Sie besteht aus sechs Mitgliedern: drei Moldauer:innen, nominiert von Parlamentsfraktionen, sowie drei internationalen Expert:innen, vorgeschlagen von Entwicklungspartnern. Alle wurden mit 3/5-Parlamentsmehrheit gewählt. Die Kommission agiert unabhängig mit eigenem, unpolitischem Sekretariat. Sie hat umfassende Untersuchungsbefugnisse. Ihre Entscheidungen beruhen auf überprüften Fakten.

  1. Wie gewann Vetting in Moldau an politischer Dynamik?

Die Gesellschaft hatte große Erwartungen an ein funktionierendes Justizsystem. Die Politik erkannte: Ohne Vertrauen in die Justiz kommen weder Investitionen noch Wohlstand. Also wurde Vetting als Instrument eingeführt.

  1. Welche Kriterien gelten bei der Prüfung von Richter:innen?

Es geht um finanzielle und ethische Integrität – nicht juristische Kompetenz. Bewertet werden Herkunft des Vermögens, Steuerverhalten, Interessenkonflikte, ethisches Verhalten.

  1. Wie wird die Richtigkeit der Angaben überprüft?

Durch Daten von über 50 öffentlichen und privaten Stellen. Es findet ein mehrstufiger Abgleich statt, unterstützt von Expert:innen und internationalen Partnern.

  1. Was passiert bei gravierenden Unstimmigkeiten?

Die Kommission empfiehlt ein „bestanden“ oder „nicht bestanden“ an den Obersten Magistratsrat (SCM). Dieser trifft öffentlich die endgültige Entscheidung.

  1. Gab es Widerstand gegen den Prozess?

Ja – begegnet wurde dem mit maximaler Transparenz, öffentlichen Anhörungen und internationalem Rückhalt.

  1. Gab es juristische Hürden?

17 Entscheidungen wurden vor Gericht angefochten – 14 davon wurden bestätigt. Die restlichen sind anhängig.

  1. Wie wird politische Einflussnahme verhindert?

Durch klare Strukturen, internationale Beteiligung, gesetzlich definierte Kriterien und ein unabhängiges Sekretariat.

  1. Was wurde bisher erreicht?

    - Neubesetzung zentraler Justizorgane

    - Rücktritt fast aller Richter:innen des Obersten Gerichts

    - Prüfung der Berufungsgerichte fast abgeschlossen

    - Fokus auf Leitungspositionen erstinstanzlicher Gerichte

  2. Gab es Auswirkungen auf das Vertrauen der Bevölkerung?

Ja – laut Perling ist der Effekt bereits spürbar. Die langfristige Wirkung werde sich jedoch erst noch zeigen.

  1. Gefährdet Vetting die Unabhängigkeit der Justiz?

Nein. Es schützt sie – denn nur integre Richter:innen genießen Vertrauen. Vetting schafft Transparenz und Standards.

  1. Ist das Modell auf Georgien übertragbar?

Ja – aber nur unter klaren Voraussetzungen: politischer Wille, transparente Verfahren, internationale Beteiligung.

  1. Was raten Sie georgischen Reformer:innen?

Gute Vorbereitung, maßgeschneiderte Gesetze, klare Kommunikation – und vor allem: glaubwürdige und mutige Personen.

  1. Welche Fehler sollten andere Länder vermeiden?

Unklare Kommunikation und ungeeignete Personen in Schlüsselpositionen. Erwartungen müssen realistisch vermittelt werden.

  1. Welche Rolle spielt internationale Unterstützung?

Eine zentrale: Finanzierung, Legitimation und Schutz vor politischer Einflussnahme. Ohne internationale Partner wäre der Prozess nicht möglich.

  1. Was ist Ihre Hoffnung für Moldau?

Dass in zehn Jahren niemand mehr sagt: „Wir brauchen Vetting“ – sondern: „Unsere Justiz ist glaubwürdig und stark.“


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