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FARA, Registrierungspflicht und die Rückkehr des Denunzianten

Am 31. Mai beginnt eine neue Ära in Georgien – und es ist keine europäische

Das georgische Transparenzgesetz – oder besser gesagt: das sogenannte „FARA-Gesetz“ – tritt am 1. Juni in Kraft. In der georgischen Version heißt das konkret: Wer auch nur einen einzigen Euro aus dem Ausland erhält und sich gleichzeitig gesellschaftlich oder politisch engagiert, hat künftig ein Etikett zu tragen – Agent eines ausländischen Einflusses. Und das ist kein Witz, sondern Gesetz.

Während sich die Regierung medienwirksam auf die amerikanische FARA beruft, übersieht sie absichtlich, dass die US-Version strikte Kriterien kennt, richterlich überprüft wird – und niemals, wirklich niemals, gegen unabhängige Medien, Wissenschaft oder Menschenrechtsorganisationen eingesetzt wird. Ganz im Gegensatz zu dem, was Georgien nun vorhat.

Sprachliche Ironie: FARA heißt auf Georgisch „Schafherde“

Es ist ein Detail, das man nicht ignorieren sollte: „FARA“ bedeutet auf Georgisch nichts anderes als „Schafherde“ (ცხვრების ფარა). Und genau so funktioniert dieses Gesetz auch: Der Staat sieht sich als Hirte – und alle, die sich zivilgesellschaftlich oder journalistisch betätigen, sind seine Schafe. Wer aus der Reihe tanzt, wird gekennzeichnet, kontrolliert oder aus der Herde ausgeschlossen.

Es ist eine nahezu absurde Doppeldeutigkeit, die sich wie von selbst in die politische Realität fügt. Der Staat ruft mit dem Gesetz „FARA“ nicht etwa zur Aufklärung auf, sondern zur Zählung der Herde. Und wie jeder Hirte weiß: Schafe dürfen nicht zu viel denken – sie sollen folgen. Wenn nötig, mit Stock und Hund.


Georgien 2025
Georgien 2025

Der neue Meldeweg: Willkommen bei FARA eFile

Das georgische Anti-Korruptionsbüro hat den neuen digitalen Meldeweg „FARA eFile“ bereits online gestellt (faraefile.acb.gov.ge). Dort kann man sich nun registrieren – oder andere melden. Denn auch dazu ruft das Büro auf: Bürgerinnen und Bürger sollen Verstöße melden, wenn sie glauben, jemand sei eigentlich registrierungspflichtig, tut es aber nicht. Hierzu wurde eigens eine Denunziations-Hotline eingerichtet:fara@acb.gov.ge – Telefon: 0 (32) 219 33 20.

Nein, das ist kein schlechter Scherz aus einem Roman von George Orwell – das ist georgische Innenpolitik im Jahr 2025.

Ein Rückgriff auf bewährte Traditionen: Das Spitzelsystem der DDR lässt grüßen

Es ist unmöglich, dieses Gesetz und seine Ausführung zu betrachten, ohne an die Methoden der DDR zu denken. Die sogenannte „inoffizielle Mitarbeit“ (IM) war dort zentraler Bestandteil der Stasi-Strategie. Bürger wurden gezielt dazu ermutigt, andere zu bespitzeln, zu melden, zu denunzieren – oft anonym, meist ohne Beweis.

Auch im heutigen Georgien sieht die Mechanik ähnlich aus: Ein zentrales Register, staatlich verwaltet, mit umfassender Dokumentationspflicht, kombiniert mit öffentlichem Druck und moralischer Verdächtigung. Wer nicht freiwillig „Agent“ wird, riskiert Ermittlungen, Bußgelder, vielleicht sogar Gefängnis. Wer sich registriert, verpflichtet sich, regelmäßig Berichte vorzulegen, sensible Informationen preiszugeben und sämtliche Kommunikation mit dem Staat innerhalb von 48 Stunden zu melden. Willkommen in der neuen Bürokratie der Verdächtigen.

Drei Optionen – und alle führen in den Abgrund

A) Registrierung als „Agent“

Die scheinbar unkomplizierte Variante. Man registriert sich, um Repressionen zu vermeiden – und begibt sich damit unter ein kafkaeskes Kontrollregime. Man verpflichtet sich zu:

  • Halbjährlicher Offenlegung sämtlicher Unterlagen zur Finanzierung, Struktur und Tätigkeit,

  • sofortiger Meldung jeder Kommunikation mit Behörden oder Politik,

  • öffentlicher Selbstbezeichnung als „ausländischer Agent“ – auch auf Facebook oder per E-Mail,

  • und natürlich: der fortlaufenden Rechtfertigung seiner Existenz gegenüber einem Staat, der keinerlei Vertrauen mehr hat.

B) Einstellung der Tätigkeit

Für viele internationale Organisationen heißt das: Abbruch aller Aktivitäten oder Entlassung des Personals. Für lokale NGOs bedeutet es das Ende ihrer Arbeit. Wer nicht mehr zahlt oder zahlt bekommt, fällt nicht unter FARA – und hört somit auf, aktiv zu sein. Die Repression wirkt.

C) Ziviler Ungehorsam

Wer sich weigert, sich registrieren zu lassen, setzt sich einem rechtlichen Risiko aus. Doch genau das könnte der einzige Weg sein, um das Gesetz zu delegitimieren. Wenn Hunderte sich verweigern, kann das System ins Wanken geraten. Auch der Weg nach Straßburg steht offen: mit Eilanträgen an den EGMR zur Aussetzung der Gesetzesanwendung.

Der feine Unterschied: Warum das echte FARA nichts mit Georgiens Version zu tun hat

In den USA verpflichtet das FARA-Gesetz nur Organisationen, die direkt auf Weisung ausländischer Regierungen agieren – also echte Lobbyisten im Dienste fremder Staaten. BBC, Deutsche Welle oder Le Monde? Nicht registriert. Und warum? Weil redaktionelle Unabhängigkeit besteht. In Georgien hingegen reicht es aus, mit Kindern zu arbeiten – und eine Förderung aus dem Ausland zu bekommen –, und schon gilt man als Werkzeug des Westens.

Das georgische Gesetz übernimmt die Buchstaben, aber nicht den Geist von FARA. Das Ziel ist nicht Transparenz, sondern Kontrolle. Nicht Schutz der Demokratie, sondern ihre Aushöhlung.

Ein kollektives Dilemma: Was tun?

Alle, die mit internationaler Förderung arbeiten, stehen nun vor der Entscheidung:

  • Registrieren und sich kontrollieren lassen?

  • Aufgeben und sich selbst zensieren?

  • Oder weiterarbeiten und Repression riskieren?

Dabei trifft es nicht nur NGOs. Auch Medien, Universitäten, Theatergruppen, Kirchen, Blogger, Fotografen, Aktivistinnen, Lehrende und Übersetzerinnen – sie alle können betroffen sein. Und wenn sie sich registrieren, dann nicht nur als Institution, sondern auch mit Namen. Es ist der Aufbau eines gläsernen Menschen – mit legalistischem Anstrich.

 Ein Gesetz wie ein Verrat

Das Gesetz ist keine Formalität, sondern ein tiefer Eingriff in die freie Gesellschaft. Wer sich registriert, spielt das Spiel des Regimes mit. Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Und wer denunziert, mag sich mächtig fühlen – bis er selbst auf der Liste steht.

Am 1. Juni 2025 endet in Georgien nicht nur der Frühling. Es beginnt ein politischer Winter, der vielen das Rückgrat kosten wird – und einigen vielleicht die Freiheit.


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