Aktivistin mit russischen Methoden attackiert: Pfefferspray, grüne Farbe und eine klare Botschaft
- Nina Tifliska
- 6. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Vor wenigen Stunden veröffentlichte die georgische Aktivistin Nutsa Macharadze auf Social Media ein schockierendes Video: „Seit einem Monat verfolgen sie mich und Keti. Vor 15 Minuten hat uns ein Nichtsnutz am Aufzug abgefangen, uns Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, grüne Farbe übergossen und uns hinterhergerufen: ‚Eure Nazi-Mutter fick** ich!‘ Den Rest erzähle ich später.“
Damit kein Missverständnis entsteht: Hier geht es nicht um irgendeine Menschenrechtsanwältin oder Bürgerrechtlerin im klassischen Sinn, sondern um eine junge Aktivistin, die aktiv an Demonstrationen teilnimmt, sich öffentlich für Proteste engagiert und damit ins Visier derer gerät, die lieber schweigende, folgsame Bürger:innen hätten.
Russische Handschrift am georgischen Lift?

Wer sich mit der jüngeren russischen Geschichte beschäftigt, erkennt sofort das Muster. 2023 wurde die bekannte „Nowaja Gaseta“-Journalistin Elena Milashina in Tschetschenien überfallen: Maskierte Angreifer, brutale Schläge, Glatze zwangsweise rasiert, das Gesicht mit grüner Farbe – sogenannter „Selyonka“ – überschüttet. Der Überfall war ein unmissverständliches Signal: Wer sich einmischt, wer berichtet, wer Kritik übt, wird öffentlich gedemütigt, gebrochen und mundtot gemacht.
Und als ob es ein Handbuch dafür gäbe, wiederholt sich nun dieselbe Szene in Tiflis: Eine junge Aktivistin, die regelmäßig bei Protesten auf der Straße steht, wird physisch attackiert, beleidigt und mit denselben einschüchternden Methoden traktiert. Ach, welch ironisches Bild für ein Georgien, das doch angeblich auf dem Weg nach Europa ist!
Die georgische „Friedenspolitik“ à la „Georgischer Traum“
Natürlich wird die Regierung jetzt betonen, dass man „solche Vorfälle ernst nehme“ – vielleicht sogar ein Ermittlungsverfahren ankündigen. Aber Hand aufs Herz: Wer glaubt noch ernsthaft, dass die Polizei, die ohnehin seit Monaten friedliche Demonstrant:innen zusammenschlägt, plötzlich die Aktivist:innen vor Übergriffen schützt?
Hier geht es längst nicht mehr nur um fehlenden Schutz. Hier wird gezielt ein Klima der Angst erzeugt. Ein Klima, das den russischen Methoden so sehr gleicht, dass man sich fragt, ob die Hand, die hier im Dunkeln agiert, wirklich nur die eines fanatischen Einzeltäters war. Oder steckt dahinter doch ein größeres, systematisches Netzwerk, das politisch missliebige Stimmen einschüchtern soll?
Vergleich zu Alexei Nawalny: Die „Zelyonka“-Taktik
Auch in Russland wurde diese Methode längst erprobt: Alexei Nawalny, bekanntester russischer Oppositionspolitiker, wurde 2017 gleich zweimal mit „Zelyonka“ attackiert. Die grüne Farbe ist nicht nur schwer abwaschbar, sondern hinterlässt auch eine symbolische Narbe: Wer markiert wird, wird öffentlich gebrandmarkt.
Diese Methode ist perfide, weil sie das Opfer nicht nur körperlich, sondern auch sozial angreift – es geht um Demütigung, um die Botschaft „Wir können dich treffen, wann immer wir wollen.“
Zwischen Gift und Erwachen
Es gibt einen bitteren Unterschied: Während der Kreml sein Gift langsam, tropfenweise verteilt, erleben wir in Georgien derzeit eine Art Überdosis. Überwachungsstaat, Polizeigewalt, Fake-Gesetze gegen angebliche „ausländische Agenten“ – all das kommt hier nicht schleichend, sondern in einem Tempo, das entweder zur völligen Lähmung der Gesellschaft oder – man darf hoffen – zu einem überfälligen Erwachen führt.
Denn eines ist klar: Jede Sprühdose, jedes Pfefferspray, jeder Angriff gegen eine junge Demonstrantin ist auch ein Angriff gegen das demokratische Fundament Georgiens. Wenn jetzt keine breite Solidarität aus Zivilgesellschaft, internationaler Gemeinschaft und Medien kommt, dann wird die nächste grüne Farbe nicht auf der Kleidung der Aktivist:innen landen, sondern auf dem weißen Leichentuch der georgischen Demokratie.
Der Angriff auf Nutsa Macharadze ist kein Zufall, kein Einzelfall, kein Missverständnis. Er ist ein weiteres Glied in einer Kette gezielter Einschüchterungen, die zeigen, wie sehr sich Georgien von europäischen Werten entfernt und dem russischen Modell nähert. Das Land steht am Scheideweg: Will es weiter passiv bleiben und hoffen, dass die Gewalt irgendwann von selbst aufhört? Oder ist dieser Überfall der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt?
Eines steht fest: Wer jetzt noch schweigt, macht sich mitschuldig.
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